In einer zur Radiotechnik-Werkstatt umgestaltete Garage im nordossetischen Wladikawkas treffen sich Dmitrij Protopopow (58), Sergej Poroschin (58) und Igor Telnow (49). Gemeinsam mit dem im Nachbarort lebenden Osseten Walerij Digojew (56) bilden sie den Kern des regionalen ehrenamtlichen gemeinnützigen Suchtrupps "Memorial-avia". Die Gruppe zählt 25 Mitglieder, darunter vier Frauen. Seit 1999 suchen sie selbstlos nach abgeschossene sowjetischen und deutschen Kampfflugzeugen, um ihre Besatzung ehrenvoll zu bestatten und den Familien ihre Angehörigen zurück zu geben.
Poroschin, der Leiter des Trupps, erzählt: "Meinen Dienst leistete ich als Chauffeur auf einem Flugplatz, ich bediente die Flugzeuge. Aber ich wollte die Luft spüren!" So fing er 1985 damit an, einen Hängegleiter zu bauen. Später folgten Fallschirmsprünge, Flüge mit dem Motorsegler, dem Segelflugzeug und der Motorschirm-Trike. Gemeinsam mit Walerij rüstete er ein Segelflugzeug mit einem Motor auf.
Flieger, Minensucher und Radiotechniker
Walerijs Lebenslauf ist noch enger mit dem Himmel verbunden: Ende der 70er Jahre diente er bei der Luftwaffe, später arbeitete er in einem Aeroklub, machte noch eine extra Ausbildung. Bis heute ist er auf dem Wladikawkaser Flugplatz tätig und genießt großen Respekt. Und am Wochenende baut Walerij in seiner Garage Motorschirm-Trikes. "Walerij ist bei uns der Oberspezialist", erzählt Sergej, "er kennt sich am besten mit den Flugzeugteilen aus". "Es ist nicht ganz so schwer anhand der Bruchstücke den Flugzeugtyp zu identifizieren, wir haben schon viel Erfahrung gesammelt. Doch das Wichtigste ist die Besatzung aufzuklären", meint Walerij, der aus eigener Erfahrung weiß, was ein Absturz ist.
Auch Igor, der schon als Kind Flugzeugmodelle baute, ist ein Fachmann. Ein Berufssoldat, der als Minensucher, Kommandeur des Luftabwehrraketenverbandes, Scharfschütze und Militärtechnikfahrer zwei Kriege hinter sich hat. "Man muss sich mit scharfer Munition auskennen, weil wir viel davon finden. Einmal stießen wir auf eine 200-Kilogramm-Fliegerbombe. Darüber hinaus muss man Arbeitserfahrung in den Gebirgen und Sümpfen haben", berichtet Igor, der auch Recht studiert hat, um sich mit dem Waffengesetz auszukennen.
Dmitrij, ein begabter Radiotechniker hört zu und lächelt: "Und ich lerne alles während der Arbeit." Das stimmt aber nicht: Der Trupp stellte in den Hochgebirgen vier Relaisfunkstellen auf, damit man immer in der Funkverbindung mit verschiedenen Städten bleibt.
Komplizierte Suche nach Verwandten
Es geht um Ehre und Pflicht und die Männer geben nicht mit ihrer Tätigkeit an, sie machen einfach ihr Ding. Und das ist sehr schwer. Zwar wurden alle Stellen, wo sowjetische abgeschossene Flugzeuge abgestürzt sind, markiert, und mit ihren eigenen Flugapparaten können sie vieles von oben erkennen. Doch im Winter und Sommer herrschen schwierige Umstände im Hochgebirge, die Suchtrupps brechen durch das Dickicht, untersuchen die Erde mit Metalldetektoren, schaufeln, tragen riesige Flugzeugteile auf den Schultern. Zwei mal haben sie den Fluss Terek zur Hälfte mit einem Staudamm gesperrt. Die Flugzeuge liegen in schwer zugänglichen Gegenden, so braucht man Tage, um diese Stellen zu erreichen. Gelegentlich es ist unmöglich. "Einmal wollten wir eine Stelle prüfen und haben dafür drei Stunden eingeplant. Erst nach drei Tagen konnten wir zurückkehren. Unser Timon (so bezeichnen sie den fast sieben Tonnen schweren LKW mit Allradantrieb) ist im Schlamm versunken und eine Nacht lang haben wir ihn freigeschaufelt", erinnert sich Dmitrij.
