Filmkritik: "Nur eine Stunde Ruhe"
Foto: epd/Fidélité Production/Pascal Chantier
Filmkritik: "Nur eine Stunde Ruhe"
Kurz vorm Nervenzusammenbruch
"Nur eine Stunde Ruhe" heißt der neue Film von Patrice Leconte. Und nichts wünscht sich Zahnarzt Michel Leproux sehnlicher, um sich seine neue Jazzplatte anzuhören. Aber der Weg dahin ist in dieser bösen Komödie mit Missgeschicken gepflastert.
15.04.2015
epd
Gerhard Midding

Vor gut einem Jahrzehnt avancierte der polnische Klempner in Frankreich zum geflügelten Wort. Millionen einheimischer Handwerker fürchteten im Zuge der EU-Osterweiterung um ihren Broterwerb. Als Schreckgespenst war er weit erfolgreicher als sein Konkurrent, der estnische Architekt. Nicht einmal die Erkenntnis, dass das Aufkommen polnischer Installateure in Frankreich nur zweistellig war, konnte die Furcht bannen.

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Der Zahnarzt Michel Leproux (Christian Clavier) hingegen gibt sich aufgeklärt. Längst weiß man in seinen Kreisen die geschickten Schwarzarbeiter zu schätzen. Aber was tun, wenn sich der Pole als hochstapelnder Portugiese entpuppt, der die halbe Wohnung unter Wasser setzt? Das ist freilich nur eines von mehreren Missgeschicken, die an diesem Nachmittag über Leproux hereinbrechen.

Seine Geliebte wird von Gewissensbissen geplagt, ein nichtsnutziger Freund will ihn anpumpen, sein Sohn will Asylsuchenden im Dienstbotenzimmer Unterschlupf gewähren, und seine Frau muss ihm ein Geständnis machen. Zu allem Überfluss soll eine Feier zur Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen stattfinden.

Alle Welt hat sich verschworen, ihn von der Erfüllung seines innigsten Wunsches abzuhalten: endlich das Album des Jazzklarinettisten Neil Youart zu hören, das er seit Jahrzehnten sucht und nun endlich auf dem Flohmarkt erstanden hat.

Eine Salonkomödie trifft weltoffene Gesellschaft

Nur eine Stunde Ruhe: Patrice Lecontes Adaption des Erfolgsstücks von Florian Zeller beruht auf dem Grundimpuls der Komödie, dem Triebaufschub. Personal, Dekor und Komplikationen könnten aus einer Salonkomödie des vorletzten Jahrhunderts stammen, die nun mit den Zumutungen einer weltoffenen Gesellschaft konfrontiert wird.

Die gut geölte Dramaturgie erlegt dem misanthropischen Kleinbürger, der für niemanden ein offenes Ohr hat (der Titel des Albums, "Me, Myself and I", könnte bezeichnender nicht sein), eine harte Prüfung auf, aus der er vielleicht geläutert hervorgehen wird. Bis dahin folgt der Parcours der Verheerungen dem Prinzip der Demontage. Leconte, der die Schwerelosigkeit sonst einen Hauch melancholischer gestaltet, entlockt ihm ein boulevardeskes Knistern, bei dem es weniger auf Psychologie als auf Timing ankommt.

Komödiantischer Druckkessel

Auf der Bühne spielte Fabrice Luchini den Egomanen, wahrscheinlich mit narzisstischerem Vergnügen als Clavier, der nach "Monsieur Claude und seine Töchter" erneut in die Fußstapfen von Louis de Funès treten darf. Zwar agiert er als komödiantischer Druckkessel nicht ganz so hinreißend cholerisch wie sein Vorbild. Aber seine Dialoge sind bisweilen von erlesener Bigotterie.

Seine Partner haben seiner zeternden Raserei freilich wenig entgegenzusetzen. Die Rolle seiner Ehefrau ist sträflich arglos geschrieben, und Carole Bouquet legt sie zunächst allzu schlafwandlerisch an. Leconte lässt das Publikum allein mit seiner Hauptfigur. Wenn der Film sich von Leproux verabschiedet, tut er es in einem Moment versöhnlicher Wehmut, in dem dem Zuschauer unerwartet das Herz aufgehen darf.