Verstört fragt man sich: Hat jetzt auch die evangelische Kirche ihren Hassprediger? War das nicht ein Problem des Islam? Kaum jemand macht sich die Mühe, die Predigt von Pastor Olaf Latzel in Gänze anzuhören. Das ist zwar verständlich, denn sie dauert eine knappe halbe Stunde, dennoch würde es sich lohnen um schnell zu sehen, dass sich hier einer mächtig im Ton vergriffen und vergessen hat, wo und in welcher Zeit er lebt.
"Ich sage nur, was in der Bibel steht"
Latzel betont in seiner Predigt immer wieder, dass die Gedanken, die er von der Kanzel vorträgt, nicht seine eigenen sind, sondern dass sie in der Bibel stehen. Und da spricht Gott eindeutig davon, dass man Götzenbilder umhauen soll, dass man ihm allein die Ehre geben soll. Aller Synkretismus, alle Annäherung an andere Religionen werden von Gott abgelehnt. Also müssen wir es ebenso ablehnen. Alles, was nicht dem Dreieinigen dient, ist für Latzel konsequenterweise Mist, ist albern, darf verspottet, muss gereinigt und abgehackt werden. Das mag einem Hörer nicht schmecken, aber alles, was Pastor Latzel sagt, ist tatsächlich biblisch belegt.
Bibel und Koran haben etwas gemein, das nur allzu gern verschwiegen wird: Es gibt in beiden Büchern Stellen, die eindeutig intolerant anderen Religionen gegenüber sind und die dazu aufrufen, all das, was gegen den richtigen Glauben spricht, auf möglichst endgültige Art loszuwerden. Aber Christentum und Islam haben längst gelernt, auch mit den intoleranten und abgrenzenden Anteilen ihrer Tradition umzugehen. Es ist richtig, wenn Muslime immer wieder betonen: Der Islam ist eine friedliebende Religion. Das heißt nicht, dass alles, was im Koran steht, zum Frieden aufruft. Das Christentum ist ebenfalls eine friedliche Religion. Das heißt aber ebenso wenig, dass alles, was in der Bibel steht, der reine Frieden ist.Die Intoleranz entstand unter Verfolgung
Latzel hat also einerseits Recht, wenn er betont, dass sich das, was er in Bremen von der Kanzel gepredigt hat, biblisch begründen lässt. Er fragt sich allerdings zu keiner Sekunde, ob es angemessen ist, so zu reden, wie er das tut. Er stellt sich in seiner Rede in eine Tradition, die von Gideon über die Propheten, Jesus, Martin Luther bis zu einem Widerstandskämpfer unter der Naziherrschaft reicht. Latzel betont, dass er sich nicht mit denen vergleichen will, aber er verkennt dabei einen entscheidenden Punkt: All die Traditionen, die er aufruft, entstanden in einer tatsächlichen Verfolgungssituation.
Israel schrieb seine Geschichte im Exil auf und erklärte sich dadurch, wie es zu der Katastrophe der Vertreibung kommen konnte. Die Geschichte Jesu und der ersten Christen wurde während der Christenverfolgung aufgeschrieben. Luther musste ebenso um sein Leben fürchten, wie jeder, der sich offen gegen den Nationalsozialismus wandte. In solchen Situationen der Unterdrückung und der Verfolgung entstehen drastische Worte und Phantasien. Diese haben so lange ihre Berechtigung, wie man sie nicht in die Tat umsetzen kann, und so lange man sie als identitätsstiftend benötigt. In Verfolgungssituationen ist es geradezu natürlich sich abzugrenzen, um die eigene Identität zu bewahren.
Gefühlte und echte Verfolgung
Darum sind die Texte mit intolerantem Inhalt Bestandteil unserer Tradition, unseres Kanons geworden. Doch hat sich die Welt gewaltig verändert. Aus dem kleinen Häuflein verfolgter Christen ist eine Macht geworden. Als Pastor einer staatlich unterstützten Kirche und Bürger im eigenen Land mit Wahlrecht und geregeltem Einkommen ist Pastor Latzel kein Mitglied der kleinen bedrängten Schar, die sich abgrenzen muss um zu überleben. Als Vertreter einer Mehrheit hat er seine Worte weiser zu wählen, völlig unabhängig davon, ob unser Glaube einen Absolutheitsanspruch hat oder nicht.
Die Bremische Landeskirche sollte Latzel nicht den Gefallen tun, ihn allzu hart für seine Entgleisung zu bestrafen, denn das würde ihn lediglich in seinem Irrglauben bestätigen, als bedrängter und einsamer Rufer in der Wüste entsprechend schreien zu dürfen. Vielmehr sollte es jetzt die Aufgabe aller sein, sich den intoleranten Aspekten unserer Tradition zu stellen und immer wieder deutlich zu machen, warum wir hier und da nicht tun, was die Bibel sagt. Wir haben gute Gründe dafür. Wir sind die Gastgeber, wir sind die Reichen, wir sind die Mächtigen in unserem eigenen Land. Wenn sich die Verfolgten Christinnen und Christen in Syrien oder in Nigeria an Texten wie dem "Eifer Gideons" (Richter 6) festhalten, dann tut ihnen das hoffentlich gut. Sie sind die wahren Nachfolger von Gideon, Paulus und Martin Luther, denn ihre religiöse Identität soll ihnen gewaltsam genommen werden. Darum sollen sie sich reinigen von allem, was nicht christlich ist, denn das ist ihr Widerstand. Eine gefühlte Bedrohung wie die in Bremen reicht nicht aus, um zur Intoleranz aufzurufen.