Jesus von Nazareth und Martin Luther sind unserer Zeit voraus und aktuell. "Jesus hat es vor 2000 Jahren verstanden, das, was er Menschen sagen wollte, in Geschichten zu erzählen", sagt Oberkirchenrat Markus Bräuer, Medienbeauftragter der EKD zur Einführung. Jesus tat, was Journalisten seit den 1950er Jahren wissen: Geschichten, gut erzählt, finden reges Interesse. Auch Martin Luther könne da ein Vorbild sein, meint Bräuer. Der Reformator hat vor 500 Jahren dafür gearbeitet, dass alle Menschen die Bibel in deutscher Sprache lesen und verstehen konnten. Bräuer wünscht sich künftig mehr Geschichten, die Kreativität freisetzen und ihre Nutzer zu einem verantwortungsvollen Handeln motivieren.
"Facts tell, Stories sell", lautet das Thema der Tagung und 120 Teilnehmer fragen sich einen Tag lang, wie der Online-Journalismus die Herzen der Menschen erreichen kann. Ohne Emotionen läuft da wenig. Was als "Gefällt mir" angefangen hat, heißt jetzt fein ausdifferenziert "Lachen, Weinen, Wut, Staunen, Wow" oder auch "LOL, genial, omg, süß, fail, wtf" und steht bei Buzzfeed in der Top-Navigation. Gibt es überhaupt noch eine Zukunft für lange Geschichten, die in Zeitungen stehen oder für opulente Multimedia-Reportagen, trimedial in (Bewegt-)bild, Ton und Text aufbereitet?
"Mittelmaß kann sich heute keiner mehr leisten"
"Analogen Wein in digitale Schläuche zu kippen, das wird nicht klappen", sagt der Journalist und Blogger Richard Gutjahr. Sein Rezept heißt: "Make it snackable", mach es leicht konsumierbar und erzähle die Geschichte in sich geschlossen und verbreite sie auf mehreren digitalen Kanälen. Es gilt: Inhalte müssten immer "likeable" und "searchable" sein, denn: "Wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution", sagt er. Er plädiert für mehr Mut des Ausprobierens. "Die alten Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, die neuen funktionieren noch nicht", sagt Gutjahr. Mit dem schnellen Glasfasernetz komme der Durchbruch im Internet. Auch gebe es einen klaren Kompass, der einem zeige, ob die Geschichte gut sei: "Würdest Du selbst die Geschichte liken? Falls nicht, dann fliegt sie raus oder muss anders erzählt werden." Die Publikumsfrage, warum Inhalte überhaupt auf Facebook gepostet werden sollten, ohne dass die Zugriffe dann für die eigene Seite zählten, fällt für Gutjahr klar aus: "Weil sie dann überhaupt wahrgenommen werden". Sein Rat: "Sei der Erste, dann bist Du unique, oder sei der Beste, dann wirst Du wahrgenommen." Mittelmaß hingegen könne sich bei der heutigen Konkurrenz kein Journalist mehr leisten.
Das publizistische Erfolgsrezept von Milou Klein Lankhorst, Herausgeberin von "De Correspondent", fußt auf: "Themen statt Nachrichten, ständiger Innovation und Nutzern, die Mitglieder sind und nicht nur Abonnenten." Ihre Redaktion in den Niederlanden arbeitet nicht nachrichtengetrieben, sondern setze eigene inhaltliche Schwerpunkte. De Correspondent ist ein erfolgreiches Crowdfunding-Projekt. Die zahlenden Nutzer werden in die Themenplanung mit einbezogen: "33.000 zahlende Mitglieder wissen mehr als 30 Korrespondenten". Die Redaktion ist stets dialogbereit: "Unsere Leser sind nicht nur die Empfänger der Nachrichten, sondern tragen selbst dazu bei." Mitglieder könnten unter Angabe ihrer beruflichen Erfahrung, etwa als Sozialarbeiter, Artikel kommentieren und so zusätzliche Blickwinkel beisteuern. Der Erfolg ist eine steigende Auflage. Zudem agierten die Leser als Botschafter des Online-Magazins. "Sie teilen unsere Inhalte auf Facebook, Twitter oder WhatsApp", sagt Lankhorst.
Relevanz und Authentizität bleiben wichtig
Stephan Lamby, Filmemacher und Produzent, von dbate, liebt den aufklärerischen ungeschminkten Journalismus im Netz. dbate.de startete vergangenen November als Debattenplattform. Im Mittelpunkt stehen subjektive Videotagebücher zu aktuellen Ereignissen in aller Welt, etwa "Meine Revolution", Skype-Interviews und Kolumnen von Videobloggern, die öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Korrespondenten in die Welt zu schicken koste Zeit und Geld, sagt Lamby. Stattdessen setzt dbate auf das vorhandene, von Menschen vor Ort aufgenommene Videomaterial, etwa beim Tsunami in Japan oder aus Kiew, aus Regionen, wo sie keinen Reporter hingeschickt hätten. Daraus entstehen Relevanz und Authentizität, sagt Lamby: "Die meisten Zulieferer haben kein wirtschaftliches, sondern ein politisches und publizistisches Interesse."
