Fassade der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Kairo
Foto: epd-bild/Katharina Eglau
Fassade der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Kairo
"Viele sind müde von Demonstrationen und Terror"
21 koptische Christen sind wahrscheinlich von IS-Milizen in Libyen enthauptet worden. Ägypten flog daraufhin als Vergeltungsmaßnahme Luftangriffe auf IS-Stellungen in Libyen, wobei Berichten einer ägyptischen Nachrichtenagentur zufolge, 40 Menschen getötet worden sein sollen. Nadia El-Karsheh, Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Kairo, über die Reaktionen der Menschen vor Ort.

Schon seit einer Woche sitzen Angehörige aus dem Dorf der nun getöteten Kopten in Kairo, und demonstrieren für mehr Druck auf die IS-Terroristen. Wie haben Sie die Entführung und nun die Ermordung der 21 Menschen wahrgenommen?

Nadia El-Karsheh: Es ist unglaublich was da passiert ist. All diese Übergriffe sind eigentlich unvorstellbar in ihrer Grausamkeit und ihrer Extremität. Bei den ägyptischen Christen, mit denen ich heute Morgen gesprochen habe, spüre ich vor allem Erschütterung. Es herrscht Entsetzen darüber, wie Menschen miteinander umgehen können. Und diese Fischerleute, die in Libyen ermordet wurden, sind sowieso schon benachteiligt, weil sie einfach aus sehr armen Familien entstammen, aus sehr kleinen Dörfern aus Mittelägypten. Sie haben sowieso kaum Perspektive und dann tut man ihnen auch noch so etwas an. 

Sie haben heute Morgen Religion unterrichtet. Wie war die Stimmung an der Schule? 

El-Karsheh: Es gab einen Morgenappell und der Schulleiter hat von diesem schrecklichen Ereignis erzählt. Wir haben innegehalten und hinterher haben wir natürlich darüber gesprochen. 

Was halten Sie von der Reaktion des ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, als Vergeltungsmaßnahme Luftangriffe zu fliegen? 

El-Karsheh: Was man diplomatisch tun kann, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist unmöglich mit diesen skrupellosen Terroristen zu verhandeln. Da ist wahrscheinlich jede Regierung überfordert. Es ist natürlich die eiserne Faust, die jetzt zuschlägt. Aber auch die westlichen Mächte reagieren im Moment mit Gewalt gegen IS, zum Beispiel in Syrien. Nach den Angriffen heute ist es offiziell, dass Ägypten diese Stellungen in Libyen anfliegt. Nach unseren Informationen gab es diese Luftangriffe im Bereich der Grenze aber auch schon vorher. Das ist schon seit ein paar Monaten akut. Und jetzt werden die Luftschläge auch mehr ins Landesinnere verlegt. 

Wie werden die Luftangriffe im Land aufgenommen?

El-Karsheh: Im Land ist ein Entsetzen, eine Erschütterung zu spüren. Ich kann nicht beurteilen, wie sinnvoll as-Sisis Einsatz ist. Aber das Gefühl ist natürlich: vom Westen, der libyschen Seite, haben wir IS vor der Tür und von Osten her, auf dem Sinai, haben wir Gruppierungen, die sich offen zum IS bekennen. Dort kämpft das ägyptische Militär auch.

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Beruhigt es, dass Sie nicht mehr Mursi als Präsidenten haben und die Moslembrüder das Land nicht mehr regieren? 

El-Karsheh: Auf jeden Fall beruhigt es die Christen hier im Land. Die fühlen sich seit as-Sisi mehr als vorher anerkannt und sicher. Heute Morgen hat sich as-Sisi mit dem koptisch-orthodoxen Papst im Patriarchat in Kairo getroffen. Das ist eine Geste der Zusammengehörigkeit und des Ernstgenommen werden. As-Sisi hat sein Mitgefühl ausgedrückt und sich mit dem Patriarchen beratschlagt. Das kommt hier sehr gut an bei den Christen. 

Sorgt as-Sisis Besuch beim Patriarchen im ägyptischen Volk für eine Solidarisierung? Christen gehören ja nicht gerade zur beliebtesten Religion? 

