"Auf der anderen Straßenseite stehen sie hinter ihren Fenstern und beobachten, was hier geschieht", verrät ein Polizist den Demonstranten. Denn genau gegenüber vom Kirchengelände befindet sich die Senatsinnenverwaltung. Vielleicht schaut sogar Innensenator Olaf Henkel zu und liest ihre Plakate, wie dieses mit der Aufschrift: "Wir sind noch hier!"
Viele von ihnen kamen im September 2012 aus Würzburg. Dort hatten die Flüchtlinge ihren Protestmarsch auf die deutsche Hauptstadt begonnen. Immer mehr schlossen sich ihnen an, bis es Hunderte wurden. 120 von ihnen fordern heute, wie damals, eine Reform des Asylrechts, die Aufhebung der so genannten Residenzpflicht etwa. Die Flüchtlinge wollen etwas tun und arbeiten dürfen, anstatt nur untätig warten zu müssen. Daher kritisieren sie auch die als zu lang empfundene Bearbeitungszeit der Asylanträge. Die meisten Protestler sind Afrikaner. Sie kommen aus dem Tschad, Niger und anderen Subsahara-Staaten. Sie sind schon vor Jahren über das Mittelmeer und Italien nach Deutschland gelangt. Sie sind die landesweit bekannt gewordenen Besetzer des Oranienplatzes in Berlin-Kreuzberg.
Endlich eine sichere Perspektive
Seit mehr als zwei Jahren gibt es ein ständiges kaum noch zu überblickendes Gerangel mit der Politik, wo welche Flüchtlinge nun bleiben können und wo nicht. Das Protest-Camp ist zwar längst aufgelöst, doch die Menschen warten weiterhin auf eine Lösung für ihre Lebenssituation. Um sie nicht der Kälte und Obdachlosigkeit auszusetzen, hatte der evangelische Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte im Herbst letzten Jahres 120 von ihnen aufgenommen und untergebracht. Ein hohes privates und finanzielles Engagement für den Kirchenkreis. Er sorgt derzeit für Unterkunft, ein kleines Taschengeld und Fahrkarten. Hinzu kommt Deutschunterricht oder gemeinsames Essen. Zugleich hatte der Berliner Innensenat eine Lösung des Problems versprochen.
Doch geschehen ist seitdem kaum etwas: nun will die Kirche nicht mehr stillhalten. Eine Woche lang hält sie genau gegenüber dem Innensenat eine Mahnwache ab, mit öffentlichem Deutschunterricht, Gebeten, Andachten und gemeinsamem Kochen. So auch am ersten Protest-Tag, an dem öffentlich gegrillt, gebraten und gegessen wird. Der Essensgeruch soll dem Innensenator um die Nase wehen, ihn vielleicht endlich zum Handeln bewegen.
"Wir hatten einen Gast, der schwere Folterspuren auf seinem Körper hat. Er kommt aus dem Tschad. Sprechen ist das einzige, was dann hilft, einen Ort zu haben, wo man sprechen kann", sagt eine Unterstützerin. Die Flüchtlinge brauchen endlich eine sichere Perspektive. Es sind Begegnungen, die nachdenklich machen, sagt diese junge Christin: "Ich habe sehr großen Respekt und sehe es als ein Muss, diesen Menschen auf ihrem Weg zu helfen. Das wirft für mich die Frage auf, wie ich hier eigentlich lebe?"
Das Kirchenobdach war immer mit der Forderung verbunden, dass der Senat sich endlich um den Status der Flüchtlinge kümmert und eine humanitär befriedigende Lösung findet. "Wir erwarten vom Senat ein eindeutiges Signal. Er soll alle Möglichkeiten prüfen, auch eine Duldung unter humanitären und Ermessensgesichtspunkten. Der Senat soll von seinen politischen Spielräumen Gebrauch machen", fordert die stellvertretende Superintendentin des Kirchenkreises Silke Radosh-Hinder.
Doch der Staatssekretär im Innensenat, Bernd Krömer, widerspricht bereits im Vorfeld der Mahnwache: "Es gibt keine Zuständigkeit für Berlin, sondern die Flüchtlinge vom Oranienplatz kamen aus allen Teilen der Republik. Insofern müssen diese Asylbewerber dorthin zurückkehren, wohin sie verteilt worden sind." Er nennt eine Zahl von insgesamt 576 Flüchtlingen, die damals auf dem Oranienplatz waren und von der Ausländerbehörde überprüft worden seien. 120 von ihnen sind nun bei der Kirche untergekommen.
Es könne kein Sonderrecht für die protestierenden Flüchtlinge geben, als wenn diejenigen bevorzugt behandelt würden, die laut und medienwirksam schrien und Plätze besetzt hielten. Man wolle keine Nachahmer-Effekte. Ein Mal Oranienplatz reicht. Zudem wisse man auch nicht, welche der 576 Überprüften nun dort draußen protestierten. Man bräuchte Namenslisten von denjenigen, die bei der Kirche untergekommen sind. "Insofern gibt es für uns im Moment keinen Handlungsbedarf", sagt Staatssekretär Krömer.
Die evangelische Kirche weiß nichts davon, dass sie nun auch noch polizeiliche Überprüfungsaufgaben übernehmen und Namenslisten vorlegen soll. "Wir haben hier mit Menschen zu tun, nicht mit Listen, nicht mit Zahlen. Wir haben mit schwer traumatisierten Menschen zu tun. Wir haben mit Menschen zu tun, zu denen wir inzwischen eine neunmonatige Beziehung haben, die aber in das Ränkespiel des Senats geraten sind", mahnt die Theologin Silke Radosh-Hinder.
Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte und Berliner Senat stehen sich also scheinbar unversöhnlich gegenüber. Während der Protest-Mahnwache soll nun symbolisch eine Arche gebaut werden, die am Freitag in einer Prozession vom Kirchengelände getragen werden soll. Ob sie dann in die nahegelegene Spree oder dem Innensenator direkt vor die Eingangstür gesetzt wird, ist noch offen.