TV-Tipp des Tages: "Bloß kein Stress" (ZDF)
TV-Tipp des Tages: "Bloß kein Stress", 30. April, 20.15 Uhr im Zweiten
„Bloß kein Stress“ ist eine Komödie um gemeinsame Lebensentwürfe und den sozialen Druck, den eine Mittelstandsfamilie erfährt, als sie aus der anonymen Großstadt in die Provinz zieht. Der Leistungs- und Konkurrenzdruck, dem die Familie ausgesetzt wird – und dem sie sich aussetzt - beschränkt sich nicht allein auf den Arbeitsplatz, sondern trifft die Kinder in Schule und Freundeskreis genauso – und bestimmt bald das gesamte Leben der Familie.

Seit einiger Zeit zeigen die Fernsehsender eine derartige Häufung von Nachbarschaftsgeschichten, dass man fast von einem eigenen Genre sprechen kann.  Die Komödie "Ein Reihenhaus kommt selten allein” (2014) zum Beispiel, ebenfalls vom ZDF, lebte von einer äußerst vergnüglichen Häufung skurriler Ereignisse; Sat.1 hat mit "Allein unter Nachbarn" (2012), "Der Weihnachtskrieg" (2013) und "Nachbarn süß sauer" (2014) in den letzten Jahren gleich drei witzige und einfallsreiche Komödien über Kriege am Gartenzaun gezeigt. Und dann gab es mit "Unter Nachbarn" (SWR, 2012) und "Sechzehneichen" (HR, 2012) noch zwei Filme der ARD, die das Thema als Thriller-Drama aufzogen. Gemessen an all diesen völlig unterschiedlichen Variationen wirkt "Bloß kein Stress" seltsam unentschlossen, denn der Film ist keine Komödie, keine Satire und kein Drama, will aber von allem ein bisschen sein; da gibt es von Lars Jessen ("Am Tag als Bobby Ewing starb") deutlich bessere Arbeiten.

Das zentrale Motiv der Geschichte (Buch: Stefan Rogall) entspricht dem üblichen Muster: Eva und Jens Heller (Katharina Wackernagel, Fritz Karl) sind ein ganz normales Ehepaar, mit dem man sich gern identifiziert. Ihr Versuch, nach dem Umzug in die Vorstadt den Erwartungen der perfekten Nachbarn in der anderen Hälfte des Doppelhauses zu entsprechen, ist deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn die Nachbarn sind die Bösen. Als Zuschauer spürt man das recht bald, die Hellers dagegen müssen für diese Erkenntnis viel Lehrgeld bezahlen und mannigfaltige Erfahrungen des Scheiterns machen; erst auf Kosten ihrer Kinder, dann fast auf Kosten seines Arbeitsplatzes und schließlich beinahe auf Kosten ihrer Ehe.

Katharina Wackernagel und Fritz Karl verkörpern das Paar glaubwürdig und sympathisch, aber auch etwas überraschungsarm; selbst wenn Karls Dialoge einige Male von herzhaftem Sarkasmus sind. Jens hat eine gewisse Neigung zur Impulsivität, was ihn anfällig für Provokationen macht, Eva möchte das Beste für die drei Kinder (eins von ihm, eins von ihr, eins gemeinsam) und überfordert damit nicht nur den Nachwuchs, sondern auch sich selbst. Ähnlich wie viele Action-Thriller, in denen die Schurken meist interessanter sind als die Helden, lebt auch "Bloß kein Stress" vom Gegenentwurf. Während die Hellers in ihrem verzweifelten Bemühen um Anerkennung zerstören, was wirklich wichtig ist, bleibt das Ehepaar Trimmborn nebenan ein Vorbild an kalter Perfektion. Das spiegelt sich auch etwas klischeehaft in der Bildgestaltung wider (Michael Tötter): Das Heller-Haus ist eine Baustelle, die dank warmer Farben dennoch behaglich wirkt, die Wohnung der Trimmborns ist dagegen fast steril.   

Schauspielerisch haben Rike Schmid und Oliver Wnuk die scheinbar leichtere Aufgabe, weil sie die meiste Zeit kaum eine Miene verziehen. Aber dann gibt es auch die kleinen Momente, in den sich ganz kurz ein Riss in der Fassade auftut. Während Schmid – groß, attraktiv, elegant und selbstbewusst – eine Figur wie aus den "Frauen von Stepford" verkörpert, entspricht Wnuks Spiel exakt dem Prädikat "hinterfotzig": ein berechnender kleiner Durchschnittstyp, der sich gern leutselig gibt, aber den neuen Nachbarn ohne mit der Wimper zu zucken ans Messer liefert. Beide sind als Sachbearbeiter bei einer Versicherung beschäftigt. Trimmborn, der schon Jens Hellers Vorgänger aus Haus und Firma vertrieben hat, würde alles tun, um zu verhindern, dass ihn jemand beruflich überholt. Ein großer darstellerische Augenblick verdeutlicht den Abgrund, den Trimmborn hinter seiner jovialen Fassade verbirgt: Seine Mimik wechselt von gespielter Kollegialität zu Abscheu, als Jens ihm den Rücken zuwendet. Sehr hübsch ist auch ein akustischer Einfall, als die Musik (Stefan Wulff) ironisch die Melodie von "Ein Freund, ein guter Freund" aufgreift: Trimmborn will dem Chef mit dem A-Capella-Stück eine Freude zum Dienstjubiläum machen; Heller lässt sich überreden mitzusingen, nicht ahnend, dass der missgünstige Kollege ihm damit ein gewaltiges Fettnäpfchen beschert.

Rogalls Drehbuch hat einige Szenen zu bieten, die durchaus satirische Qualität haben. Der Rundgang durch eine sündhaft teure Fördereinrichtung für Vorschulkinder (mit Jan Georg Schütte und Meike Droste als etwas gruseliges Lehrerpaar) zum Beispiel muss die Wirklichkeit nur ein bisschen auf die Spitze treiben, um die frühkindliche Überforderung zu persiflieren. Ein Kindergeburtstag, bei dem ein Junge mit Luxus überhäuft wird, wirkt dagegen völlig übertrieben. Hinzu kommt ein weiterer Mangel: "Bloß kein Stress" gibt dem Genre Familienfilm keinerlei neue Impulse. Der Patchwork-Aspekt zum Beispiel dient nur als Vorwand: Jens hat einen erwachsenen Sohn (Robert Köhler), der sich dem Nachbarschaftswettstreit früh entzieht und die Trimmborns als Zombies bezeichnet, ansonsten aber ebenso wie seine kleinen Geschwister kaum eine Rolle spielt, weil sich Rogalls Drehbuch auf die Eltern konzentriert. Die Kinder sind im Grunde bloß Manövriermasse.