Symbole für die Weltreligionen Hinduismus, Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus
Foto: epd-bild/Jörn Neumann
Symbole für die Weltreligionen Hinduismus, Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus
In der Mitte die Barmherzigkeit
Das hatten sich die Organisatoren nicht unbedingt gewünscht - dass ihr Thema "Gewalt und Religion" in der 6. Langen Nacht der Weltreligionen im Hamburger Thalia Theater so aktuell werden könnte. Wenn in den Schriften der Religionen Gewalt verherrlicht wird, wie soll man das heute deuten? Eine Diskussion unter Wissenschaftlern und Religionsvertretern.
02.02.2015
Mechthild Klein

Zunächst klang die Botschaft eher ernüchternd: Alle Weltreligionen, vom Hinduismus über das Christentum bis zum Islam, kennen Schriften, die Gewalt zu legitimieren suchen oder sie haben Anhänger, die Gewalt ausüben. Davon zeugen Kreuzzugspredigten, scheinbar zu Gewalt aufrufende Koransuren oder althinduistische Ideale der Kriegerkaste.

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Das Spannende und die Herausforderung ist der Umgang mit den problematischen Schriften innerhalb der Tradition. Alle Religionen haben nämlich auch massenhaft Ansätze geliefert, wie Gewalt überwunden werden kann: in den heiligen Schriften selbst oder in der Kommentarliteratur, die die Schriften interpretieren. Religionen hätten eben "Potentiale in beide Richtungen", sagte der Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg bei der "Langen Nacht" in Hamburg. Die Frage sei: Wann kippt es? Wann Religionsvertreter von einer militanten (abwehrenden) Haltung zu Gewaltanwendung übergehen, hänge von der Dynamik ab, außerdem von den jeweiligen Umständen und dem Umfeld.

Handlungen von Menschen, nicht von Religionsgemeinschaften

Gewaltüberwindung im Judentum: In der Tora (hebräische Bibel) werden brutale Eroberungsfeldzüge geschildert. Dennoch geht es in der jüdischen Kommentarliteratur, im Talmud, "immer darum, die militärischen Sachen runterzuspielen", sagte Rolf Verleger, der lange im Vorstand des Zentralrates der Juden aktiv war. Die jüdische Tradition lege "den Segen nicht auf die kriegerische Handlung", sondern "auf den Glauben an Gott und die Zukunft". Erst im 20. Jahrhundert habe es einen Wandel gegeben, sagte Verleger und spielte auf den Schutz militanter Siedler durch den israelischen Staat an. Da vermisse er deutliche Kritik. Man traue sich nicht, an die Gewalttätigkeit der Juden heranzugehen.

Prof. Dr. Wolfram Wieße, Prof. dr. Rolf Verleger, Prof. Dr. Hans G. Kippenberg und Joachim Lux bei der Diskussion

Anders im Islam. Hier traue man sich nicht nur, hier sei "unsere Sprache vergiftet", kritisierte der Religionswissenschaftler Kippenberg. Die Medien transportierten, dass hinter den terroristischen Taten muslimische Akteure steckten. Statt dessen müsse analysiert werden, dass es eine Dynamik zwischen Religion und politischer Entwicklung in einer Region gebe. Bei "Boko Haram" zum Beispiel seien die Täter in erster Linie Nigerianer. Kippenberg gab zu bedenken: Ob wir im Westen umgekehrt denn Anders Breiviks Massenmord in Norwegen als "christlichen Terrorismus" einordnen würden? Es seien Handlungen von Menschen, nicht von Religionsgemeinschaften.

So sei das, was in Gaza geschieht, auch nicht der Islam. Gerade bei der palästinensischen Gruppe "Intifada" sei es zuerst ziviler Ungehorsam gewesen. Erst als die Muslimbrüder hinzugekommen seien, sei es plötzlich um den Glauben gegangen: Wer kämpfe, könne Märtyrer werden - eine Instrumentalisierung der Religion. Problematisch sei es also, wenn eine religiöse Deutung der Politik ins Spiel komme, übrigens auch bei den israelischen Siedlern in Palästina. Den Schlüssel zur Lösung sieht Rolf Verleger in der Annäherung - etwa, dass Israel das palästinensische Volk um Verzeihung bitte.

Vorurteile schon in der Schule eindämmen

Niemand dachte an diesem Abend an einfache Lösungen, doch kehrten die Diskutanten immer zu einem Punkt zurück: das Anerkennen und Wahrnehmen der Lebensleistung und Lebensweise des anderen. Biblisch gesprochen: Nicht den Splitter im Auge des anderen zu beklagen und den Balken im eigenen Auge nicht zu erkennen (Matthäus 7,4). "Je mehr Anerkennung wir erfahren, umso mehr können wir uns von eigenen destruktiven Anteilen distanzieren", resümierte die evangelische Pastorin Vivian Wendt.

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Sicher gelten heute manche Ideale der Religionen als überholt, beispielsweise das Märtyrerideal, das auch Christen kannten. Zumindest sei dieses "religiöse Leistungsdenken gerade dem protestantischen Glauben sehr fremd", sagte die Theologin und Religionspädagogin Elisabeth Naurath. Sie glaube auch nicht, dass Jesus am Kreuz sich opfern wollte, vielmehr sei er umgebracht worden.

Auch die islamische Theologin und Imamin Halima Krausen verwies darauf, dass Selbstmordattentate weder in der Geschichte des Islam zu finden noch zu rechtfertigen seien, sondern ein völlig neues Phänomen darstellten. Lösungsansätze für einen gewaltfreien Umgang miteinander müssten in der Schule anfangen, forderte Naurath. Es gehe darum, Vorurteile früh einzudämmen. Religionen würden von Menschen getragen und gelebt. So könne auch gezeigt werden, "dass in der Mitte des Islams die Barmherzigkeit steht".