Stapelweise haben sie große, unscharfe Fotos von Raif Badawi mitgebracht, hochkant und quer, mit Spruch und ohne. Dazu ein paar dünne Latten und Klebeband. Bei dem starken Wind vor dem Frankfurter Messeturm kann man allerdings schlecht Plakate basteln. Also geht die kleine Gruppe, die sich hier zum Demonstrieren eingefunden hat, in den Rolltreppen-Eingang seitlich am Messeturm – da ist es warm und windstill. Sie schütteln sich die Hände, stellen einander vor.
###mehr-links###
Aus Gießen, Bayreuth, Mainz, Frankfurt, Waiblingen und Tübingen sind sie angereist, um dem Generalkonsul des Königreichs Saudi-Arabien in Frankfurt am Main einen Brief zu bringen. Darin fordern sie die Freilassung des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi. Zu 1.000 Peitschenhieben – Amnesty International spricht von Stockschlägen – und zehn Jahren Haft ist der islamkritische und freiheitsliebende Blogger verurteilt worden. 50 Hiebe hat er schon bekommen.
"Schlagt uns statt Raif" steht in dem Brief und auf den schnell gebastelten Plakaten. Die Aktion ist eine Idee des FPD-Politikers Albert Duin aus Bayern, die sein Parteikollege Christopher Gohl aus Tübingen übernommen und auf Facebook verbreitet hat: Wenn sich 950 Menschen finden, um je einen Hieb zu übernehmen, kann Raif Badawi leben. Soweit die Idee. Ist das ernst gemeint? Für Julia Goll aus Waiblingen, Richterin am Landgericht Stuttgart, schon. "Ich denke, einen Schlag überlebt man", sagt die Demonstrantin tapfer. Wie sich so ein Schlag wohl anfühlt – ob mit Peitsche oder Stock? "Ich habe dazu keine Vorstellung. Ich kann es mir nicht vorstellen, ich bin als Kind nie verhauen worden." Auf jeden Fall sei das eine Strafe, die allem Menschlichen widerspreche, findet Julia Goll. "Jeder sollte aufstehen und seinen Mund dazu aufmachen. Man darf nicht wegschauen."
Je ein Schlag, ist das ernst gemeint?
Hingeschaut hat auch Michael Rubin, und zwar ganz genau: Im Internet entdeckte er ein Video, das angeblich die erste öffentliche Auspeitschung von Raif Badawi zeigt, die ersten 50 Schläge. Allein das Zuschauen ist eine Tortur, zweimal hat sich Rubin das angetan und dann sehr bewusst entschieden: "Ich würde wirklich einen Schlag übernehmen, obwohl es weh tut."
Bettina Bäumler, ebenfalls Frankfurterin, würde das nicht tun. Für sie ist das Angebot "Schlagt uns statt Raif" symbolisch zu verstehen. "Ich find die Idee ganz klasse", sagt Bäumler, die selbst bloggt und twittert. "Ich bin der Meinung, für Worte darf man keinen töten", bekundet sie mit fester Stimme und gibt noch zu bedenken: "Auch uns als im Internet Aktiven kann ja alles möglich passieren. Aber wir sind alle miteinander verbunden."
Florian Reineking aus Frankfurt geht es bei dieser Demo darum, "ein Zeichen gegen diese Strafe zu setzen und die Absurdität dieser Strafe aufzuzeigen". Doch auch er hat darüber nachgedacht, was wäre, wenn der Staat Saudi-Arabien das Angebot "Schlagt uns statt Raif" annähme. "Dann würde ich das schon durchziehen", sagt Reineking, "das meine ich insofern schon ernst." Schwierig ist für ihn aber die Frage, ob man mit der Aktion die Strafe von 1.000 Stockhieben anerkennen würde. Reineking kommt zu dem Ergebnis: Nein. "Ich erkenne allerdings, dass Unrecht passiert und ich die Möglichkeit habe, dieses Unrecht für eine andere Person zu mildern. Deswegen finde ich es moralisch richtig."
Den Brief mussten sie am Morgen schnell umformulieren
Was wohl der Generalkonsul dazu sagt? Ob er überhaupt da ist? Sein Büro befindet sich in der 20. Etage des Frankfurter Messeturms – allein aus diesem Grund hat die kleine nachdenkliche Gruppe von Demonstranten diesen zugigen Treffpunkt gewählt. Hier im eisigen Wind liest Initiator Christopher Gohl den Brief an Generalkonsul Nabil Hussein Ashri erst einmal vor, damit alle auf dem neuesten Stand sind. Denn am Morgen musste alles noch einmal umformuliert werden: Am Anfang steht jetzt eine Beileidsbekundung, denn der saudische König Abdullah ist in der Nacht gestorben. Da wollen die Demonstranten zumindest höflich sein. Ralph Lange, der die Demo angemeldet hat, äußert eine vorsichtige Hoffnung: "Traditionell ist es ja so, dass ein neuer König bei seiner Einsetzung Begnadigungen ausspricht. Insofern wäre es eine gute Fügung, wenn das so passieren würde."
###mehr-artikel###
Noch bedeutsamer ist allerdings, dass der Botschafter von Saudi-Arabien, Ossama bin Abdul Majed Shobokshi, am Donnerstag im NDR-Medienmagazin "Zapp" etwas zum Fall Badawi gesagt hat: "Die Bestrafung von Herrn Raif Badawi wurde, wie ich verstanden habe, gestoppt. Er wird keine Peitschenhiebe mehr erhalten. Ich nehme an, dass Herr Badawi, nachdem die Auspeitschung gestoppt wurde, nicht zehn Jahre in Haft bleiben wird."
Die Demonstranten vor dem Frankfurter Messeturm rätseln, was das bedeutet. "Ob Raif Badawi freigelassen wird, wann er freigelassen wird und ob vor allem auch sein Anwalt freigelassen wird, wissen wir natürlich nicht", sagt Christopher Gohl. "Aber es gibt noch viele andere, die ebenfalls in Saudi-Arabien in Haft sind, die Peitschenhiebe erwarten und die erwarten, dass sie die Todesstrafe bekommen", gibt er zu bedenken. "Und das Regime bleibt natürlich eine auf Terrorherrschaft aufgebaute absolutistische Monarchie. Nur weil die Strafe für Raif Badawi ausgesetzt wird, heißt das natürlich nicht, dass Saudi-Arabien insgesamt den Menschenrechten nachkommt, auf die sie sich selber verpflichtet haben. Und deswegen ist wichtig, dass wir das heute durchziehen."
Gohl geht mit dem Brief umher, den die fast 30 Demonstranten unterzeichnen – etliche Namen stehen schon gedruckt auf dem Blatt. Dann nimmt Ralph Lange den Brief, geht durch die große Glasdrehtür ins Foyer des Messeturms und fragt höflich, ob er den Generalkonsul sprechen dürfe. Kann er nicht – denn er ist nicht da. Doch ein netter Herr im Anzug kommt heraus zu den Demonstranten, schaut sich den Brief an, hört zu. Es ist der Sicherheitschef des Generalkonsulat, der seinen Namen aus Sicherheitsgründen nicht sagen will – nicht alle Besucher seien so friedlich wie diese Demonstranten hier, sagt er. Raif Badawi? "Vorerst wird er nicht mehr bestraft", meint der Sicherheitschef. "Ob er die zehn Jahre behält, weiß ich nicht. Aber ich drück ihm die Daumen." Dann geht er mit dem Brief wieder Richtung Glastür. Ob der Generalkonsul die Demonstranten empfangen hätte, wenn er da gewesen wäre? "So, wie ich ihn kenne, hätte er gesagt: Ja."