Fast 500 Erkrankte seit Oktober – Berlin erlebt gerade die schlimmste Masernwelle seit Einführung der Meldepflicht 2001. Ein anderthalbjähriger Junge ist gestorben. Auch im Jahr 2013 stieg die Zahl der Fälle sprunghaft an. Dabei sollte diese ansteckende Krankheit in Deutschland eigentlich besiegt sein.
Viele fordern jetzt eine Impfpflicht, wie sie auch in anderen Ländern existiert. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagt, eine solche Verpflichtung sei angesichts der aktuellen Entwicklung kein Tabu. Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) und Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery springen ihm bei.
Lücke bei jungen Erwachsenen
Andere dagegen glauben, dass eine solche Impfpflicht nichts bringt. "Sie wäre verfassungsrechtlich fragwürdig und praktisch kaum umzusetzen", sagt Jan Leidel, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, in einem Interview der Wirtschaftswoche. Auch die Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche hält gesetzlichen Druck nicht für das Mittel der Wahl. Die Impfquote müsse vor allem bei jüngeren Erwachsenen verbessert werden. Die Impfkommission empfiehlt seit 2010 die Masern-Schutzimpfung für alle nach 1970 Geborenen. Diese Personengruppe erreiche man, so Schulz-Asche im Deutschlandfunk, am ehesten durch Information und Überzeugungsarbeit, die auf den Solidaritätsgedanken setze.
Argumente von Skeptikern bedenken
"Es gibt Krankheiten, die nicht nur einzelne, sondern uns alle betreffen", sagt Cornelia Coenen-Marx, Referentin der EKD für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen. "Wir haben eine Mitverantwortung für die Gesellschaft – das verlieren wir aus dem Blick." Im Anschluss an einen Beitrag für die Sendereihe "Gedanken zur Woche" im Deutschlandfunk habe sie mit vielen Menschen über das Thema gesprochen, berichtet die Oberkirchenrätin. "Manche haben noch die Impfpflicht in der DDR erlebt und plädieren stark dafür." Aber auch die Argumente von Impfskeptikern, etwa aus dem anthroposophischen Umfeld, müsse man bedenken. Viele fühlten sich nicht ernst genommen. "Das sind aber Leute, die sich sehr für ihre Kinder interessieren und die Dinge genau abwägen", sagt Coenen-Marx.
Bestehende Möglichkeiten auszuschöpfen - durch Impfregister, regelmäßige Kontrollen und Informationen - hält Coenen-Marx für den richtigen Weg. Dass vor der Aufnahme in eine Kita eine ärztliche Impfberatung nachzuweisen sei, wie im geplanten Präventionsgesetz vorgesehen, könne ein wichtiger Schritt sein. "Man muss mit den Eltern rechtzeitig sprechen", betont Coenen-Marx. "Viele haben eine sehr individualistische Sicht. Denen müssen wir ihre Verantwortung als Teil einer Gemeinschaft wieder bewusst machen."