Trotz Gemeindeferne und "Gottesdienstabstinenz" vieler evangelischer Kirchenmitglieder ist das Interesse an der Konfirmation stabil. Laut einer Studie der EKD aus dem Jahr 2009 (neuere Zahlen gibt es zurzeit nicht, d.Red.) lassen sich bundesweit mehr als 90 Prozent der evangelischen Jugendlichen im Alter von etwa 14 Jahren konfirmieren. Mit jährlich rund 250.000 teilnehmenden Jugendlichen ist das etwa ein Drittel aller Jugendlichen eines Jahrgangs. Ab der Konfirmation können die Jugendlichen Taufpaten werden, mit vollendetem 14. Lebensjahr das aktive Wahlrecht in der Kirche ausüben und spätestens jetzt sind sie in ihrer Gemeinde zum Abendmahl zugelassen.
In den östlichen Bundesländern allerdings nehmen nur etwa 14 Prozent der Jugendlichen an der Konfirmation teil. Gerade einmal 4.000 Jugendliche werden in diesem Jahr in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zwischen Palmsonntag und Pfingstsonntag konfirmiert. "Bei uns haben die meisten Menschen schon in der dritten Generation keinen Kontakt zur Kirche. Nur noch 13-25 Prozent aller Kinder sind überhaupt noch getauft", erklärt Stefan Brüne, Referent für schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit der EKM.
Die Zahl wird in Zukunft womöglich noch kleiner werden, denn etwa ein Fünftel der unter 30-jährigen Kirchenmitglieder in Deutschland lassen ihre Kinder nicht mehr selbstverständlich taufen. Sie wollen ihnen eine Entscheidung für den Glauben selbst überlassen. Diesen Abbruchprozess zeigt die jüngste Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft der EKD von 2014. Für die Diplomtheologin Emilia Handke, die an der Universität Halle über "Religiöse Jugendfeiern zwischen Konfirmation und Jugendweihe" promoviert, liegen die Folgen auf der Hand: "Für Jugendliche, die nicht getauft und nicht wenigstens partiell religiös-kirchlich sozialisiert sind, ist es nicht mehr logisch, sich konfirmieren zu lassen".
Schon jetzt gelinge es nur "äußerst selten, Jugendliche aus Familien, die sich nicht zu einer Gemeinde zugehörig fühlen, für die Konfirmandenarbeit zu gewinnen", bedauert Pfarrer Steffen Weusten, Konfirmandenbeauftragter und Dozent am Pädagogisch-theologischen Institut der EKM. So erklärt sich für ihn, dass "die Jugendweihe in Ostdeutschland heute die 'Normalkasualie' am Übergang von der Kindheit zum Erwachsenwerden ist".
Schritte auf dem Weg des Glaubens
Etwa 30 bis 40 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen nehmen dieses Angebot eines unkirchlichen festlichen Übergangsrituals an der Schwelle zum Erwachsenwerden wahr. Die Jugendweihe wurzelt in einer freireligiösen und freidenkerischen Tradition und hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Zu DDR-Zeiten war sie politisch instrumentalisiert und mit einem Gelübde auf den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat verbunden. Wer an der quasi verpflichtenden Feier nicht teilnahm und sich stattdessen konfirmieren ließ, hatte mit schweren Nachteilen zu rechnen. Nach der Wende wurde die Jugendweihe von ihrer ideologisch- politischen Befrachtung befreit und ist bis heute beliebtester "rite de passage". "Trotz ihres religiös klingenden Namens wollen die Anbieter sich gerade nicht religiös verstanden wissen, sie begreifen 'Weihe' eher als Statuswechsel", betont Emilia Handke.
Die kleine Zahl der Jugendlichen, die sich in Ostdeutschland (noch) konfirmieren lässt, kommt in aller Regel aus kirchenaffinen Familien. Was aber keineswegs bedeutet, dass sie in Sachen Glauben "firm" sind. Pierre Schüßler, Diplom-Religionspädagoge im evangelischen Jugendpfarramt in Leipzig, wo die Kirchenzugehörigkeit bei etwa 20 Prozent liegt, macht die Erfahrung, dass auch die Kinder aus "Gemeindefamilien" am Konfirmandenunterricht häufig nur "semi-freiwillig" teilnehmen. Gar nicht anders als im "Westen" tun sie das, weil die Konfirmation mit Einsegnung und Familienfeier selbstverständlich dazugehört. Konfirmandenunterricht sollte deshalb aus Pierre Schüßlers Sicht nicht in erster Linie auf ein Bekenntnis zielen. Für ihn ist viel gewonnen, wenn es im Konfirmandenunterricht gelingt, dass Jugendliche Schritte auf dem Weg des Glaubens tun. Wenn Jugendliche erleben: "So lebendig, so beziehungsreich und kann Kirche auch sein", ist aus seiner Sicht viel erreicht.
