Es begann alles mit einer Zigarrenkiste. Angeblich soll Lothar Kreyssig, Mitglied der Bekennenden Kirche und später Gründer von "Aktion Sühnezeichen", eine Zigarrenkiste im kirchlichen Amt in Berlin aufgestellt haben und darauf geschrieben haben: "Für die Hungernden". Das geschah in einer Zeit – Ende der Fünfziger Jahre – in der die Christen in Deutschland etwas von dem zurück geben wollten, was sie in der Nachkriegszeit an Hilfe in der Not erhalten hatten.
Allerdings wollte man sich damals nicht in einer Vielzahl von kleinen Initiativen verzetteln, sondern eine große zentrale Aktion für die sogenannte Dritte Welt ins Leben rufen. So wie es die katholische Bischofskonferenz im April 1959 bereits mit dem Aufruf zu einem Fastenopfer unter dem Motto "Misereor" getan hatte. Christian Berg, damals Generalsekretär des Evangelischen Hilfswerks und Direktor der Ökumenischen Abteilung des Diakonischen Werks, entwarf drei Monate später eine vergleichbare Aktion der Protestanten für die nächste Adventszeit. Ihr Titel: "Brot für die Welt".
Und so kam es, dass am 12. Dezember 1959 in der Berliner Deutschlandhalle die bis dahin erfolgreichste kirchliche Spendenaktion aller Zeiten eröffnet wurde. Unter dem Eindruck einer akuten Hungersnot in Indien, von der damals rund zwölf Millionen Menschen betroffen waren, sagte Otto Dibelius, evangelischer Bischof in Berlin-Brandenburg und EKD-Ratsvorsitzender, vor der voll besetzten Halle: "Der Hunger auf der Welt ist eine ganz große Anklage, von der sich jeder mit getroffen fühlen muss. Wir wollen helfen, ohne Dank und ohne Lohn. Wir wollen helfen, wie der barmherzige Samariter im Gleichnis half, der auch nicht danach fragte, zu welcher Rasse und Konfession und Klasse jemand gehört."
Von der Not- zur Selbsthilfe
Bei der nun folgenden Sammelaktion kamen Spendenbüchsen zum Einsatz, auf denen die bekannte sogenannte Hungerhand des Berliner Künstlers Rudi Wagner zu sehen war. Dazu der Satz: "Wenn Du wieder satt geworden bist, gib 5 Pfennig für die Hungernden". Das traf das damalige Lebensgefühl der Deutschen genau, denen die eigene Hungerzeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch lebhaft in Erinnerung war. Außerdem wurden 190.000 Exemplare der zugehörigen Broschüre "Brot für die Welt" verteilt und Faltblätter in Millionenauflage gedruckt und ausgelegt. Mit einem Ertrag von drei Millionen Mark hatte man gerechnet. Am Ende der Aktion aber kamen über 19 Millionen Mark zusammen, davon fast 4,8 Millionen Mark aus der DDR.
In den folgenden Jahren wurde die Aktion fortgesetzt, hatte anfangs allerdings überwiegend den Charakter einer reinen Nothilfe. Bald aber änderten sich die Prioritäten: Das Schlagwort von der "Hilfe zur Selbsthilfe" machte die Runde, verbunden mit der bildhaften Idee, den Menschen lieber das Angeln zu ermöglichen, als sie mit Fischen abzuspeisen. "Nicht nur Hilfe, die betreut, sondern Hilfe, die befähigt" wolle man bieten, so damals der langjährige Brot für die Welt-Direktor Hans-Otto Hahn. Zu diesem Zeitpunkt war die einstmalige Spendenaktion längst zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht und unter dem Dach des Diakonischen Werks der EKD angesiedelt worden. Dort entwickelte sie sich mit der Zeit zu einem bedeutenden Zweig der diakonischen Arbeit.
Gleichzeitig wurde die Arbeit von Brot für die Welt aber auch politischer: Menschenrechte, Friedensarbeit, Geschlechterdifferenzen, Klimawandel und vor allem (welt-)wirtschaftliche Ursachen von Armut und Ungerechtigkeit rückten in den Blick. Statt der bittenden "Hungerhand" gab es auf den Plakaten nun die arbeitenden Hände von selbstbewussten Menschen aus dem Süden zu sehen, die keine Almosenempfänger mehr sein wollten, sondern ihre Entwicklung selbst voran brachten. Bis heute versucht Brot für die Welt zu vermitteln, dass sich das Leben der ärmeren Weltbevölkerung nur dann nachhaltig verbessern kann, wenn sich die Strukturen in den Ländern des Südens und im weltweiten Handels- und Finanzsystem grundlegend ändern. Aus diesem Grund gehört schon seit langem auch Bildungs-, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu den Aufgaben des Hilfswerks.
Fast zwei Milliarden Euro an Spenden hat Brot für die Welt bis heute gesammelt, weit mehr als 20.000 Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa wurden seit 1959 bewilligt. Das Besondere an der Arbeit der Organisation: Im Laufe der Jahre wurde ein dicht verzweigtes Partnernetz aus Kirchen und kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in aller Welt aufgebaut, mit dessen Hilfe die jeweiligen Projekte vor Ort umgesetzt werden. So müssen gar nicht erst Experten für die Situation in der jeweiligen Region gewonnen werden, in der die Projekte angesiedelt sind - weil bereits eine Zusammenarbeit mit Menschen in gewachsenen Strukturen besteht. Diese Kompetenz wurde 2012 noch zusätzlich gestärkt, als Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst zum "Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung" mit Sitz in Berlin verschmolzen.
"Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst", wie nun der vollständige Name lautet, engagiert sich zudem auch durch eine ganze Reihe von Beteiligungen, wie zum Beispiel an der "Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt (GEPA)" oder der Genossenschaftsbank "Oikocredit". Und schließlich ist das Hilfswerk in etlichen Bündnissen und Netzwerken aktiv, unter anderem der "ACT Alliance", dem "Bündnis Entwicklung hilft" oder der "Klima-Allianz".
Spenderinnen und Spender können stolz sein
Im Leitbild von Brot für die Welt heißt es: "Unsere Arbeit wurzelt in dem Glauben, der die Welt als Gottes Schöpfung bezeugt, in der Liebe, die gerade in dem entrechteten und armen Nächsten ihrem Herrn begegnet, und in der Hoffnung, die in der Erwartung einer gerechten Welt nach Gottes Willen handelt." Umgesetzt wird dies in der aktuellen Arbeit vor allem mit folgenden Schwerpunkten: Ernährung und Wasserversorgung, Gesundheit und Bildung, Frieden und Menschenrechte. Und im Kampf gegen Landnahme, Umweltzerstörung, Kinderarbeit, Verfolgung und wirtschaftliches Unrecht. Dazu werden zur Zeit mehr als 2.500 Projekte in Ländern des Südens unterstützt. Finanziert wird all dies aus Zuwendungen der Kirchen und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aber vor allem nach wir vor auch aus Spenden, wie zum Beispiel der traditionellen Heiligabend-Kollekte.
So kann durchaus weiterhin gelten, was Bischof Wolfgang Huber, damals EKD-Ratsvorsitzender, zum 50. Jubiläum von Brot für die Welt sagte: "Die Millionen von Spenderinnen und Spendern können stolz darauf sein, was durch ihre Spendenmittel möglich wird. Die Größe der weltweiten Not darf uns nicht die Augen für das verschließen, was mit diesen Mitteln bewirkt wird."
Dieser Beitrag erschien erstmals am 24. Dezember 2013 auf evangelisch.de.