Foto: Vera Rüttimann
Die Kirche müsste Gestalter und Moderator des Konfliktes um "Pegida" sein, sagt Eva-Maria Kiklas, "indem sie klar macht, welche Aufgaben wir Christen jetzt haben".
Zerrissene Gemeinden und die Suche nach Dialog in Dresden
Am Montag versammelten sich tausende Menschen in Dresden, um ein Zeichen für Toleranz und Freiheit zu setzen, Werte, die die Demonstranten durch "Pegida" gefährdet sehen. Auch die evangelischen Gemeinden in Dresden reden über die umstrittene Bewegung. Menschen wie Eva-Maria Kiklas wollen ihre Stadt nicht spalten lassen - und setzen auf die Kirche und dialogbereite Theologen.

Die Kulisse ist gewaltig. Immer wieder. Hoch ragt die Frauenkirche in den Himmel. Die Körper von unzähligen Menschen sind auf ihren Fassaden als tanzende Schatten zu sehen. Doch dieses Mal versammeln sich nicht "Pegida"-Anhänger mit großen Deutschland-Fahnen. Es ist das andere Dresden, das sich an diesem Abend zeigt. Darunter sind Künstler wie Herbert Grönemeyer, Silly oder Keimzeit. Und es sind normale Bürger. 25.000 sind dem Aufruf des Vereins "Dresden – Place to be!" gefolgt und ihre Wut auf die, die den Ruf ihrer Stadt in der Welt beschädigen, ist beträchtlich.

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Dresden, ausgerechnet. Um zu verstehen, wie tief die Fassungslosigkeit bei Bürgern dieser Stadt sitzt, muss nur mit Leuten wie Eva-Maria Kiklas reden. Die 78-Jährige aus dem Dresdner Stadtteil Strehlen hat ihre Mütze tief ins Gesicht gezogen, als sie sich an der Kundgebung auf dem Neumarkt blicken lässt. Am Vorabend der Befreiung des KZ Ausschwitz kommen in ihr düstere Gedanken hoch. "Manches erinnert mich an die 30er-Jahre. Auch damals war es diese Mischung aus Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven, dass in Zorn mündete und sich an Ausländern entlud."

Das Leben der Dresdnerin steht derzeit Kopf. Sie fühlt sich seltsam fremd in der eigenen Stadt, in der sie sich 1989 tatkräftig mit ihren Freunden am Wendeherbst 1989 beteiligt hat. Fassungslos spricht sie darüber, wie es sein kann, das nun "Pegida"-Anhänger durch die Straßen von Dresden ziehen und "Wir sind das Volk!" skandieren oder auf dem Augustus-Platz Kerzen anzünden und dabei Kirchenlieder singen. "Mit christlichem Gedankengut hat diese Bewegung rein gar nichts zu tun", betont sie.

Wie überhitzt die Stimmung mancherorts ist im Dresden dieser Tage, erlebt Eva-Maria Kiklas auch im Fall einer jungen Muslimin. Die Rentnerin hat sich hier schon immer für Randständige engagiert. Sie arbeitet seit 30 Jahren ehrenamtlich in der Telefonseelsorge mit und diversen kirchlichen Zirkeln.  Die agile Frau hilft, wo sie kann. Wenige Stunden vor der Großkundgebung auf dem Neumarkt begleitete sie eine 18-jährige Palästinenserin ein Stück weit durch die Stadt. Die Muslimin, die aus dem Libanon nach Deutschland flüchtete, wurde unlängst von Jugendlichen vor dem Hauptbahnhof in Dresden angriffen. "Sie rissen ihr das Kopftuch weg und bedrohten sie. Die Frau traut sich seitdem nicht mehr auf die Straße. So weit sind wir hier", empört sich Kiklas. Nicht alle verstehen ihr Engagement. Sie sagt: "Darunter sind kluge Freunde, Intellektuelle, von denen ich nie gedacht habe, dass sie dem Gedankengut von 'Pegida' nahe stehen."

Ein Riss durch die Gemeinden

Währen die einen zur Anti-"Pegida"-Demo auf den Neumarkt strömen, steuert Eva-Maria Kiklas die Räume der evangelischen Kirche an, in dem sich an diesem Abend der Leserkreis der Zeitschrift Publik-Forum trifft. Die Stimmung ist angespannt. Auch hier gib es kein "Warm-Up", kein Smalltalk, sofort ist man mitten drin im Gespräch um die Themen, die den Leuten hier unter den Nägeln brennen. Die Diskussion dreht sich um die Folgen des Attentats von Paris, die Karrikaturen von Charlie Hebbod und was das alles mit Dresdens "Pegida" zu tun hat. Die Stimmung auch in diesem Kreis hat etwa Fieberhaftes. Werner Schmiede aus Dresden-Strehle sagt: "In manchen Momenten erinnert sie mich an die Wendetage von 1989."

