Der Beschluss wirke "entdramatisierend" und lasse in größerem Maße als bisher in Bundesländern Lehrerinnen mit Kopftuch zu, sagte Heinig am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch werde die stärker laizistische Lesart der Verfassung in der Kopftuchentscheidung von 2003 durch den neuen Beschluss revidiert. "Der Staat des Grundgesetzes ist offen für die Religionen seiner Bürger", sagte der Jurist.
Als überraschend wertet es Heinig indes, dass der Erste Senat des höchsten Gerichtes von der früheren Entscheidung des Zweiten Senates deutliche abweiche, ohne die Gründe dafür deutlich zu machen. Damit verliere die Politik an Orientierungssicherheit. Denn es sei nicht ausgemacht, dass die nun gebotenen Einzellösungen vor Ort mehr Rechtsfrieden bringen als eine gesetzliche Regelung für das gesamte Bundesland. Zwar berücksichtige die Ortsnähe die konkreten Umstände, ob der Schulfrieden durch eine Kopftuch tragende Lehrerin gefährdet sei. Einzelregelungen könnten allerdings auch konfliktverschärfend wirken und zu neuen Ungleichbehandlungen führen, "wenn das Kopftuch in Duisburg verboten und in Münster zugelassen wird", argumentierte der Jurist, der das Kirchenrechtliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland leitet.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer am Freitag veröffentlichten Grundsatzentscheidung erklärt, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen gegen die Religionsfreiheit verstößt. Demnach genügt für ein solches Verbot keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden durch das Tragen eines Kopftuchs.
Ein radikaler Kurswechsel in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts schade mehr als dass er nütze, gibt Heinig zu bedenken. Es wäre vielmehr Aufgabe der Politik, die Erfahrungen mit den bisherigen Regelungen zu verarbeiten und etwa gesetzliche Anpassungen vorzunehmen.
"Natürlich können Ordenstracht und Kippa nicht anders behandelt werden wie das Kopftuch der Lehrerin", sagt Heinig dazu, dass die Karlsruher Richter die Gesetzesklausel zur "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" als verfassungswidrig erklären. Doch Bundesverwaltungs- und Bundesarbeitsgericht hätten gezeigt, dass diese Vorschrift verfassungskonform ausgelegt werden könnte. Davon weiche der Beschluss ohne Not ab, sagt Heinig.