Michael Lenz
Auf den Testfeldern des IRRI werden die Züchtungen dem Realitycheck ausgesetzt. Hier zum Beispiel eine Reisart, die auch ohne Düngemittel reiche Ernte bringen soll.
Die Reiszauberer von Los Banos
Milliarden Menschen sind auf Reis als Grundnahrungsmittel angewiesen. Um den Anbau auch künftig sicherzustellen, werden die veschiedenen Sorten in Reisgenbanken aufbewahrt. Allein in der Schatzkammer des Internationalen Reisforschungsinstituts (IRRI) auf den Philippinen lagern weit über 100.000 Sorten.

Einer Gruppe von Reisbauern aus Indien, Indonesien und Thailand reicht ein schneller Rundgang durch die Reisgenbank. Bibbernd drängen sie hinaus in die Wärme des Vorraums, wo Arbeiterinnen an langen Tischen neu eingegangene Reisproben sortieren. Flora de Guzman, Herrin der größten Reisgenbank der Welt, erklärt stolz den Zweck der Einrichtung. "Wir hier sind die letzte Verteidigungslinie für Regierungen, Bauern und Wissenschaftler. Mit Samen aus der Reisbank haben wir zum Beispiel nach den Kriegen in Kambodscha und Osttimor dort den Reisanbau wieder aufgebaut.“

Die Reisgenbank ist die Schatzkammer des Internationalen Reisforschungsinstituts (IRRI). In den kühlen Kammern der Arche für die Reissorten dieser Welt lagern in mattgrauen Aluminiumdosen 112.000 Reistypen, moderne Reisarten genauso wie traditionelle Reissorten als auch wilde Verwandte des Reis. Bei vergleichsweise milden Temperaturen von zwei bis vier Grad werden jene Reissorten gelagert, die für die Verteilung an Bauern und Reisanbauprojekte bestimmt sind. Frostige minus 20 Grad aber herrschen nebenan, wo in Stahlregalen bis zur Decke Reissamen lagern, die vielleicht erst in ferner Zukunft benötigt werden.

Die Bauern aus Indien, Thailand und Vietnam hält es in den eisigen Kühlkammern der Reisgenbank nur so lange, wie sie brauchen, um schnell ein Erinnerungsfoto der Reisschatzkammer zu schießen. Foto: Michael Lenz

Das IRRI ist in Los Banos auf den Philippinen beheimatet. Kurvenreich windet sich die Straße durch einen dichten grünen Dschungel an den Hängen des Vulkans Makiling hinauf zu dem Städtchen, dessen heiße Quellen ein beliebtes Ausflugsziel der Filipinos aus der nahen, lauten und überbevölkerten Metropole Manila sind. Auf einer weiten, von Vulkanen überragten Ebene am Stadtrand erstrecken sich die schmucklosen Flachbauten des IRRI und smaragdgrünen Reisfelder, auf denen die von Forschern geschaffenen neuen Reisarten getestet werden.

Für drei Milliarden Menschen weltweit ist Reis das Grundnahrungsmittel, wobei Asien als Heimat des Reisanbaus für 90 Prozent der Weltproduktion gut ist - Tendenz steigend. Das Bevölkerungswachstum ist eine Ursache für die erhöhte Nachfrage. Eine andere die veränderten Ernährungsgewohnheiten in Afrika, im Mittleren Osten und vor allem von Asiens rasant wachsende Mittelklasse. "Wer mehr Geld verdient, steigt von Mais oder Maniok auf Reis um", weiß Achim Dobermann, stellvertretender IRRI-Forschungsdirektor.

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Zwei digitale Anzeigen über dem Eingang zum Reismuseum des IRRI und auf der Internetseite des Instituts machen ein existentielles Dilemma der Menschheit deutlich: immer weniger Ackerland muss immer mehr Menschen ernähren. Am 27. April um 8 Uhr 38 deutscher Zeit lebten 7.035.657.717 Menschen auf unserem Globus. Jede Sekunde kommt ein Mensch hinzu. Die Hälfte der Menschheit ernährt sich von Reis. Gleichzeitig nimmt das verfügbare Ackerland rasant ab. Zum gleichen Zeitpunkt standen für die Landwirtschaft nur noch 8,5 Milliarden Hektar zur Verfügung, und im Sieben-Sekunden-Takt verliert die Welt einen Hektar Ackerland, wie das Zählwerk unter der Bevölkerungsuhr anzeigt. Die beiden Zahlen sind die Grundlagen für die Arbeit des IRRI, die Dobermann so beschreibt: "Es geht um wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit.“

5.000 Liter Wasser für ein Kilo Reis

Reis ist in den Zeiten der zunehmenden Wasserknappheit und des Klimawandels ein Problemfall geworden. Für die Erzeugung von einem Kilo Reis werden 3.000 bis 5.000 Liter Wasser benötigt. Zudem trägt die Reisproduktion durch den extrem hohen Ausstoß des Treibhausgases Methan erheblich zur globalen Erwärmung bei. Keine Kulturpflanze sondert so viel Methan ab wie Reis. Der Reisanbau ist nach Schätzungen des Weltklimarats (IPCC) einer der Hauptgründe für steigende Emissionen von Methan, das nach Kohlendioxid als Nummer zwei der Klimagase gilt. Genug Arbeit also für die Reisforscher in Los Banos auf der Suche dem "grünen Superreis" , der Dürren, Überschwemmungen oder versalzten Böden trotzt, sich effektiv anbauen lässt, hohen Ertrag bringt und auch noch schmeckt.

