Einige Angehörige haben die Nacht am Flughafen verbracht. In welcher Situation sind sie?
Uwe Rieske: Einige Angehörige haben am Flughafen übernachtet, andere sind nach Hause gefahren, aber heute Morgen wieder gekommen. Den meisten hat man angesehen, dass sie heute Nacht nicht geschlafen haben. Was sie suchen sind Informationen, Informationen, Informationen. Angehörige in solchen Situationen hängen an den Fernsehgeräten, an den Livetickern. Am Dienstag haben sie auch dringend darum gebeten, dass ein Fernseher dort installiert wird im Raum. Sie wollen den aktuellen Stand wissen. Die Angehörigen sind in einer sehr belasteten Situation, weil sie einerseits wie wir glauben, dass es keine Hoffnung gibt. Aber sie glauben das andererseits erst, wenn eine Identifizierung zweifelsfrei erfolgt ist. Wenn es wie gestern aus einer Quelle Meldungen gibt, man habe dort Lebenszeichen gesehen, flammt sofort die Hoffnung auf: 'Mein Angehöriger winkt und braucht Hilfe'.
Wie geht man mit dem Gefühl der Ohnmacht der Menschen um?
Rieske: Die Hoffnung, dass die Angehörigen wieder auftauchen, besteht tatsächlich bis zu letzt. Es gilt, sie in diesem Zustand darin einfach zu begleiten. Es gibt keinen Trost in solchen Situationen. Es gibt nur ein bei ihnen sein, ein Aushalten und schauen, welche Bedürfnisse da sind. Diese Lage ist für viele Angehörige dominant. Sie können sich nicht auf ihren Alltag konzentrieren oder auf andere Dinge. Je nachdem, wen sie verloren haben, dominiert diese Beziehung und dieser Verlust nun alles andere.
Was bieten sie den Menschen an?
Rieske: Wir werden Rituale anbieten, wo Angehörige zueinander finden und sich untereinander über ihre Bewältigungsstrategien austauschen können, über ihre Lage, über das, was sie brauchen. Diese Form der begleiteten Angehörigenbetreuung ist eine Besonderheit der Notfallseelsorge im Rheinland. Wir haben damit viele Erfahrungen gesammelt: nach dem Tsunami von 2004, nach dem Loveparade-Unglück, nach Flugzeugabstürzen, nach Busunglücken. Das werden wir auch hier wieder anbieten. Erfahrungsgemäß ist das für Angehörige eine wertvolle Hifle, miteinander einen angenehmen Weg der Verarbeitung zu finden.
Die Aufmerksamkeit der Medien balanciert in solchen Krisensituationen oft zwischen Voyeurismus und Anteilnahme. Was tun Sie?
Rieske: Es geht darum, dass die Betroffenen dieser Katastrophe, zunächst einmal das finden, was sie brauchen: Zugang zu Informationen. Es gibt einige, die mit ihrer Not vor die Presse gehen wollen. Das sind aber nur wenige. Viele erleben sich wie paralysiert, wie unter einer Glocke, in dieser Situation und können eine Störung von außen, jede zusätzliche Zumutung, nicht ertragen. Als so eine Zumutung werden auch Anfragen von Medien empfunden. Das heißt: Unsere Aufgabe ist es auch, Betroffene vor andringenden Medienanfragen zu schützen. Wir versuchen die Vertraulichkeit herzustellen, die die Betroffenen jetzt brauchen.
Auch, in dem Sie Anfragen abfangen?
Rieske: Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Angehörigen und versuchen für sie das Beste rauszuholen. Dazu gehört auch der Schutz vor Medienanfragen. Wenn wir Rituale anbieten, werden wir Schutzräume für die Betroffenen einrichten, in die sie sich zurückziehen können. Etwa nach einer Gedenkfeier, dass sie dann in geschützten Räumen beieinander sein können.
"Wohltuende Zurückhaltung der Medien"
Wie bewerten Sie den bisherigen Umgang der Medien mit der Situation?
Rieske: Es ist unterschiedlich. Ich habe bei den Öffentlich-Rechtlichen eine große Zurückhaltung gespürt. Ich fand es sehr wohltuend, das gestern keine Bilder von Angehörigen gezeigt wurden. In anderen Medien war dies anders und ich kann da nur zur Zurückhaltung mahnen. Auch die öffentliche Aufmerksamkeit ist ein Faktor, der Menschen zusätzlich belasten kann: Wenn sie hautnah mit Anfragen konfrontiert sind, mit denen sie einfach nicht rechnen.
Gibt es schon Anfragen an ihre regionalen Seelsorger-Teams?
Rieske: Manche Menschen haben akuten Betreuungsbedarf. Insbesondere dann, wenn Familien von der Polizei gebeten werden, Identifizierungsmaterial bereitzustellen. Viele Teams der Notfallseelsorge erhalten jetzt Anfragen, nach Unterstützung in diesen Familien.