Nach der Konfirmation gleichen sich die Erfahrungen in Ost und West: Für viele Jugendliche ist der Konfirmationsgottesdienst für lange Zeit der letzte Gottesdienst, an dem sie teilnehmen. Emilia Handke meint, in der momentanen Situation könne man mögliche künftige Entwicklungen wie in einem Labor beobachten und auch einiges ausprobieren: Neue Angebote und Wege seien möglich und gefragt. Wie etwa das Projekt "Segensfeier" aus Sachsen-Anhalt und Thüringen, das vom Verein "Andere Zeiten" gerade als "originelle christliche Idee" ausgezeichnet wurde.
Auf Bitte von Eltern, die ihre Kinder weder konfirmieren noch an der Jugendweihe teilnehmen lassen wollten, gibt es seit 2011 an der Evangelischen Sekundarschule Haldensleben eine Segensfeier in Zusammenarbeit mit der örtlichen Gemeinde. Gestaltet wird die Vorbereitung, die im Klassenverband stattfindet, gemeinsam von einer Lehrerin und Gemeindepädagoge Robert Neumann. In diesem Jahr haben sich 43 von 46 Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe zur durchaus zeitintensiven wöchentlichen Vorbereitung der Segensfeier angemeldet, an deren Gestaltung sie intensiv mitarbeiten. Die allermeisten sind konfessionslos. Über 200 Familienangehörige und Gäste werden in der Kirche dabei sein, wenn sie feierlich von ihrer Kindheit Abschied nehmen und für ihren Weg ins Erwachsenenleben persönlich gesegnet werden.
Thematisch geht es in den wöchentlichen Treffen um Verantwortung, Vertrauen, Lebensziele und Lebensgestaltung. Fragen sind zum Beispiel, was Segen eigentlich ist und wie Beten "funktioniert". Auch ein zehnstündiger Sozialdienst etwa in einem Seniorenheim gehört zur Vorbereitung. Schulleiterin Pia Kampelmann, die das Projekt mit entwickelt hat, sieht in der Segensfeier die Chance, "eine Brücke zu Glaube und Kirche zu bauen. Ob die Jugendliche über diese Brücke gehen, wissen wir nicht". "Vielleicht", so hofft sie, "ist die Segensfeier ein Saatkorn, das erst später aufgeht."
Konkurrenz zur Konfirmation?
Den oft gehörten Vorwurf, mit der Segensfeier grabe sie der Konfirmation das Wasser ab, kann Pia Kampelmann inzwischen entkräften. Denn etliche Schülerinnen und Schüler nehmen sogar beide Angebote wahr. Besonders freut sie, dass sich die ersten konfessionslosen Jugendlichen sogar haben taufen lassen. Wichtig ist ihr, dass die Jugendlichen, die ihrer Erfahrung nach begeistert und mit großem Ernst bei der Sache sind, ein positives Erleben mit Kirche verbinden.
Inzwischen bieten auch andere evangelische Sekundarschulen Segensfeiern nach dem Haldenslebener Vorbild an. Etwa 25 ähnliche Angebote finden mittlerweile in den östlichen Bundesländern regen Zuspruch. In Halle gibt es in ökumenischer Zusammenarbeit ein ähnliches, nicht an eine Schule gebundenes Angebot zur Begleitung des Übergangs von der Kindheit ins Erwachsenenleben: In der katholischen Offenen St. Moritz-Kirche haben sich zur "Feier der Lebenswende", die bereits 1998 von Bischof Reinhard Hauke im Bistum Erfurt entwickelt wurde, in diesem Jahr bereits 500 Jugendliche angemeldet.
Während die neuen Formen offenbar bei den Jugendlichen gut angenommen werden, sorgen sie innerkirchlich für kontroverse Diskussion. "Wir ringen noch um eine theologische Bewertung", sagt Pfarrer Steffen Weusten vom Pädagogisch-theologischen Institut der EKM. Diskutiert wird nicht nur darüber, ob man sich mit der Segensfeier selbst Konkurrenz zur Konfirmation macht, sondern auch darüber, welche der beiden Formen Vorrang haben soll und ob die weniger werdenden Pfarrer und Jugendreferenten genug Kraft für zwei Feiern haben. Anfang April gab es an der Forschungsstelle Religiöse Kommunikations- und Lernprozesse der Universität in Halle eine erste Tagung zu den neuen Formen aus evangelischer Perspektive.