Der Trupp orientiert sich an Archiven, aber auch an Gerüchten und den Aussagen der letzten Augenzeugen, die oft nicht stimmen, aber geprüft werden sollten. Auch die wenigen Auszüge aus deutschen Quellen haben sie. "Wenn wir Zugang zu deutschen Archiven hätten, wäre es ein Fortschritt!" schwärmt Igor. Auch die Gebeine von vier Soldaten der Landtruppen entdeckten die Suchenden, einen konnten sie identifizieren. Das ist stets schwer. Es hat 12 Jahre gedauert, bis der Name eines Piloten festgestellt wurde. Nun wird nach seinen Verwandten gesucht, was auch sehr kompliziert ist. "Man muss nicht nur etwas in der Erde entdecken, man muss die Familienangehörige finden und ihnen eine unerwartete, schwierige, aber doch eine Freude bringen", sagt Dmitrij. Der Trupp setzt die Flieger bei, sucht nach ihren Familienangehörige, stellt Denkmäler auf. "Memorial-avia" beschäftigt sich auch mit den Soldaten, die in KZs gestorben sind. Sie konnten die Verwandten von 40 Häftlingen finden und ihnen die Papiere übergeben. "Es gibt nichts schlimmeres, als wenn jemand vermisst wird. Jeder Mensch ist eines Grabes würdig!" sagt Sergej überzeugt.
Hilfe aus dem Jenseits
Die Männer gehen zu Sergej, der gleich gegenüber lebt. An der Decke und auf dem Schrank des kleinen Zimmers sind über 30 Flugzeuge im Sturzflug eingefroren, darunter alle, die hier gekämpft haben. Diese Flugzeugmodelle baute Sergej selbst. Sein Zimmer ist auch mit seinen kunstvollen Objekten aus Munitionsresten und Holz dekoriert. Es hängen auch Aufnahmen von Piloten da, die "Memorial-avia" finden konnte und von den Fliegern, die nie lebendig nach Nordossetien-Alanien heimkehrten. Dazu Urkunden, Danksagungen, Auszeichnungen, auch vom Verteidigungsministerium. Doch Sergej wird laut, wenn man ihn danach fragt. "Sie sollten uns lieber Geld geben! Wenn wir wenigstens Spritgeld erhalten würden, dann werden wir viel mehr leisten können! Stattdessen bekommen wir etliche nutzlosen Urkunden, Medaillen und die Aufforderungen Berichte mit Ergebnisse unserer Tätigkeit abzugeben, damit die eine oder andere staatliche Organisation sich mit denen schmücken kann. Sie kriegen aber nichts von uns, weil auch wir bis auf vereinzelten Ausnahmen nichts bekommen!"
Früher war es einfacher, die Trupp-Mitglieder waren arbeitstätig, jetzt sind die meisten Geringverdiener. "Vor fünf, sechs Jahren unternahmen wir zehn oder zwölf große Expeditionen im Jahr, nun sind es zwei bis drei", klagt Sergej, "der Staat hilft den Suchtrupps nur auf dem Papier, in der Realität kommt nichts dabei heraus. Wir machen alles auf eigene Kosten. Und hier wurden viel mehr als 350 sowjetische und etwa 150 deutsche Flugzeuge abgeschossen!" Ein Flugzeug heißt: bis zu vier Mann. Sergej erinnert sich oft an eine Hilfe, die freilich nicht von dem Staat, sondern wohl aus dem Jenseits kam: "Mal haben wir den ganzen Tag erfolglos geschaufelt und nachts träumte ich von einer Stelle. Am nächsten Tag habe ich sie gezeigt und exakt dort fanden wir sofort einen Motorschild mit Nummer. Anhand dessen konnte wir die ganze gefundene Besatzung identifizieren!"
Die Männer sind sich einig: Das Faszinierendste bei der Sucharbeit ist die Freude, die die Menschen überwältigt, wenn sie ihnen ihre Vorfahren zurückgeben. Solch eine schockierende Freude hat auch Igor erlebt: Die Gebeine seines Großvaters, der ein Flieger war, wurden in der nähe von Moskau von einem Suchtrupp entdeckt. Igor holte sie ab und im Sommer 2014 wurden sie in Majramadag feierlich bestattet.