Die Kirche verreckt an ihrer Sprache. So klagt Erik Flügge in einem Blogbeitrag, der gerade nicht nur unter Kirchenleuten im Netz kursiert. Ich finde, er hat Recht. Die Kirche krankt vielerorts an einer Sprache, die keiner versteht und die keinen anspricht.
Aber ich vermute, der Sprachstil ist nur ein Symptom, nämlich dafür, dass viele, die predigen sollen, gar nicht so recht wissen, wie sie ihrem Glauben überhaupt Ausdruck verleihen können. Wenn ich aber nicht über mich, meinen Glauben und meinen Gott persönlich reden kann, kann ich anderen auch kein Gefühl dafür vermitteln, wie es ist, zu glauben, und wieso ich das heute überhaupt für wichtig halte.
Die Frage bleibt also: Was hat die Bibel heute mit mir zu tun? Nur wenn ich das herausgefunden habe, kann ich andere auch authentisch daran teilhaben lassen. Aber wie kommt es zu der modernen Sprachverwirrung? Ich sehe drei mögliche Gründe.
Das Studium
Die Sprachverwirrung beginnt spätestens im Studium, denn dort wird die wissenschaftliche Sprache der Theologie gepflegt. Da wird zum Beispiel eine "Hermeneutik der Multiperspektivität des Diskurses" gefordert oder festgestellt: "In der Einheit der doppelten Relation ist Jesus Christus das Person-Sakrament als Ereignis der vollkommenen Gottesgemeinschaft."
Sicher braucht es eine wissenschaftliche Sprache, um über komplexe Sachverhalte klar und differenziert zu reden. Gerade in der Frontstellung zwischen Atheismus und religiösem Fundamentalismus muss man geistig auf der Höhe sein. Aber daneben muss man sich auch in umgänglicher Alltagssprache üben, besonders im Gespräch über den Glauben. Das passiert zu wenig. Deswegen reden Theologen nach dem Wechsel vom Hörsaal auf die Kanzel zuweilen einfach nicht persönlich und ansprechend, sondern akademisch und vermeintlich objektiv. Sie können dann zwar erklären, wieso Karl Barths christozentrische Offenbarungstheologie in diametralem Gegensatz zu Friedrich Schleiermachers romantisch inspiriertem "Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" steht, aber nicht was Gott uns heute noch zu sagen hat.
Der Gottesdienst
Wenn man es dann von der Uni auf die Kanzel geschafft hat, drohen neue Risiken und Nebenwirkungen. Zum Beispiel das ständige Über-Erklären, das die Gemeinde unterfordert. Ein Beispiel: "Wir wollen uns jetzt in die Tradition unserer Väter und Mütter im Glauben stellen und zusammen das Glaubensbekenntnis sprechen. Wenn es Ihnen möglich sein sollte, würde ich Sie gerne bitten, dazu aufzustehen."
Wollen wir das? Mein Vater ist Atheist, welche Tradition also? Und ich habe ja schon länger was am Knie – aber wenn alle aufstehen, bleibe ich ja nicht sitzen.
Einfacher wäre es, zu sagen: "Lasst uns unsren Glauben bekennen." Wie das geht, muss man im Gottesdienst gar nicht so genau erklären, denn das Ritual lebt aus der Einübung und aus dem Erleben. Matthias Drobinski schrieb anlässlich des Trauergottesdienstes für die Opfer des Germanwings-Absturzes: "Die Erklärungsversuche bleiben vor der Tür. (...) Rituale lindern den Innovationsdruck, der heute auf dem Einzelnen lastet, als wäre er ein Unternehmen. Sie sind der Raum, in dem Menschen unoriginell sein können, schwach, traurig oder auch fröhlich, halt sie selber."
Umgekehrt gedacht muss aber auch nicht der gesamte Gottesdienst ein weihevolles Ritual mit salbungsvoller Betonung jeder Silbe sein. Denn durch einen Panzer von Form und Formelsprache dringt die persönliche Ansprache nicht zur Gemeinde durch.
Sicher, ein Gottesdienst ist ein Fest, da darf es auch gerne mal formal sein. Man muss die Abendmahlsworte nicht wie einen Trinkspruch zum Junggesellenabschied vortragen, aber gerade in der Predigt kann man die Sprache des Rituals getrost hinter sich lassen. Hier sollte es eher Junggesellenabschied als das Grußwort des Bezirksbürgermeisters zur diamantenen Hochzeit sein. Oder wie Erik Flügge die Theologen auffordert: Sprecht mehr so, wie ihr beim Bier sprecht. Mit Luther gesagt, der gern beim Bier sprach: Tritt frisch auf! Tu's Maul auf! Hör bald auf!
Die Predigt
Die letzte Falle ist, dass einem zum Predigttext nichts einfällt. Dann suchen manche Pfarrerinnen und Pfarrer den letzten Ausweg in der "politischen" Predigt. Unter dem Deckmantel prophetischer Kritik kann man ungeniert über die Versäumnisse der großen Politik schimpfen, ohne dass diese sich wehren könnte und es selbst besser machen zu müssen. Dazu analysiert Friedrich Wilhelm Graf: "Wem nichts mehr einfällt, dem bleibt das Moralisieren (...) Besonders beliebt (...) ist eine appellative Sollenssprache, die dem armen Gottesdienstbesucher gleich die Gesamthaftung für's große Elend in der dritten und vierten Welt aufbürdet", und dabei wird die "Armut jenseits der Meere instrumentalisiert, die eigene theologische Gedankenlosigkeit zu kaschieren".
Auch dabei kommt das Reden ohne persönlichen Bezug aus – das Leid in der Welt ist furchtbar, aber sonntags auf der Kirchenbank auch sehr abstrakt. Eine Gemeinde merkt aber, wann das Politische angebracht ist und wann der Pfarrer einfach um heißen Brei herum redet.
Die beste Botschaft der Welt
Es geht mir nicht darum, alles schlecht zu machen. Erstens, weil es auch viele gute Gottesdienste und Predigten gibt und zweitens, weil die ständige Selbstkritik als Defizitdenken wiederum selbst die Kirche lähmen kann. Trotzdem sollen konkrete Probleme auch benannt werden, damit sie gelöst werden können.
Dazu braucht es auch selbstbewusste Nicht-Theologen, die uns Theologen auf die Füße treten und nachbohren, wenn wir uns wieder in Floskeln und Formeln verlieren. Denn die Kirche hat die beste Botschaft, die es überhaupt zu erzählen gibt, und sie verdient eine klare Sprache.