Was ist das Problem mit der Predigt von Olaf Latzel? Der Inhalt oder der Stil?
Renke Brahms: Da kann man Stil und Inhalt nicht gut voneinander trennen. Wer einen alttestamentlichen Text über Gideon nimmt und vom Zerhacken und Verbrennen im Zusammenhang mit religiösen Symbolen anderer Religionen und Konfessionen redet und dann auch direkt Religionen oder religiöse Äußerungen und Symbole beschimpft und beleidigt, der kann eigentlich nicht damit rechnen, dass das noch im Rahmen einer Meinungsfreiheit oder Meinungsvielfalt zu akzeptieren ist. Insofern geht es vorrangig um diese Beleidigungen und Beschimpfungen. Aber das lässt sich nicht ganz trennen von einem Duktus der Predigt, der jedenfalls Respekt gegenüber anderen Religionen und Konfessionen vermissen lässt.
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Darf Olaf Latzel nicht predigen, was er für richtig hält? Fällt das nicht unter die Freiheit der Verkündigung?
Brahms: Die Freiheit der Verkündigung, so wie sie Pastorinnen und Pastoren auch im Ordinationsgelübde zuerkannt wird, ist sehr schützenswert. Deswegen gibt es auch eine große theologische Bandbreite, das müssen wir aushalten. Ich würde das in jedem Falle auch immer wieder verteidigen und schützen, auch wenn es nicht meine Meinung wäre. Das ist mir ganz wichtig. Wo es nicht mehr geht, wo die Grenzen überschritten sind, das hat etwas mit Respekt zu tun, mit Beschimpfungen und Beleidigungen. Und vielleicht auch mit einem Duktus, der sich selber in seiner Predigt sozusagen direkt die göttliche Autorität zuordnet. Das sind Punkte, wo man sagen muss: Hier sind bestimmte Grenzen erreicht. Aber alle anderen Fragen gehören in eine große theologische Vielfalt.
Sie haben mit Pastor Latzel gesprochen und sich danach öffentlich für die beleidigenden Worte entschuldigt. Ist die Sache damit erledigt?
Brahms: Nein, sie ist nicht erledigt. Wir haben uns als Mitglieder des Kirchenausschusses vor allem Dingen gegen diese Respektlosigkeit und ganz bestimmte Äußerungen gewendet. Da haben wir deutlich gemacht, dass wir uns davon distanzieren, und wir haben uns dafür bei den anderen Religionen und Konfessionen, die hier genannt sind, entschuldigt. Das ist unsere Aufgabe, denn wir sind die Repräsentanten nach außen in der Bremischen Evangelischen Kirche. Und wir stehen hier für einen ökumenischen und interreligiösen Dialog, den wir von solchen Äußerungen nicht stören lassen wollen.
Für uns geht es allerdings jetzt vorrangig um eine Deeskalation des ganzen Konfliktes. Wir müssen jetzt auch gucken, dass wir wieder auf eine sachliche Ebene zurückkommen. Dabei geht es zum einen um die Frage, wie eine Entschuldigung nicht nur für ganz wenige Passagen ausgedrückt werden kann, sondern auch für den Duktus der Predigt. Das andere sind theologische Fragen. Dafür sind wir im engeren Sinne nicht zuständig, sondern das ist eigentlich Angelegenheit eines theologischen Diskurses. Die Fragen sind: Wie viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es denn zwischen den Konfessionen und Religionen? Wie kann man in eigener Glaubensfreude und -gewissheit miteinander einen Dialog führen, der uns alle bereichert und zum Frieden zwischen den Gesprächspartnern beiträgt?
In Ihrer letzten Stellungnahme habe Sie ja auch geschrieben, "dass in der Bremischen Evangelischen Kirche eine theologische Auseinandersetzung geführt werden muss." Wer soll diese Auseinandersetzung auf welcher Ebene führen?
