Im Januar 2015 hat sich Christiane Bender öffentlich bekannt: "Ich bin Christin." Geoutet, sozusagen. Sie trägt ein silbernes Kreuz an einer silbernen Kette. Nicht als Modeaccessoire, sondern als Zeichen: "Die eine Seite zeigt zu mir, die andere zu Ihnen", sagt sie. Christiane Bender wohnt seit vier Jahren in Friedberg und im vergangenen Jahr reifte ihr Entschluss: "Wenn ich nochmal etwas ändern will, dann jetzt. Und hier."
Das silberne Kreuz trägt sie nicht, weil sie jetzt für den Kirchenvorstand kandidiert. Sie kandidiert, weil sie sich als Christin bekennen möchte: "Weil Pegida-Anhänger meinen Glauben mit schwachsinnigen Parolen missbrauchen. Weil die islamistischen Fundamentalisten der ISIS den Glauben an sich missbrauchen", deswegen ließ sie sich das Kreuz im Januar 2015 zum Geburtstag schenken, deswegen fühlt sie sich aufgefordert, sich zu bekennen. "Ich interessiere mich schon immer für Politik und Weltgeschichte", sagt sie. Doch bisher habe sie das alles "überspült."
"Ich stehe hier mit leerem Glas"
Im vergangenen Jahr 2014 bekamen Weltgeschichte und Politik für sie zwei Gesichter: Abdi und Rafael, ein Muslim und ein orthodoxer Christ aus Äthiopien und Eritrea. Sie wohnten für knapp drei Monate in Christiane Benders Friedberger Kirche: "Ich liebe dieses Gebäude". Der Kirchenvorstand hatte sich entschieden, die zwei jungen Männer ins Kirchenasyl aufzunehmen. Christiane Bender entschloss sich, die beiden zu unterstützen. Mit anderen Freiwilligen teilte sie sich den Deutschunterricht auf, in Anlehnung an Siegfried Lenz‘ gleichnamigen Roman nannte sich der Kreis der Freiwilligen "die Deutschstunde". Immer Montagnachmittag kam sie für zwei Stunden zu Abdi und Rafael, versuchte ihnen ein wenig deutsch beizubringen.
Christiane Bender mochte diese Art des zivilen Ungehorsams. Im politischen Mainstream ist es unkonventionell geworden, zu helfen. Anscheinend – wenn selbst der Bundesinnenminister das Kirchenasyl mit der Scharia vergleicht. Das Kirchenasyl ist mittlerweile beendet – mit einer Prüfung der Asylanträge und einem begrenzten Aufenthaltsstatus – , Christiane Bender möchte sich weiter einbringen. Mit einer Flasche Wein in der Hand, stellt sie sich am Vorstellungsabend für den neuen Kirchenvorstand ihrer Gemeinde vor. "Ich bin Rheinländerin: ein optimistischer Mensch und freue mich über das Leben. Das will ich anderen weitergeben", sagt Christiane Bender. Der Vorstellungsabend ist nicht gut besucht, aber Christiane Bender macht das nichts aus.
"Wem kaufe ich im Winter zuerst warme Schuhe?"
Sie hat ein Ziel, im Kirchenvorstand mitarbeiten, in der Gemeinde etwas bewegen. Doch das Glas ist noch leer, das sie in einer weiteren Vorstellungsrunde in den Händen hält: "Ich stehe hier mit leerem Glas, weil ich noch nicht weiß, was auf mich im Kirchenvorstand wirklich zukommt", sagt sie. Pfarrerin Susanne Domnick hat Christiane Bender ermutigt, zu kandidieren. Susanne Domnick sagt: "Wir haben sehr intensiv diskutiert – mit jedem, der kandidiert."
Eine Gemeinde ist ein großes Ganzes mit mehreren Ebenen. Wer für den Kirchenvorstand kandidiert, kandidiert für die Leitung einer Gemeinde. "Wir sind ein Betrieb mit 35 Angestellten", sagt Susanne Domnick. Wie sieht die Zukunft der Kindergärten aus? Wie gestalten wir unsere Gebäude? Wie wollen wir als Gemeinde nach außen wirken? Wie stellen wir uns nach innen auf, um eine verlässliche Basis zu sein? "Christiane kann das große Ganze sehen und Verantwortung übernehmen", sagt Susanne Domnick, sie geht davon aus, dass sich Christiane Benders leeres Glas mit Aufgaben füllen wird.
"Ich habe ein eher kindliches Verhältnis zu Gott", sagt Christiane Bender. Wenn sie betet, dann sagt sie dies: "Herr, segne mich und erweitere mein Gebiet. Stehe mir bei und halte Unrecht und Schmerz von mir fern." Sie fleht Gott nicht an um Dinge, sagt sie, sondern sie vertraut: "Ich habe ein tiefes, inniges Gottvertrauen und ein Gefühl von Freiheit. In mir ist Ruhe und Sicherheit, weil ich weiß, dass jemand da ist", sagt sie.
Sie meint damit nicht, dass es immer leicht für sie gewesen ist. Ihre erste Ehe mit dem Mann ihrer drei Kinder scheiterte, danach lebte sie dann als Alleinerziehende von der Hand in den Mund: "Ich hatte viele schlaflose Nächte: Wem kaufe ich im Winter zuerst die warmen Schuhe?"
Zum Glauben fand sie erst, nachdem die Töchter im katholischen Hunsrück den Wunsch verspürten, weiße Kleidchen zu kaufen und zur Kommunion zu gehen; nachdem der Sohn mit einem Freund zu den Zeugen Jehovas gegangen war und angetan zurückkam: "Da haben mich meine Kinder gefragt: Warum sind wir eigentlich evangelisch? Ich habe dann erstmal einen Glaubenskurs gemacht, diese Frage wollte ich meinen Kindern nicht schuldig bleiben."
Wenig später erkrankte ihre Mutter an Krebs. Der Glauben, den sie im Kurs gefunden hatte, die Gemeinde, zu der sie dadurch gekommen war, waren ihr eine Stütze: "Wir waren eingebunden", sagt Christiane Bender. Sie war dafür dankbar. Oft ist sie dankbar, sagt sie. Auch für die späte Liebe, die sie fand, für ihren zweiten Mann, den sie vor zwei Jahren heiratete und für den sie aus Koblenz nach Friedberg kam.
Pfarrerin Susanne Domnick sagt: "Ich denke, Christiane, dass du etwas zurückgeben möchtest". Christiane Bender nickt. Ja, sie sei dankbar für so vieles – für die ganze Liebe in ihrem Leben. Sie will etwas zurückgeben und etwas weitergeben von dieser Liebe, die ihr Herz erfüllt. Sie will etwas bewegen. Das kann man nur dort, wo man gerade ist und wo man anderen Menschen begegnet. Deswegen kandidiert Christiane Bender – aus Liebe.
Am 26. April 2015 wurde Christiane Bender in den Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde in Friedberg gewählt.