Menschen in festlichen Gewändern vor goldenen Altären und Tempelfahnen am Strand von Bali
Foto: Michael Lenz
Rendezvous mit den Göttern des Hinduhimmels am Strand von Kuta
Dämonen, Exorzismus und Stille – Bali feiert Neujahr
Am 21. März haben die Menschen auf Bali in diesem Jahr das traditionelle Fest zur Jahreswende "Nyepi" gefeiert. Mit Paraden, vor allem aber mit 24 Stunden in absoluter Stille und Dunkelheit. Und das gilt auch für alle Nicht-Hindus.

Vögel zwitschern, Hähne krähen, die Hunde in der Nachbarschaft bellen. Ansonsten dringt kein einziges Geräusch von der Straße über die Mauern rund um Hanafis Gästehaus in Cangu. Kein Mopedgeknattere, kein Autolärm, keine Stimmen, nichts. Es ist Nyepi, das balinesische Neujahrsfest, das die Hindus von Bali in aller Stille begehen. Seit sechs Uhr an diesem Samstagmorgen bis zum Sonntag um sechs Uhr herrscht Ausgangssperre im Namen der Religion. In der Nacht ist auch Licht nicht erlaubt. Das balinesische Silvester ist ein Tag der Ruhe, der inneren Einkehr, des Fastens.

Nyepi vorausgegangen sind Tage der inneren Reinigung, des Exorzismus von Geistern und Dämonen, von denen es im Glaubenskosmos des balinesischen Hinduismus reichlich gibt. Eines dieser Rituale sind die Umzüge mit den riesigen, opulenten, bunten, schaurig-schönen Ogoh Ogoh-Figuren am Abend vor Nyepi. Die Ogoh Ogohs sind Symbole all dessen, was den Menschen Leid zufügt. Das können Geister und Dämonen sein, soziale Missstände wie Prostitution oder die Sünde der Eitelkeit. Ein Ogoh Ogoh in monströsen roten Pumps, ein Bein kess nach hinten gebogen und mit breitem Grinsen in die Smartphonekamera, zum Beispiel, nimmt Selfies als moderne Form der Eitelkeit aufs Korn.

Mit dieser Ogoh Ogoh-Figur wird die Sefie-Manie auf die Schippe genommen

"Die Älteren machen die Vorschläge für das Thema eines Ogoh Ogohs und wir Jungen bauen die Figuren dann", erzählt Yoga. Der 20-jährige aus dem Dorf Tegal Lalang in der Nähe der Künstlerstadt Ubud ist stolz darauf, an dem Ogoh Ogoh mitgearbeitet zu haben. "Meine Aufgabe war es, die Materialien zu beschaffen", erzählt der junge Mann mit der großen schwarzen Sonnenbrille und schwarzen Knöpfen in beiden Ohren. Er werde auch unter den jungen Männern sein, die an diesem Abend den Ogoh Ogoh auf einem Bambusgitter durch das Dorf tragen. "Nur unverheiratete Männer dürfen das", klärt Yoga den Besucher auf und lacht auf die Frage, ob das Ding nicht richtig schwer ist, laut auf. "Ich bin stark", sagt Yoga mit dem Selbstbewusstsein eines Jugendlichen, der sich weder vor Dämonen, schweren Aufgaben noch dem Leben fürchtet.

Den Nyepi-Tag wird Yoga so verbringen, wie alle hinduistischen Balinesen: mit Fasten und Gebeten. Allerdings hat so jeder seine eigene Vorstellung vom Fasten. Für Yoga heißt das: wenig essen, wenig trinken. Gede hingegen, der in der Stadt Kuta am Vorabend der Ogoh Ogoh-Parade zusammen mit anderen Mitglieder seines Banja (Familienclan) letzte Hand an den Ogoh Ogoh anlegt, wird an Nyepi gar nichts essen. "Das ist das echte Fasten", beteuert der 29-jährige, der dem Banja Pande Mas angehört, einem Clan, der dem hinduistischen Kastensystem abgeschworen hat.

Touristen willkommen - aber nur als Zuschauer

Während im Hof des Gemeindezentrums des Banja Pande Mas zwei Gamelan Orchester abwechselnd musizieren, wird drinnen noch eifrig an den Ogoh Ogohs gearbeitet. Dem einen fehlt noch der Kopf. An dem anderen, dem größeren, sind Malerarbeiten im Gange. Die Figur stellt einen hockenden Bauern mit einer Schale in der Hand dar. Über der Schale schwebt ein gigantischer, grimmig dreinschauender Dämon mit riesigen Zähnen. "Der Dämon will den Mann am Beten hindern", erklärt Gede. Er macht auch kein Geheimnis aus der Konstruktion dieser scheinbar schwerelos schwebenden Figur. "In dem Mann ist ein Gerüst aus Bambus und Metall, das sich durch den Arm und die Schale in dem Dämon fortsetzt."