Hierfür schaffe man die Öffentlichkeit. Der drohenden Gefahr der Instrumentalisierung begegne man mit größter Sorgfaltspflicht bei der Prüfung der Inhalte. Zudem werde das Urheberrecht am Material vertraglich festgehalten. Lamby ist überzeugt davon, dass im Netz "nicht nur Platz für Trallala ist". Die Länge der Videos spielt für ihn hingegen keine große Rolle. Ihr bisher größter Klickbringer war ein sechsstündiges Videointerview mit Helmut Kohl in der Rohfassung. Das sei schließlich alles andere als kurz.
Barabara Hans, Stellvertretende Chefredakteurin von Spiegel Online, gibt einen Einblick in die Praxis ihrer Redaktion in Sachen multimediales Storytelling. Am wichtigsten ist: Gut gebaute multimediale Geschichten in der Scroll- oder Klick-Logik seien immer aufwendiger als gedacht, so dass es für die gute Umsetzung einen langen Atem, Idealismus und Personalkapazitäten brauche. "Storytelling ist Teamwork und verträgt keine Eitelkeit." Jedes Medium habe seinen eigenen Rhythmus und jeder Mitarbeiter seine eigenen Fähigkeiten. Eine gute Geschichte sei letztlich auch immer ein Kompromiss. Allerdings lasse sich mit den publizistischen wertvollen Inhalten noch kein Geld verdienen. Eine gute Geschichte bleibe aber eine gute Geschichte.
Saim Alkan, aexea GmbH, will Journalisten nicht ersetzen, sondern sie von lästigen Routinearbeiten befreien. Roboterjournalismus könne heute schon sehr viel leisten. Er plädiert dafür, das emotionslose Generieren von Text aus Fakten in Zukunft besser einem Algorithmus zu überlassen. "Denn die Zeit der Menschen ist zu wertvoll, um sie für Journalismus ohne Leidenschaft zu verschwenden." Meldungen und Nachrichten dieser Art könnten auch von Maschinen in unterschiedlichen Sprachen geschrieben werden, 50 Prozent der Inhalte einer überregionalen Tageszeitung könnten so generiert werden. Eine Bewertung durch redaktionelle Kommentare sei allerdings durch die Programme noch nicht möglich, dafür braucht man weiterhin Menschen.
Die wichtigste Währung der Modeblogger Carl Jakob Haupt und David Roth von dandydiary.de ist Aufmerksamkeit. Auf den Modemessen in London, Prag und Berlin sind sie vorn dabei. Für Furore sorgen Aktionen, wie ihr Modeporno, der allerdings bereits wieder aus dem Netz genommen wurde oder auch der Flitzer, den sie in eine Mailänder Modenschau einschleusten. Juristische Prügel brachten ihnen gefälschte Kinderarbeits-Bilder in der Auseinandersetzung mit H&M ein. Als Macher des führenden deutschen Männermode-Blogs raten sie: "Macht, worauf ihr Bock habt, seid mit ganzer Leidenschaft dabei".
"Es gab noch nie ein perfektes Erlösmodell"
Den Abschluss des Frankfurter Tag des Online-Journalismus machte Journalist, Moderator und TV-Produzent Friedrich Küppersbusch. Es gehe das Gerücht um, es gebe Gold im Internet zu verdienen. Erlöse zu generieren, sei indes schwierig. "Aber es gab noch nie ein perfektes Erlösmodell für Medien. Niemand kann sich darauf berufen, keinen Journalismus zu machen, weil es noch kein Erlösmodell gibt. Das kommt beim Tun." Das Internet bietet für Küppersbusch für Journalisten nun die Chance, eigene Bewegtbild-Inhalte selbst zu verbreiten. Deren Produktion sei durch die technischen Entwicklungen deutlich günstiger geworden.
Im Journalismus ist die Zeit des Experimentierens angebrochen, so lässt sich die inhaltlich dichte Tagung resümieren. Und auch für die Finanzierung gibt es immer mehr funktionierende Modelle – von öffentlich-rechtlich über Youtube-Vermarktung bis zu Crowdfunding. Eines zeigte der 11. FTOJ aber sehr deutlich: Die Zukunft ist vielfältig, und ein Patentrezept für alle gibt es nicht.