Im letzten Jahr hat Regisseur Thorsten Schmidt frischen Wind in die ARD-Krimireihe "Mordkommission Istanbul" gebracht; seine Filme "Die zweite Spur" und "Das Ende des Alp Atakan" sorgten für einen neuen Qualitätsschub. Die nächsten drei Episoden werden von Thomas Jauch inszeniert, der 2014 mit "Ohnmacht" einen herausragenden "Tatort" aus Köln gedreht hat. Dass sein erster Fall für den Istanbuler Kommissar Mehmet Özakin (Erol Sander) nicht ganz die Qualität der beiden Arbeiten von Schmidt erreicht, liegt nicht zuletzt an einer gewissen Formelhaftigkeit des Drehbuchs von Andreas Dirr.
Der ermordete Broker
Die Geschichte ist durchaus interessant: Im schäbigen Hinterzimmer eines Callcenters werden deutsche Rentner um ihre Ersparnisse gebracht. Der Trickbetrug funktioniert ganz einfach: Die Anrufer überreden ihre Opfer, ihr Geld in Aktien von Unternehmen anzulegen, die überhaupt nicht existieren. Nun ist einer dieser Broker ermordet worden. Özakin und sein treuer Mustafa (Oscar Ortega Sánchez) vermuten den Täter in den Reihen der Betrogenen, zumal der türkischstämmige Kunde Yasin Azul (Albert Kitzl) gerade in seine Heimat zurückgekehrt ist. Leider ahnt man exakt zur Hälfte des Films, wer den Broker erstochen ist. Deshalb verpufft auch ein ohnehin alles andere als origineller dramaturgischer Kniff: Der zweite Akt endet mit der Feststellung von Özakins Chefin, der Fall sei gelöst, weil der alte Azul ja offenkundig der Täter sei, aber dank seiner Intuition ahnt der Ermittler, dass der Mörder immer noch frei rumläuft.
Emotional interessanter ist ohnehin eine weitere Ebene der Geschichte: Der Tote, ein Türke, der in Deutschland aufgewachsen ist, hat eine Sprachschule für Erwachsene besucht und sich in seine Lehrerin verliebt, was man perfekt nachvollziehen kann: Sophie Dal, Hauptdarstellerin der ZDF-Krimireihe "Friesland" und Blickfang der ARD-Serie "Die Kanzlei" (vormals "Der Dicke"), ist auch hier umwerfend attraktiv. Weniger gut ist Özakins private Ebene integriert: Idil Üner hat als Gattin praktisch nichts zur Handlung beizutragen; immerhin bringt ein Bild, das eins ihrer Schulkinder gemalt hat, den Kommissar schließlich auf die Lösung des Falls. Ansonsten wirkt Sander etwas unterfordert, zumal sich die Dialoge des Films nicht nur zu oft an üblichen Krimisätzen orientieren, sondern auch das Offensichtliche in Worte fassen ("Er hat den Mörder gekannt!"). Aber selbstredend macht der Hauptdarsteller wie stets eine fabelhafte Figur.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Spannender als die Handlung ist ihre Umsetzung. Schon Schmidt hatte die früheren komödiantischen Elemente auf ein Minimum reduziert; auch "Der Broker vom Bosporus" enthält kaum noch Comedy-Momente, wovon nicht zuletzt die Figur des Mustafa profitiert; Oscar Ortega Sánchez musste früher meist den unter dem Pantoffel seiner Mutter stehenden Pausenclown geben. Der Film ist daher ein rein Krimi, was vor allem an der Musik von Karim Sebastian Elias liegt, die für viel Dynamik sorgt. Der Komponist hat schon zuletzt in einem "Tatort" aus Dortmund ("Schwerelos") harmlose Bilder mit viel Spannung aufgeladen. Hier kommt hinzu, dass seine Mischung aus Elektronik und orientalischen Elementen eine äußerst reizvolle Kombination ergibt.
Nicht minder sorgfältig ist die Kameraarbeit, und auch in diesem Bereich spielt die Tonspur eine Rolle. Die atmosphärischen Zwischenspiele mit Panoramaaufnahmen vom Bosporus sind gewohnt eindrucksvoll. Optische Verfremdungen (der Nachthimmel im Zeitraffer) sorgen für Auflockerungen; Schwenks, Zooms und kurze Rückblendenmomente werden mit Geräuschen unterlegt. Das erinnert zwar mitunter an bestimmte Kindersendungen, in denen es ständig kracht und zischt, bewegt sich aber in einem moderaten Rahmen; gleiches gilt für die gelegentlichen musikalischen Ausrufezeichen. Weniger gelungen ist dagegen die Kombination von Originalton und Synchronisierung, weil die Stimmen der Profisprecher neben den ungeschliffenen Schauspielerdialogen oft viel zu glatt klingen.