Nach einer Fehlgeburt freuten sich Irene und Josef Günther 1975 riesig auf ihr erstes Baby. Dominik, das heißt, "dem Herrn gehörend", so nennt das junge Paar seinen Sohn. Dann der Schock: Down-Syndrom. Die Ärzte und Schwestern in der Klinik sind unfähig, damit umzugehen. Selbst Krankenschwester von Beruf, wird Irene über sein Befinden angelogen, es gibt kein Gespräch, man will ihr Beruhigungsmittel aufdrängen und entlässt das Kind erst nach drei Wochen mit den schwärzesten Prognosen.
In den folgenden Jahren kämpfen sie um seine Förderung und gegen Unverständnis bis hin zu Diskriminierung gegenüber Dominik – angefangen von der Gemeinde über Nachbarn bis hin zu Ärzten und Psychologen.
Doch immer wieder treffen sie auf Zuwendung, Aufgeschlossenheit, ein offenes Ohr. Zum Beispiel in den kleinen Baptistengemeinden, in denen sie sich über die Jahre engagieren. Menschen machen ihnen Mut, ihren "besonderen Sohn" als Gottesgeschenk so anzunehmen, wie er ist.
Dominik entwickelt sich, lernt mit fünf Jahren sprechen, besucht die Förderschule, fährt leidenschaftlich gern Fahrrad und hat seine starke Seite im Umgang mit anderen Menschen. Nach weiteren Fehlgeburten bekommt Irene noch zwei gesunde Töchter.
Als die Mauer zwischen Ost und West gefallen ist, zieht die ganze Familie zum Aufbau eines christlichen Familienbildungszentrums nach Sachsen – auf Spendenbasis. Ein Abenteuer so kurz nach der Wende, doch mit Humor und vielem, was sie als Wunder Gottes erleben, gelingt es. Dominik als kräftiger Teenager hilft seiner Mutter und genießt das Leben in einer großen, bunten Gemeinschaft.
Antrittsbesuch: Was wünscht ihr euch?
In den Folgejahren wandelt sich jedoch Dominiks fröhliche, aktive Phase. Er hat Schmerzen, verweigert alles. Die Epilepsie, welche ihn elf Jahre lang in Ruhe gelassen hatte, kehrt zurück. Ständig muss er beaufsichtigt werden, ein großer Anfall nach dem anderen lässt ihn immer hilfloser zurück. Das führt die ganze Familie in die Krise. Irene erinnert sich: "Wo war Gott, warum griff er nicht ein? Nie hätte ich mir vorstellen können, an so einem tiefen Punkt zu landen."
Hilfe bringt ein Umzug raus aus dem turbulenten Zentrum nach Chemnitz, wo eine neue Aufgabe in Seelsorge und Beratung in der Luthergemeinde wartet. Dominik war lange falsch behandelt worden, erfahren die Eltern, als sie ihn auf eigene Faust im Epilepsiezentrum Bethel untersuchen lassen. Nach weiteren Jahren und einer OP verbessert sich sein Zustand etwas. Irene steckt weiter in der Spannung zwischen ihrem eigenen Leben, der Arbeit, einer Ausbildung, die sie "als Oma" noch absolviert, und der ständigen Sorge um Dominik.
Volker lässt sich darauf ein. Zunächst besucht er sie fast wöchentlich. "Dann ging es Dominik noch einmal schlechter, da haben wir gesagt, wir lassen uns jetzt nicht ins Bockshorn jagen, wir machen weiter. Dann wurde es kontinuierlich besser", erinnert sich Irene. Volker betet für Dominik und die Eltern, und dann beten alle für ihn. "Das finde ich enorm, dass sich ein Pfarrer die Zeit nimmt", freut sich Irene: "Gott steht dazu." Auch der Pfarrer selbst erlebt diese Gebetstreffen als Segen, weil auch er regelmäßig mit der Fürbitte "an der Reihe" ist. "Besonders schön ist es, wenn Dominik bei diesen Treffen mit seinem unnachahmlichen Grinsen in das Amen einstimmt", sagt er.
Gebet als Investition
Heute geht es Dominik viel besser. Tagsüber hatte er einige Jahre keinen Anfall mehr. Sein Neurologe staunte bei einer Untersuchung: "Wie kommt es, dass jemand mit so einem krassen Krankheitsbild, der austherapiert ist, so wenig Medikamente benötigt?" Bevor die Mutter antworten konnte, hörte sie ihren Sohn sagen: "Das ist alles nur wegen Jesus." Sie berichtete von den regelmäßigen Gebetszeiten. "Jetzt versteh' ich das auch", sagte der Arzt.
In dem Maße, wie das Ehepaar Freiraum gewinnt, erweitert sich Irenes eigener Dienst, was ihr Spaß macht. Sie schreibt ein Buch über ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte und ist fast zweimal in der Woche zu Vorträgen und Predigten unterwegs.
Für Volker Gebhard geht damit quasi eine Rechnung auf: "Ich arbeite in der Gemeinde nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern versuche zu empfinden: Wo sind Schlüsselpersonen, in die ich mich besonders investieren sollte?" Aus seiner investierten Zeit sei hier große Frucht erwachsen, sieht er. Gemeinsam mit seiner Ehefrau und Josef Günther leitet er den gemeindlichen Seelsorgedienst. Mit Irene arbeitet er teilweise zusammen, etwa, wenn Menschen mit psychischen Störungen den Pfarrer zum Gespräch aufsuchen. Irenes Beratungszimmer liegt neben seinem Dienstzimmer. Irene: "Manchmal sehen wir uns länger gar nicht, aber wenn etwas ist, helfen wir uns."