Als Philipp Arndt (24) getauft wurde, geschah das nicht sonntags in einem offiziellen Taufgottesdienst, sondern an einem stillen Samstagnachmittag in der evangelisch-reformierten Jakobi-Kirche in Rinteln an der Weser. Das Baby hatte da schon seine erste Operation überstanden und viele weitere sollten noch folgen. Die Eltern wussten, dass ihr Kind es nicht leicht haben würde im Leben. Durch einen seltenen Gendefekt, das Apert-Syndrom, war Philipp Arndt mit verkrüppelten Händen und Füßen zur Welt gekommen, mit einer offenen Gaumenspalte und zusammengewachsenen Schädelknochen, die bewirkten, dass sich Kopf, Augen und Mund des kleinen Jungen extrem verformt hatten. Seine Familie war einfach nur froh, dass der Pastor, Martin Hausmann, ihnen einfühlsam anbot, in dieser beängstigenden Situation die Taufe in kleinem Kreis zu feiern.
"Die anderen und wie sie mich sehen, ja, das war immer schwer und ist es auch heute oft noch", sagt Philipp Arndt. "Ich weiß, dass viele mich nicht nur für körperlich, sondern auch für geistig behindert halten. Lange Zeit gab es für mich nur zwei Orte, wo ich das Gefühl hatte, nichts beweisen zu müssen: meine Familie – und die Kirche."Seine Eltern und seine Großeltern liebten ihn sehr und taten alles, um das Selbstbewusstsein des Jungen, der so absonderlich aussah und damit immer Aufsehen erregte, zu stärken. Bis zur Grundschulzeit registrierte er daher nicht wirklich, dass rings um ihn getuschelt wurde, dass man oft verunsichert vor ihm zurückwich, dass er auf schwierige Weise anders war als die anderen.
"Ohne ihn wäre ich nicht so stark geworden"
"Im Gegenteil, ich kam mir eher besonders vor. Ich ging in den Kindergottesdienst und liebte Pastor Hausmann, der so nett zu mir war, mich auch an meinen Geburtstagen besuchte und mir Geschenke machte. Ohne ihn wäre ich in all den Jahren nicht so stark geworden, wie ich es jetzt bin", sagt Philipp Arndt. "Mit ihm gab es jemanden außerhalb meiner Familie, der immer für mich da war, bei dem ich einfach so sein konnte, wie ich ja bin."
Er selbst zu sein, ein eigentlich ganz normaler Junge, der genau so durch den Alltag gehen wollte wie andere Kinder auch, das wurde nämlich schwieriger und schwieriger. Die Schule war eine Kampfzone, in der es für ihn ums Überleben ging. Die ständigen Hänseleien, die gemeinen Sprüche, dass er ein "Spasti", ein "Behindi", ein Idiot sei, es war schlimm bis hin zu Suizid-Gedanken. "Ich saß morgens heulend am Küchentisch und wehrte mich mit Händen und Füßen, um nicht losgehen zu müssen", erzählt Philipp Arndt. Seine Eltern sagten dann, komm, du bist viel cleverer als die, du schaffst das! "Ich hätte aber zerbrechen können."
Dass er daran glaubte, clever zu sein und es auch außerhalb der liebevollen Familie "zu schaffen", hatte nicht nur mit durchaus guten Schulnoten zu tun – gar nicht so einfach für jemanden, der sich nur mit Mühe verständlich artikulieren konnte – sondern auch damit, dass er schon früh zusammen mit Pastor Hausmann den Kindergottesdienst organisieren durfte.
Martin Hausmann war aus Hamburg-Altona ins kleine Rinteln gekommen und hatte aus der Großstadt ein Konzept für die Arbeit mit behinderten Menschen mitgebracht. Er gründete Gruppen für behinderte Jugendliche und organisierte eine enge Zusammenarbeit mit der "Lebenshilfe", die damals mitten im Städtchen ihre Räume hatte. Andere Jugendliche aus der Gemeinde wurden in Spiel und Arbeit mit behinderten Kindern einbezogen. So kam es, dass Philipp Arndt trotz seiner starken körperlichen Einschränkungen an der vor Ort berühmten "Weser-Schlauchbootfahrt" teilnehmen konnte, 14 Tage auf großen Armee-Schlauchbooten die Weser hinab, Zelten, Lagerfeuer, Abenteuer.
Die Kirche als "öffentlicher Ort der Friedlichkeit"
Als Martin Hausmann, der bereitwillig auch in höherem Alter diese wilde Reise mitmachte, in Pension ging, und der junge Pastor Heiko Buitkamp das Amt in der Jakobi-Kirche antrat, sah dieser fasziniert, wie die ganze Gemeinde ungewöhnlich sensibilisiert war im Umgang mit behinderten Menschen. Und sofort fiel ihm Philipp Arndt ins Auge, der bei allen Gottesdiensten und Veranstaltungen dabei war. Der sich anbot, Aufgaben zu übernehmen und schließlich sogar als Betreuer, als "Offizier", bei der Schlauchbootfahrt fungierte – eine der Möglichkeiten, dazuzugehören, Leistung zu zeigen. Und eben auch zu beweisen, dass hinter dem ungewöhnlichen Äußeren, das so viele Vorurteile hervorrief, ein kluger, engagierter Mensch steckte.
"Ich glaube, wenn ich in dieser Teenagerzeit nicht so in der Kirche hätte zuhause sein können, wenn es diesen öffentlichen Ort der Friedlichkeit nicht gegeben hätte, ich wäre verzweifelt", sagt Philipp Arndt rückblickend. "Ich bekam echtes Zutrauen in mich, und auch den Mut, den Willen, den Trotz, mich den Anfeindungen in der Schule zu stellen." Er wurde Klassenprimus in der Realschule, machte dann Abitur und eine Ausbildung an der Fachhochschule, durch die er jetzt Finanzbeamter im nahen Stadthagen ist.
"Diese ganze Zeit hat mich sehr geprägt. Sie ist verantwortlich dafür, dass ich nach besten Kräften der Kirche zurückgebe, was sie für mich getan hat", sagt Philipp Arndt. Mit 18 Jahren wählte man ihn – Pastor Heiko Buitkamp hatte ihn zur Kandidatur aufgefordert – als jüngstes Mitglied aller Zeiten in die Gemeindevertretung, wenig später war er Mitglied im Kirchenrat, inzwischen wohl bewandert in allen Gemeindeangelegenheiten, und schließlich Synodaler in der kleinen Bezirkssynode. Außerhalb der Kirche engagiert er sich im Behindertenbeirat Rintelns.
Das alles hatte vielleicht mit der besonderen Taufe des schwerbehinderten Babys begonnen, dessen Eltern tiefes Vertrauen in Pastor Martin Hausmann fassten, weil er sofort verstand, dass die Familie besondere Unterstützung brauchte. Hätte es nicht die kleine Taufe in der Kirche gegeben, die Besuche des Pastors, die Gespräche über die Sorgen mit dem Kind, das ständig operiert werden musste, und dann die Bereitschaft, es selbstverständlich in die Gemeindeveranstaltungen einzubeziehen – wer weiß, ob es Philipp Arndt gelungen wäre, seine Stärken so zu entfalten.
Immer noch, wenn Martin Hausmann, der inzwischen in Bremen lebt, seine ehemalige Gemeinde in Rinteln aufsucht, gehört ein Treffen mit seinem Philipp dazu. Der über 70-jährige lässt es sich außerdem nicht nehmen, immer wenigstens eine Etappe bei der Weser-Schlauchbootfahrt mitzureisen. Und Philipp Arndt, der ist dann sein Offizier.