Diskussion im Leserkreis der Zeitschrift Publik-Forum

Ein dominierendes Thema, dass durch alle Ritzen spürbar ist, ist der Riss, der durch die evangelische Kirchen geht, der "Pegida" verursacht. Ihnen die Tür öffnen, wie es Frank Richter tut, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung? Oder sie kritisieren, wie es immer mehr Pastoren tun? Oder sie doch ganz abweisen? Und: Wie umgehen mit Christen, die bei "Pegida" mitlaufen?

Fast alle, die hier sitzen, kennen Christen aus ihrem nächsten Umfeld, die bei "Pegida" mitlaufen und sich für eine strengere Durchsetzung des Asylrechts aussprechen. Leute wie Wilfried Weißflog, ehemaliger Superintendent in Dresden und heute "Pegida"-Anhänger, sind in diesem Kreis ein rotes Tuch. "Die Frage, wie die Kirche mit dem Thema 'Pegida' umgeht, spaltet längst ganze Gemeinden", sagt Eva-Maria Kiklas. Sie spricht von Gemeindegliedern, die sich verschämt wegdrehen, wenn sie zu diesem Thema befragt werden. Von Menschen, die die Straßenseiten wechseln oder nicht mehr grüßen.

Werner Schmiede erzählt im Leserkreis von Menschen, die zu den Verlierern der Wiedervereinigung gehören. Von Freunden, die seit 1990 nie richtig Fuß gefasst haben in diesem neuen Deutschland. Von solchen, die nur ein Ventil gesucht haben, um ihren angestauten Frust loszuwerden. "Es brodelt hier schon lange unter der Decke. Bedauerlicherweise entlädt sich ihre Wut jetzt an Ausländern, die der ganz falsche Adressat sind. Mit dem Islam hat ihre Wut überdies meist wenig zu tun", beobchtet Schmiede. Der pensioniert Lehrer, der regelmäßig an diesem Treffen teilnimmt, betont, wie wichtig es nun sei, sich gegenseitig die Lebensgeschichten zu erzählen: "Es bringt nichts, wenn wir ihre Probleme ausblenden."

Die Chance der Kirche als Moderatorin

Anderentags trifft sich Eva-Maria Kiklas mit Freundinnen zu einer Vorlesung in der katholischen Fakultät der TU Dresden. Es um das Werk des protestantischen Theologen Adolf von Harnack. Auch dieses Mal drehen sich viele Gespräche in den Pausen um das Thema "Pegida". "Pegida" ist in diesen Tagen überall. Theologe Karl-Heinz Ruhstdorfer, vor einem Jahr zugezogen aus Niederbayern, zeigt sich bedrückt über die schwache Stellung der Zivilgesellschaft in dieser Stadt. "Wäre sie stärker herausgebildet, hätte 'Pegida' hier keine Chance", davon ist er überzeugt.

In diesem Kreis, und nicht nur hier, wird auch gefragt: Worin liegen die Chancen der Kirche in diesem Konflikt? Eva-Maria Kiklas hat eine klare Antwort: Wer, wenn nicht die Kirche kann jetzt mit ihrer Erfahrung als Moderatorin auf den Plan treten? "Die Kirche könnte ihre Bedeutung wieder erlangen, wenn sie als Gestalter und Moderator dieses Konfliktes wirkt", sagt sie, "und indem sie klar macht, welche Aufgaben wir Christen jetzt haben."

Das Friedensgebet in der Kreuzkirche, das sie seit der Wende jeden Montag besucht, macht ihr jedenfalls Hoffnung. Unlängst mussten die Organisatoren wegen des Andrangs die kleine Kapelle verlassen und in das Hauptschiff umziehen. Drei Pastoren beteiligen sich mittlerweile an diesem Gebet. In den Bänken saßen unlängst auch jene, für die man hier auch betet. "Dürfen wir als 'Pegida' wieder kommen?", fragte einer durchs Kirchenschiff. "Natürlich!" rief eine feste Stimme aus den Bänken zurück. Sie gehörte Eva-Maria Kiklas.