Brahms: Wir sind es bei aller Vielfalt in der Bremischen Evangelischen Kirche und bei der starken Autonomie der Gemeinden nicht wirklich gewöhnt, eine theologische Auseinandersetzung zu führen. Wir haben dafür wenige Gelegenheiten und bislang keine institutionell abgesicherten Orte. Für mich ist aus dieser Debatte die Herausforderung entstanden, dass wir das auch als Kirchenausschuss fördern und initiieren müssen. In welcher Form, wissen wir noch nicht. Damit werden wir uns jetzt beschäftigen – ob das Podiumsdiskussionen sind, ob wir Gäste von außen einladen…
Bei allen theologischen Meinungsverschiedenheiten halte ich für wichtig, dass wir ein Grunddokument haben, auf das wir uns gut beziehen können, nämlich "Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt" von der Evangelischen Weltallianz, vom Ökumenischen Rat der Kirchen und einer päpstlichen Kommission unterschrieben. Darin steht ganz viel davon, wie wir in einer solchen multireligiösen Welt mit Respekt mit anderen Religionen oder Konfessionen und vielleicht auch theologischen Richtungen in unserer Kirche umgehen können. Das halte ich für eine gute Basis. Und darüber zu diskutieren, lohnt sich, glaube ich, weil wir bei aller Meinungsvielfalt eine Basis des respektvollen Umgangs miteinander finden müssen.
Sie haben angesprochen, dass eine Form gefunden werden muss. Finden Sie es gut und richtig, dass Pastorinnen und Pastoren die Form gewählt haben, auf die Straße zu gehen und eine Demo vor dem Dom abzuhalten?
Brahms: Das gehört auch mit zur Meinungsfreiheit und Vielfalt unserer Kirche. Der Auslöser, das muss man noch einmal klar sagen, war die Predigt in der St. Martini-Gemeinde. Indem Pastorinnen und Pastoren sich unter unser Plakat gestellt haben – und dieses Plakat heißt, gemeinsam mit der gesamten Stadt: "Bremen ist bunt! Wir leben Vielfalt!" – haben sie ein Zeichen gesetzt: Dafür steht die Bremische Evangelische Kirche. Und dafür stehen auch die Pastorinnen und Pastoren und ganz viele Gemeinden und Christenmenschen in unserer Stadt. Es war der vorrangige Fokus, dieses deutlich zu machen. Das ist erstmal ein wichtiges Zeichen, aber noch keine theologische Auseinandersetzung.
In Bremen sind die Gemeinden selbständiger als in anderen Landeskirchen und genießen laut ihrer Kirchenverfassung Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit. Hat die Bremische Evangelische Kirche irgendeine Handhabe gegenüber Pastor Latzel? Kann sie ihm beispielsweise verbieten, zu predigen?
Brahms: Nein, das können wir nicht. Die Verfassung sieht solche Dinge nicht vor. Ich weiß auch gar nicht, ob wir da so besonders sind in der EKD. Ich glaube, auch in anderen Landeskirchen ist es nicht ganz so einfach, einem Pastor die Kanzel zu verbieten. Aber die Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit ist eine starke Ausformung der konfessionellen und theologischen Verschiedenheit in der Bremischen Evangelischen Kirche. Insofern: Nein, wir haben keine Handhabe, in irgendeiner Weise vom Kirchenausschuss zu bestimmen, dass er Kanzelverbot bekommt oder so etwas. Das kann bei uns nur eine Gemeinde entscheiden.
Wie wird sich die Leitung der Bremischen Evangelischen Kirche weiterhin verhalten?
Brahms: Die St. Martini-Gemeinde hat angekündigt, am Sonntag eine Erklärung abzugeben, die werden wir bewerten. Uns ist ganz wichtig, dass wir jetzt wirklich zur Deeskalation beitragen, dass wir möglichst mit Sorgfalt - auch mit genügend Zeit - auf die ganze Sache gucken, dass wir notwendige Gespräche weiter führen und jetzt auch nicht drängeln lassen. Zunächst muss erstmal der Kirchenausschuss die Dinge anschauen und bewerten - und dann sehen wir weiter, welche Schritte sich daraus noch ergeben.