Selbstbewusst blickt ein fülliger Martin Luther dem Betrachter in die Augen und wirft sich kämpferisch in die Brust. "Ich weiche keinen Zentimeter zurück", spricht es aus dem Porträt, das Lucas Cranach der Ältere (1472-1553), einer der wichtigsten Künstler der Reformation, vor einem halben Jahrtausend angefertigt hat. Ganz anders die Darstellung von Luthers Freund Philipp Melanchthon: Ein hagerer Theologe und Universalgelehrter, der seine große Geisteskraft einsetzt, um die vom Weg abgekommene Kirche zu reformieren - so zeigt ihn ein Bild von Albrecht Dürer (1471-1528) aus dem Jahr 1526.
"Die Reformation setzte auf die Kraft der Bilder, um die Sache des neuen Glaubens zu fördern", erklärt die Kunsthistorikerin Maria Lucia Weigel. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Europäischen Melanchthon-Akademie im badischen Bretten erforscht, wie Porträts prominenter Reformatoren in der protestantischen Bildpropaganda eingesetzt wurden. Zurückgreifen kann sie auf die umfassende Sammlung von Grafiken, Münzen und einigen Gemälden des Melanchthonhauses in Bretten. Die 1903 eröffnete Reformationsgedenkstätte am Ort des Melanchthon-Geburtshauses ist die zweitgrößte in Deutschland.
Lucas Cranachs Luther-Porträt war die "Blaupause"
"Die visuellen Strategien aus der Urzeit des Protestantismus prägen bis heute die Sichtweise auf die Reformation und ihre gesellschaftlichen Bedeutung", sagt Günter Frank, der Direktor der Europäischen Melanchthon-Akademie. Mit dem Themenjahr "Bild und Bibel" der Reformationsdekade machen die evangelischen Kirchen derzeit auf die Kunst der Reformationszeit und ihre Wirkung aufmerksam. Anlass ist der 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Jüngeren (1515-1586), der bis heute im Schatten seines berühmten Vaters steht.
"Das Porträt hat der Reformation ein Gesicht gegeben", sagt Maria Lucia Weigel. Spätere Maler orientierten sich meist eng an den historischen Vorgaben der Kupferstiche und Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert und wagten nur vorsichtige Änderungen. Lucas Cranachs Luther-Porträt war die "Blaupause", der weitere Reformatorendarstellungen folgten.
Der Luther-Freund und kursächsische Hofmaler und seine Nachfolger hatten sich in den Dienst der neuen Kirche gestellt. Ihre Reformatorenporträts wurden in Büchern abgedruckt - die Buchdruckkunst war gerade neu entwickelt worden. Und sie dienten zur Illustrierung theologischer Schriften und fanden weite Verbreitung als Kupferstiche und Holzschnitte.
Für den heutigen Betrachter erschließt sich die tiefe Bildsymbolik nur schwer. Jedes Bild, sagt Weigel, habe eine religionspolitische Aussage. Die Symbolik orientiert sich an Bildtraditionen aus der Antike. Römer und Griechen fertigten Porträts nur von hochgestellten Persönlichkeiten an. Auf die Reformatoren angewendet, symbolisierte die Darstellung deren Hochrangigkeit. Die hohe Denkerstirn Melanchthons auf dem Dürer-Porträt verriet jedem Betrachter dessen Geistestiefe, erklärt Weigel. Sein ernstes, faltenreiches Gesicht auf einem Cranach-Porträt drückt - wie einst bei Darstellungen antiker nobler Herren - die Sorge um die Kirche aus.
"Das Urbild von Luther ist übermächtig"
Mit der Verbreitung der glorifizierenden Darstellungen hatten Propagandisten der Reformation ihren Anteil daran, dass sich ein protestantischer Heiligenkult entwickeln konnte. Wie die "Altgläubigen" der katholischen Kirche schmückten auch protestantische Gläubige ihre Heime mit ihren eigenen "Heiligenbildchen": Luther erscheint da schon einmal als Mönch mit strahlendem Heiligenschein - wie ihn der Künstler Hans Baldung Grien (1480-1545) im Jahr 1521 sah.