In Ihrer Bonhoeffer-Biografie beschreiben Sie, wie dieser und Ihr Vater, Hermann Schlingensiepen, nach einer Verhaftung gemeinsam in der "Grünen Minna" saßen und diskutierten. Von diesem Vorfall haben Sie erst Jahre später erfahren. Wann ist Ihnen der Name "Dietrich Bonhoeffer" stattdessen zum ersten Mal begegnet?
War die gemeinsame Begeisterung für Bonhoeffer Grundstein ihrer Freundschaft?
Schlingensiepen: Nicht von Anfang an. Begonnen hat die Freundschaft mit Mozart-Sonaten. Ich spielte Geige und Renate Bethge glänzend Klavier. Deshalb war ich gern gesehener Gast im Haus. Ich habe aber früh mitbekommen, dass Eberhard Bethge dabei war, den Nachlass seines Freundes zu entziffern. Er war immer ganz tief drin in den Dingen, an denen er gerade saß. Deshalb ging es in unseren Gesprächen oft um Bonhoeffer. Ich war ganz fasziniert von den "Gesammelten Schriften", die Bethge herausgegeben hat. Immer, wenn ein Band fertig war, habe ich den besprochen.
Haben Sie dann auch mal gemeinsam am Nachlass geforscht?
Schlingensiepen: Ich muss gestehen, dass ich mich mehr für die Inhalte als für die Handschriften selbst interessiert habe. Ich arbeite am liebsten mit der großen neuen Bonhoeffer-Ausgabe. Da hat man alles beisammen. Ich habe immer diejenigen bewundert, die mit den Originalen gearbeitet haben – Bonhoeffer hatte ja eine Sauklaue. Das wäre nicht meins. Diese Arbeit hat Bethge gemacht.
Wissen Sie, warum Bethge so viel Zeit und Kraft in den Nachlass investiert hat?
Schlingensiepen: Er wusste schon seit der gemeinsamen Zeit im Predigerseminar in Finkenwalde, wie wichtig Bonhoeffers Gedanken für eine Gesellschaft sind. Dass sie ein besonderes Kapitel der Kirchengeschichte erlebt haben, war den Schülern Bonhoeffers völlig klar. Er ist als Lehrer hoch verehrt worden. Bei Bethge ging es noch einen Schritt weiter. Bonhoeffer ist bei seinen Gedanken durch nichts so sehr angeregt worden wie durch die Fragen von Eberhard Bethge. Ich habe mal im Scherz gesagt, dass der Satz in einem Brief von Engels an Marx – "Ich denke in dir und du denkst in mir" – auf die beiden zutrifft.
Auch wenn Sie nicht die Handschriften entziffert haben, waren Sie immer nah dran am Nachlass von Bonhoeffer. Was hat Sie an seinen Schriften so begeistert, dass er auch für Sie ein Lebensthema wurde?
Schlingensiepen:
Bonhoeffer ist, was meine theologische Bildung anbelangt, inzwischen der wichtigste Lehrer. Ein beeindruckendes Beispiel ist ein Brief, den Bonhoeffer am Tag nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler an Bethge verfasste. Darin schreibt er, man könne ja auch mal die theologische Arbeit unterbrechen und nur über das, was man glaube schreiben. Er wusste, dass er sterben würde und machte in seinem Brief deutlich, dass er sich in Gottes Hand wusste.
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Doch noch etwas anderes ist außerordentlich an dieser Konversation. In den vorangegangenen Briefen hatte er mit Bethge über eine moderne Art der Theologie gesprochen. Dann kommt die kurze Unterbrechung vom 21. Juli, anschließend führt er ganz konzentriert die Diskussion weiter. Bonhoeffer ließ sich also durch die Katastrophe des gescheiterten Attentats gar nicht aus der Ruhe bringen. So sicher war er sich dessen: Gott hat auch das gewollt. Ich finde diese Verbindung von leidenschaftlicher Frömmigkeit, Liebe zu Jesus und modernem Denken beeindruckend. Die mag es bei manchem geben, aber nirgendwo so klar und zur Weitergabe geeignet wie bei ihm.
Sie sprechen Ihre theologische Bildung an. Hat Bonhoeffer auch Ihren Glauben beeinflusst?
Dieser Auffassung waren nach dem Zweiten Weltkrieg längst nicht alle. Selbst von vielen Theologen wurde Bonhoeffer kritisch gesehen. Woran lag das?
Schlingensiepen: Die Attentäter des 20. Juli wurden im westlichen Nachkriegsdeutschland von vielen als Verräter gesehen. Bei Bonhoeffer kam hinzu, dass er sich als Pfarrer daran beteiligt hatte. Noch die ersten Synoden nach dem Krieg haben gesagt, dass hätte nie und nimmer sein dürfen. Ein zentraler Punkt war sicherlich auch das Schuldbekenntnis, was in Bonhoeffers Ethik zu finden ist. Er war davon überzeugt, dass ohne ein Schuldeingeständnis der Deutschen kein Neuanfang möglich sei. Das passte nicht zur Stimmung in Westdeutschland, wo Adenauer alle alten Nazis wieder in ihren Stellen aufnahm. Von dieser doch deutlich rechteren Politik ist die Bundesrepublik erst nach den Studentenprotesten und der großen Rede von Richard von Weizsäcker abgerückt.