Flora de Guzman, Herrin der größten Reisgenbank der Welt, zeigt stolz auf einer Karte, woher aus aller Welt die Reisspenden für die Genbank kommen. Foto: Michael Lenz

Das IRRI hat seit seiner Gründung Anfang der 1960er Jahre eine stolze Bilanz vorzuweisen. "Wir haben 843 Reisarten produziert, die in 77 Ländern eingesetzt werden“, sagt Dobermann. Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die Einführung der beiden dürretoleranten Reisarten BRRI dhan56 und BRRI dhan57 in Bangladesch, das immer wieder von periodischen Dürrephasen heimgesucht wird. Allein die Reisbauern in Südostasien produzieren durch Sorten, die von IRRI verbessert oder entwickelt wurden, zusätzlichen Reis im Wert von 1,46 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Zwischen 1985 und 2009, so eine Studie des Australischen Zentrums für internationale Agrarforschung (ACIR), sei der Reisertrag durch neue Sorten um 13 Prozent gestiegen. Es kommen Reisarten zum Einsatz, die krankheitsresistent sind, Trockenheit ertragen, Hochwasser überstehen oder Schädlingen Paroli bieten.

1.400 Menschen, darunter 120 promovierte Forscher aus aller Welt, arbeiten am IRRI. Hinzu kommen über den gesamten Globus verteilte wissenschaftliche Kooperationspartner. "Alleine an dem C4 Projekt sind gut 15 Forschungsgruppen aus der ganzen Welt beteiligt“, sagt Dobermann über die vielleicht ambitionierteste Zukunftsvision des IRRI. Kurz gesagt geht es darum, der C3-Pflanze Reis einen effizienteren Photosyntheseapparart einzubauen, ähnlich dem der C4-Pflanzen Mais, Sorghum oder Zuckerrohr. Der Ertrag eines solchen C4 Reis könnte sich trotz des verringerten Einsatzes von Wasser und Dünger um bis zu 50 Prozent erhöhen.

Höherer Meeersspiegel bedroht Kleinbauern

Glenn Gregorio hat sein Forscherleben der züchterischen Weiterentwicklung von Reissorten gewidmet, die versalzte Böden tolerieren oder auch längere Überschwemmungen durch Süß- oder auch Salzwasser vertragen oder besser noch als "Two in One“-Sorte beides. Solche Reissorten sind entscheidend für die Sicherung der Lebensgrundlage von Millionen von Reisbauern in Regionen wie dem Mekongdelta in Vietnam oder an der flachen Küste Bangladeschs, deren Felder durch den steigen Meeresspiegel immer häufiger überschwemmt werden und versalzen. "Die Kleinbauern mit ein bis anderthalb Hektar großen Reisfeldern sind von diesen Problemen besonders betroffen“, sagt Gregorio.

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Die Nahrungsmittelkrise 2007 hat deutlich gemacht, dass die Ernährungssicherheit nicht mehr als gegeben angesehen werden kann. Seitdem geht es mit dem Budget, aktuell 60 Millionen Dollar, langsam wieder aufwärts. "Zur Ausschöpfung unseres Potentials würden wir um die 80 Millionen benötigen, langfristig und nicht nur für ein paar Jahre. Aktuell besteht unser Etat aber zu 70 Prozent aus Projektmitteln. Das bietet wenig Raum für Flexibilität“, sagt Dobermann.

Unter den 80 Geldgebern – Regierungen als auch private Spender wie die Gates Stiftung – ist mit knapp 1,5 Millionen Dollar auch die Bundesregierung. Darüber freut sich Dobermann, auch wenn er findet: "Wenn Deutschland eine Führungsrolle möchte, wäre die Festlegung eines Forschungsschwerpunktes besser, so wie das andere Länder auch tun, die das IRRI langfristig unterstützen. An einem Interesse der Wissenschaft in Deutschland jedenfalls mangelt es nicht.“

"Keine gentechnische Alchimistenküche"

Mit Argusaugen wird das IRRI von Umweltschützern beäugt. Dobermann wehrt sich aber vehement gegen den Vorwurf, das IRRI sei eine gentechnische Alchimistenküche. "Wir nutzen Methoden der molekularen Biologie in unserer Züchtung, aber das hat nichts mit Gentechnik zu tun. Gentechnik wird immer der Ausnahmefall bleiben für ein paar wenige Merkmale, die man anders nicht verändern kann.“

Die Reisbauern schätzen die Arbeit des IRRI, stehen ihr aber auch misstrauisch gegenüber. Björn Ole Sander hat mit dem AWD-Projekt die Erfahrung gemacht, dass man zur Überzeugung der Bauern Geduld braucht. AWD oder Alternate Wetting and Drying hat zum Ziel, mit geringerem Wassereinsatz auf den Reisfeldern den gleichen Ertrag zu erzielen und dabei weniger Treibhausgase auszustoßen. "Die Bauern waren zunächst skeptisch gegenüber dem jungen Mann aus Kiel, der ihnen erzählt, dass sie alles anders machen sollen als bisher“, lacht der 29-jährige, der in der Klimawandel-Arbeitsgruppe des IRRI arbeitet.

An die beschauliche Idylle von Los Banos hat sich der Sohn eines Landwirts aus dem holsteinischen Dörfchen Brügge gewöhnt. "Anfangs dachte ich: Oh Gott, hier ist ja nichts los. Aber inzwischen finde ich es ganz nett. Los Banos ist nicht so laut und so überfüllt wie Manila und die Luft ist wesentlich besser.