Eine anderes Ritual vor Nyepi ist die Melasti-Zeremonie. Tausende Balinesen in weißen Sarongs tragen zum Klang von Gongs und Trommeln unter knallroten Schirmen heilige Objekte aus ihren Tempeln in einer Prozession zum Strand von Kuta. Wo sich sonst braungebrannte, tätowierte Surfer tummeln, sind goldglänzende Altäre aufgebaut. Davor wehen in der leichten Meeresbrise Hunderte heilige Fahnen der Tempel und Banjas. Tänzer und Tänzerinnen bringen Opfergaben zu den Altären, Priester segnen die Gläubigen, die Religionspolizei Pecalang in ihrem schwarz-weiß karierten Sarongs sorgt dafür, dass die vielen hundert, mit Kameras und Smartphones bewaffneten Touristen die Zeremonie nicht stören. Zuschauer sind aber nicht nur erlaubt, sondern auch willkommen.

Die Stille, das Ausgehverbot am Nyepi-Tag ist total. Restaurants, Cafés, Bars sind geschlossen. Geldautomaten werden schon am Nachmittag des Vortags abgestellt, Fenster mit schwarzem Plastik abgeklebt, damit auch kein einziger Lichtstrahl nach draußen dringt. Selbst der Flughafen verfällt für 24 Stunden in einen Dornröschenschlaf. Dass die Nyepi-Regeln ausnahmslos für jeden gelten, für Touristen wie auch Angehörige anderer Religionen, gefällt nicht jedem. "Ich mag diesen Zwangscharakter von Nyepi nicht", sagt Ketut Waspada, Bischof der Protestantischen Kirche von Bali.

Waspada, selbst ein Balinese, weiß auch, dass das vor nicht allzulanger Zeit noch anders war. "Da mussten nur die Hindus Nyepi achten. Die Angehörigen anderer Religionen konnten ihr Leben normal weiterleben." Dass sich das im Laufe der Jahre geändert hat, führt Waspada auf einen zunehmenden Konservatismus im balinesischen Hinduismus zurück. Dabei hat der Bischof natürlich Verständnis für das Konzept des Fastens, der inneren Einkehr, der spirituellen Reinigung. "Das gibt es ja auch in anderen Religionen. Denken Sie nur an den Ramadan der Muslime oder die gerade noch andauernde Fastenzeit von uns Christen."

Viele Balinesen und andere auf Bali lebende Menschen entziehen sich Nyepi durch einen Kurzurlaub auf dem benachbarten Java. Auch Waspada und seine Familie entfliehen dem Tag ohne Fernsehen dorthin. Die fünf deutschen Studenten von der Hochschule Heilbronn, die kurz vor Nyepi ihr fünfmonatiges Auslandsstudium an der International School of Intrapreneurship and Sustainability (ISIS) der Dhyana Pura Universität auf Bali begonnen haben, sehen Nyepi gelassen entgegen. "Wir werden im Zimmer sein und lernen", beteuert Stephanie Welzel. Tobias Schüssler erinnert seine Kommilitonen jedoch daran, dass sie noch Proviant besorgen müssen. "Sonst müssen wir von Chips leben", lacht er. "Entrepreneurship in another perspective" heißt das Programm der International School of Intrapreneurship and Sustainability (ISIS) der Dhyana Pura Uni, einer Gründung der balinesischen protestantischen Kirche, an dem die fünf Deutschen teilnehmen.

Am Swimmingpool hinter den Mauern von Hanafis Gästehaus in Cangu lässt es sich derweil eine kleine, religiös bunt gemischte Schar an Nyepi gutgehen. Hanafi selbst ist ein Muslim aus Aceh, sein Partner Gede ein hinduistischer Balinese. Dazu haben sich ein katholischer Theologe aus Deutschland sowie eine protestantische Australierin gesellt, die sich von einer Schönheitsoperation erholt, der sie sich auf Bali unterzogen hat. Man döst, sonnt sich, liest Bücher, surft durch das Internet, erfrischt sich ab und an durch einen Sprung in den Pool. Um Fünf schon gibt es Abendessen. Nasi Campur, Reis mit Huhn, Tempeh, Gemüse und Spiegelei, steht auf dem Speiseplan. Denn kurz nach Sechs wird es dunkel und Licht ist ja an Nyepi nicht erlaubt.