Neu ist der Streit nicht. Doch inzwischen nimmt die Debatte über Homosexuelle und ihre Rechte in Brasilien deutlich an Schärfe zu. Für Furore sorgte der Fernsehsender Globo, als er in einer Telenovela zwei 85-jährige Frauen beim Lieben zeigte. Fernanda Montenegro, die wohl beliebteste aller brasilianischen Schauspielerinnen, und Nathalia Timberg, beide 85 Jahre alt, küssten sich zur allerbesten Sendezeit nach 20 Uhr in der Serie "Babilônia".
Die Sendung "hat eindeutig das Ziel, die christlichen Überzeugungen und Prinzipien zu verletzen", wetterte der Abgeordnete Marcos Lima und beantragte die Absetzung der TV-Serie. Die parteiübergreifende "Parlamentsfraktion zur Verteidigung der brasilianischen Familie", die von evangelikalen Politikern dominiert wird, rief zum Boykott von "Babilônia" auf. Die Botschaft der Novela "widerspricht all unseren Gewohnheiten, Bräuchen und Traditionen", schreibt der Bundesabgeordnete João Campos in dem Boykottaufruf und moniert, dass fast die gesamte Gesellschaft gezwungen werde, "modische Versionen anderer Formen zu lieben" anzuschauen.
Der Boykott hatte Erfolg. Die Einschaltquoten sanken rapide, und Globo kündigte an, sich in Zukunft nach der Meinung des Publikums zu richten. Nicht nur die gleichgeschlechtlichen Liebesszenen wurden gestrichen, auch eine bereits gefilmte Passage mit einer Prostituierten wurde umgeschrieben. Ein weiterer Grund zur Sorge bei Marktführer Globo: Der Konkurrenzsender Record, der der evangelikalen Pfingstkirche "Igreja Universal" (Universalkirche) gehört, feiert mit der Novela "Die Zehn Gebote" zur selben Sendezeit Rekordeinschaltquoten.
Menschenrechtsgruppen und soziale Bewegungen, aber auch Künstler verteidigen die Novela von Globo, der alles andere als einen fortschrittlichen Ruf hat. "Die beiden genialen Schauspielerinnen zeigten eine Freizügigkeit, eine Errungenschaft. Wir sollten gegen Gewalt protestieren, nicht gegen Liebe", konterte Thiago Fragoso, Hauptdarsteller in "Babilônia". Fragoso war es auch, der 2013 in der Novela "Liebe das Leben" (Amor à Vida) erstmals einen Kuss zweier Männer in einer brasilianischen Fernsehproduktion zeigte.
Immer wieder gibt es in Brasilien Schlagzeilen, wenn schwule oder lesbische Pärchen wegen Händchenhaltens oder Küssen aus einer Bar geworfen oder auf öffentlichen Plätzen angefeindet werden. Die Homosexuellen-Bewegung reagiert mit Kiss-Ins, Küssaktionen auf öffentlichen Plätzen. Damit wollen sie daran erinnern, dass Homosexualität in Brasilien legal ist und niemand deshalb diskriminiert werden darf.
Kürzlich wurden Fußball-Fans des Erstliga-Klubs Corinthians zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie 2013 schwulenfeindliche Demonstrationen während des Training organisierten. Grund ihres Ärgers war der Starspieler Emerson Sheik, der sich damals bei einem Schwulenkuss fotografieren ließ.
Evangelikale Parlamentarier sehen Heterosexuelle diskriminiert
Obwohl jedes Jahr Millionen Menschen im ganzen Land für die Christopher-Street-Day-Paraden auf die Straßen gehen, sind Angriffe gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle in Brasilien sehr weit verbreitet. 326 Morde zählte die Homosexuellenorganisation GGB 2014 - ein Zuwachs um 4,1 Prozent. "Die Gewalt gegen Homosexuelle wächst in Brasilien völlig unkontrolliert", warnt Luiz Mott, der seit 30 Jahren die Statistik herausgibt. Alle 27 Stunden werde ein Homosexueller ermordet. "Deswegen ist es höchste Zeit, dass Homophobie unter Strafe gesellt wird", erklärt Mott.
Die Stimmung im Kongress steht diesem Ansinnen allerdings entgegen. Parlamentspräsident Eduardo Cunha, Mitglied der Pfingstkirche "Assembleia de Deus" (Versammlung Gottes), ist erklärter Gegner einer Kriminalisierung von Homosexuellenfeindlichkeit. Stattdessen will er mit Hilfe der fast 80 Mitglieder zählenden parteiübergreifenden Fraktion der Evangelikalen ein Familienstatut verabschieden, das die Rechte homosexueller Paare einschränkt. Nach Cunhas Meinung werden in Brasilien die Heterosexuellen diskriminiert. Er will deswegen einen "Tag des Hetero-Stolzes" gesetzlich verankern.