Das Erste, was einem auffällt, ist dieser Mantel: Kamelhaar, wüstensandbraun, zweireihig, edel. Man schreibt das Jahr 1981, und der Mann, der ihn trägt, ist Abel Morales (Oscar Isaac), ein kolumbianischer Einwanderer, der sich in New York ein Unternehmen als Heizöllieferant aufgebaut hat. Der Mantel steht bei ihm für Wohlstand und Seriosität, aber der Zuschauer erinnert sich, dass auch ein anderer Einwanderersohn einen solchen Mantel trug: Michael Corleone in "Der Pate 2". Da stand er für Macht und eiskalte Autorität. "A Most Violent Year" steckt voller Anspielungen auf die Filme der 70er Jahre.
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Tatsächlich sieht "A Most Violent Year", inszeniert von J.C. Chandor ("Margin Call"), sogar aus wie ein wiederentdeckter Film von damals. Morales versucht, geschäftlich und moralisch integer zu bleiben. Das aber ist alles andere als einfach, denn New York erscheint hier wie ein riesiger Sumpf. 1981 gilt statistisch als das kriminellste Jahr der Stadtgeschichte. Fortwährend tönen Schreckensnachrichten über Gewalttaten aus den Radios und setzen einen beklemmend-bedrohlichen Grundton. Wer soll in dieser Welt sauber bleiben?
Auch die Tankwagen von Morales' Firma werden regelmäßig überfallen. Vermutlich steckt ein Konkurrent dahinter, die Zeiten sind hart. Zudem setzt ihn ein Staatsanwalt (David Oyelowo) mit einer Betrugsanklage unter Druck. Das wiederum bringt Morales' Kreditwürdigkeit in Gefahr, ausgerechnet jetzt, wo er den Kaufvertrag für ein teures Lagerareal unterschrieben hat. Zunehmend in die Enge getrieben, muss er sich fragen, wie weit er für die Rettung seiner bröckelnden Existenz gehen will.
Abel ist ein Mann in existenziellen Konflikten. "A Most Violent Year" spielt zwar vor mehr als 30 Jahren, aber die Probleme des Mittelständlers wirken zeitlos. Man merkt, dass sich im kapitalistischen Wettbewerb die Methoden verändert haben, nicht aber die Prinzipien.
"Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, kein Gangster zu sein", sagt Morales einmal. Aber dieses Selbstbild erweist sich als idealisiert. Sein Erfolg basiert zumindest indirekt auf Kriminalität, denn seine Firma kaufte er einst von seinem Schwiegervater, einem berüchtigten Brooklyner Mafioso. Morales' Ehefrau Anna ist weit weniger gewissenhaft. Jessica Chastain spielt diese Gangstertochter als Mischung aus aufrichtig besorgter Gattin und kühl kalkulierender Patin. Ihren Mann nennt sie wegen seines Idealismus spöttisch "Mister American Dream".
Ohne Selfmade-Mut kein sozialer Aufstieg
Wie fließend die Grenzen zwischen "Streben nach Glück" und Wirtschaftsverbrechertum sind, signalisiert J.C. Chandor, indem er seinen Protagonisten mit den Merkmalen eines halbseidenen Typen ausstattet: das Auto ein bisschen zu dick, die Villa ein bisschen zu groß. Dabei ist er nur ein Mann, der seinen sozialen Aufstieg zur Schau stellen will.
Der Film skizziert die Milieus der eingesessenen Clans im Umfeld von Morales: die irischen und italienischen Familien, die den Heizölhandel unter sich aufteilen, die mächtige Gewerkschaft der Lkw-Fahrer, die ultraorthodoxen Juden, von denen Abel zu beinharten Bedingungen ein Lagergrundstück kauft, und dazwischen ein paar verzweifelte Ganoven, die mitten in New York Lastwagen kapern, als wäre es ein Kriegsgebiet.
"A Most Violent Year" beobachtet einen Mann beim Balanceakt dazwischen. Am Ende zeigt Oscar Isaac in einem äußerst starken Schauspielmoment nur durch eine Drehung der Augen, dass Morales seine Ideale verliert. Im nächsten Moment relativiert er seine moralische Haltung: "Ich habe stets den Weg gewählt, der am richtigsten war." Für ihn ist Existenzangst ein Ansporn. Wer diesen Selfmade-Mut nicht aufbringt, bleibt auf der Strecke. Diese Erkenntnis ist wohl das Brutalste an "A Most Violent Year".
USA 2014. Regie und Buch: J.C. Chandor. Mit: Oscar Isaac, Jessica Chastain, David Oyelowo, Alessandro Nivola, Albert Brooks, Elyes Gabel, Catalina Sandino Moreno. Länge: 125 Minuten. FSK: noch nicht bekannt.