El-Karsheh: Ich glaube schon, dass es bei einem Teil der Bevölkerung so ankommt, denn viele verehren as-Sisi sehr. Aber das Volk ist natürlich auch gespalten in seiner Haltung gegenüber as-Sisi. Es gibt auch viele, die ihn für einen neuaufgelegten Mubarak halten und sehr, sehr kritisch sind, obwohl sie auch den Moslembrüdern nicht unbedingt nahe stehen. Oppositionskräfte, die jetzt im Moment auch nichts zu lachen haben, haben ebenso ein gespaltenes Verhältnis zu as-Sisi.

Ist die Angst vor IS in Ihrer Gemeinde bei Zusammentreffen Thema? 

El-Karsheh: Wir leben nicht in Angst. Aber wir machen uns schon Gedanken: wie wird das hier in zehn Jahren aussehen? Wir können uns eigentlich alle nicht vorstellen, dass der IS Ägypten einfach so überrennen könnte wie Syrien oder Irak. Denn Ägypten ist von der Bevölkerung her einmalig groß in der arabischen Welt. Aber wir haben alle das Gefühl, dass sehr offen ist, wohin die Reise geht. 

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Weil in den letzten Jahren auch so viel möglich war? 

El-Karsheh: Ja. Es herrscht immer noch kein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Und deswegen sehnen sich so viele einfach nur nach Ruhe. Viele finden es deshalb sogar in Ordnung, wenn Menschenrechte nicht ganz so ernst genommen werden. Einfach nur, um wirklich Ruhe einkehren zu lassen in diesem Land. Viele sind müde von Demonstrationen und Terror.

Wie sieht diese Unruhe im Land aus?

El-Karsheh: Wir haben regelmäßig kleine Terroranschläge in Kairo. Ich denke, das soll ein Gefühl der Destabilisierung, der Unsicherheit schüren. Aber wir fühlen uns jetzt dennoch nicht akut bedroht. Ich kann das auch nicht von den ägyptischen Christen sagen. Wir kommen gerade von einer Woche aus Oberägypten und haben viele christliche Jugendgruppen und Pfadfinder gesehen. Sie haben sich Tempel angesehen, waren sehr gut gelaunt und auch sehr gut als Christen erkennbar. Es ist nicht so, dass sich die Christen jetzt alle verziehen und zitternd in ihren Wohnungen sitzen. Sondern sie sind präsent in der Öffentlichkeit. 

Sie sprachen von Müdigkeit im Land. Wie drückt sich dieses Gefühl bei ihren Mitgliedern in der deutschen evangelischen Gemeinde aus?

El-Karsheh: Es kommen immer weniger Menschen aus Deutschland. Selbst Institutionen wie die Botschaft oder Firmen sagen bei Stellenausschreibungen hinter vorgehaltener Hand: "Aber lieber nicht für Familien". Es kommen mittlerweile sehr viele Singles hierher. Traditionell haben wir eigentlich eine sehr familienstarke Gemeinde mit vielen Kindern, auch durch die Schule war das immer so. Das hat sich in den letzten Jahren geändert und auch diesen Sommer werden viele Familien das Land verlassen, einfach weil Verträge auslaufen, aber dann kommt eben nichts nach und das ist für uns sehr traurig. Viele haben dann doch große Angst in so ein Land wie Ägypten zu gehen. 

Vor allem wenn der IS explizit die Hinrichtungen der 21 Kopten in Libyen  mit "Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes" betitelt? 

El-Karsheh: Ja. Die ägyptischen Christen fühlen sich zwar nicht ganz direkt angesprochen, weil es in Libyen passiert ist und die Verhältnisse dort andere sind, aber dennoch sind es ägyptische Landsleute.  

Sie und Ihre Familie bleiben aber? 

El-Karsheh: Wir fühlen uns wohl und haben noch vier Jahre, die wir auch bleiben wollen. Wir haben viel Kontakt zu Christen und wie gesagt, es ist nicht so, dass alle zittern. Im Moment überwiegt die Traurigkeit und die Erschütterung steht im Vordergrund.