Wie bereiten Sie sich auf so ein Großereignis wie die EZB-Eröffnung vor?
Wolfgang Hinz: Dem Tag gingen drei Tage voraus, an denen ich Kontakt zu den Einsatzkräften aufgebaut habe. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs und bin zu den einzelnen Gruppen aus den verschiedenen Bundesländern gefahren. Ich habe gefragt, wo sie herkommen, wie es ihnen geht und mit welchen Erwartungen sie in den Einsatz gehen? Viele sind davon angetan, dass sich jemand für sie auf's Rad setzt und sich für sie interessiert in diesen langwierigen und auch zeitweise nervtötenden Einsätzen. Sie haben im Vorfeld auch die Luft und Lust ein Gespräch zu führen. Im Einsatz sind die Polizisten dann fokussiert auf das, was ansteht und was sie zu bewältigen haben, da halte ich mich im Hintergrund.
Wie verlief Ihr Tag am Mittwoch?
Hinz: Ich bin schon ganz früh eine Runde gefahren und habe ein paar Gespräche geführt. Um sechs Uhr ging der Einsatz der Polizei richtig los. Dann ist es wichtig, dass ich an so einem Tag meine eigenen Eindrücke gewinne, damit ich weiß was läuft und meine Gesprächspartner später das Gefühl haben: Der war dabei und weiß wovon wir reden und was wir durchgemacht haben.
"Es ging vor allem um das Schicksal der Kollegen"
Die Polizisten haben am Mittwoch einiges durchgemacht.
Das war tatsächlich in einem Ausmaß der Fall, wie ich es selten erlebt habe. Ich bin nahe der Obermainanlage in eine der ersten Auseinandersetzungen hineingeraten, als Reifen und Mülltonnen brannten. Vermummte haben heftig Steine in Richtung Polizei geworfen. Der Schwarze Block hat mich fast überrannt, die Polizei lief hinter ihnen her. Da dachte ich: 'Um Himmels Willen, jetzt sieh bloß zu, wie du aus der Gefahrenlage kommst.' Ich habe mich richtig bedroht gefühlt.
Wie haben Sie sich selbst in dieser Situation geholfen?
Hinz: Mir kam die Tageslosung in den Sinn: "Gott, meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich (Ps 63,9)." Die war wie eine Überschrift für mich an diesem Tag und auch in meinem Umgang mit den Beamten. Letztlich geht es doch darum: Woran kann ich mich in solchen Extremsituationen der Bedrohung halten und was hält mich?
Hinz: Ja. Zudem bin ich während des Einsatzes in ein polizeieigenes Unterstützungssystem des Psychologischen Dienstes eingebunden und in Rufbereitschaft. Per SMS können wir Seelsorger benachrichtigt werden und uns auch gegenseitig benachrichtigen. Am Mittwoch war ich weitgehend auf eigene Faust unterwegs, eine Zeit lang auch in dem polizeilichen Chill-Out-Areal. Eine Zone, in der die Polizistinnen und Polizisten sich erholen und in Ruhe essen können. Dort habe ich ein paar anrührende Gespräche geführt. Es ging vor allem um das Schicksal der Kollegen, die in ihrem Polizeiwagen attackiert wurden und deren Wagen in Brand gesetzt werden sollte.
Was genau ist passiert?
Hinz: Am frühen Morgen haben Vermummte an der Flößerbrücke versucht einen Streifenwagen in Brand zu setzten, in dem noch zwei Polizisten saßen. Erst als Verstärkung eintraf, konnten die Männer im Steinhagel den Wagen verlassen. Der Wagen brannte dann ab. Einen solchen Anschlag haken auch gestandene, erfahrene Beamte nicht einfach ab.
Eine Situation, die vielen Polizisten an diesem Tag hätte passieren können.
Hinz: Dieses Ereignis jedenfalls hat die Runde gemacht. Da fühlen die Kollegen wirklich mit. Wir haben über die Eskalation von Gewalt gesprochen. Dass man bisher nicht mit sowas gerechnet hat. Frankfurt kannte das bisher allenfalls aus den heißen 1970er Jahren. Auch den Einsatz von Wasserwerfern habe ich in meiner langen Zeit als Polizeipfarrer so noch nicht erlebt.
"Die Lücken im Trottoir und den verschmorten Asphalt sieht man jetzt noch"
Worüber haben Sie noch gesprochen?
Hinz: Natürlich über den ganzen Einsatz: Es sind ja auch Pflastersteine geflogen, die Lücken im Trottoir sieht man jetzt noch. Es wird zwar aufgeräumt, aber der verschmorte Asphalt zeugt noch von den brennenden Barrikaden.
Wie können Sie vor Ort begleiten und vielleicht sogar trösten?
Hinz: Es ist dieses glaubhafte Zugewandt sein: Ich sehe die Polizisten in ihrer speziellen Situation und beruflichen Herausforderung. Außerdem versuche ich indirekt die Botschaft zu vermitteln: 'Wenn es wirklich hart auf hart kommt und ihr jemanden braucht, mit dem ihr vertrauenswürdig reden könnt, dann erinnert ihr euch vielleicht an die Gespräche, die wir nebenbei am Tag des Einsatzes geführt haben und kommt auf uns zu.'
Sie sind also eine moralische Stütze?
Hinz: Es gibt für die Polizisten im Einsatz immer eine Diskrepanz: Zwischen dem, wie sie laut Umfragen in der Bevölkerung gesehen werden und zwischen dem, wie ihnen im Einsatz begegnet wird. Die Bevölkerung respektiert die Polizei und ist froh, dass sie sie hat. Aber im Vollzug ihrer Arbeit erleben Polizisten das nicht unbedingt, sondern Widerstand auf alle möglichen Weisen. Darüber muss man reden: Die Grundakzeptanz ist da und ihr seid hochgeachtet. Natürlich aber auch: Werdet dem dadurch gerecht, wie ihr euern Dienst verrichtet.
Das ist Arbeit am Berufsethos?
Hinz: Ein sensibler Bereich. Es geht ja nicht nur um die rechtlichen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen, die sie haben, sondern auch darum, wie sie ihr Amt selbst verstehen und ausüben. Das hängt auch von der inneren Haltung und Einsatzfreude ab, bis ins Seelische hinein. Das ist keine Nebensächlichkeit, sondern spielt am Ende für die eigene Berufszufriedenheit, aber auch für ihr Auftreten eine entscheidende Rolle. Diese innere Haltung will ich stärken.
"Es geht nicht nur um die rechtlichen Rahmenbedingungen, es geht um die innere Haltung"
Wahrscheinlich ist es als Polizist auch schwierig solche Angriffe nicht persönlich zu nehmen?
Hinz: Gerade an Tagen wie am Mittwoch, wenn Steine fliegen und mit Feuer hantiert wird. Dazu die kindischen Provokationen dieser schwarzen Randalierer, wenn sie Grimassen ziehen und "Hier sind wir!" rufen, weil sie wendiger sind als die Beamten in ihren schweren Einsatzanzügen. Das Argument: Die Polizei provoziert, was passiert, ist schlichtweg Quatsch, ein mehr als durchsichtiges Manöver.
Als Außenstehender können Sie da den Rücken stärken, weil sie das wahrnehmen.
Hinz: Ich hoffe. Und auch als einer, der ethische Maßstäbe hat, über die er in anderen Zusammenhängen mit ihnen streiten kann, hier aber klar auf ihrer Seite steht.
Was passiert nun im Nachhinein?
Hinz: Ich war am Donnerstagmorgen im ersten Revier, das in den Morgenstunden angegriffen worden ist. Mehrere Streifenwagen vor dem Gebäude wurden angezündet, im Internet kann man die Szene sehen, die die Polizisten von innen gedreht haben. Das ist echt beängstigend, wie die schwarzen Gestalten auf die Wache zustürmen. Die Fassade sieht übel aus, auch die Steine liegen noch im Vorraum, die die Angreifer geworfen haben. Die Beamten, die das am Mittwoch durchstehen mussten, hatten am nächsten Tag frei. Aber die Kollegen, die einen Tag danach in diesen Räumen arbeiten müssen und sehen, was da passiert ist: Das ist schon bedrückend. Trotzdem müssen sie ihren normalen Dienst wieder aufnehmen und tun das auch. Darüber habe ich mit einer Gruppe in der Wache kurz gesprochen: Die Gewalt ging ja weit über das hinaus, was man gewöhnt ist. Dann die bange Frage: Müssen wir uns daran gewöhnen? Ich hoffe: Nein!