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Wegen des Verbots der "Pegida"-Demonstration in Dresden sind viele Straßen menschenleer.
Dresden als Geisterstadt: Viele Ängste, wenig Lösungen
Bei ihrer Spurensuche in Dresden wird unsere Volontärin Nora Frerichmann mit den Worten "Hau ab" und "Lügenpresse" vor der Dresdener Semperoper von radikalen "Pegida"-Anhängern empfangen. Viele andere Dresdener sind aber bereit, über ihre Ängste, Sorgen und Vorurteile zum Thema Asyl zu sprechen. Denn darum scheint es den meisten "Pegida"-Anhängern zu gehen. Klare Forderungen oder Lösungsansätze konnte allerdings niemand nennen.

Die Straßen sind leergefegt. Ab und zu fährt mal ein Auto vorbei, es läuft eine einzelne, dunkel gekleidete Person über den Bürgersteig, aber Dresden gleicht einer Geisterstadt. Über jede Straße, die ich überquere, rauscht ein Polizeiwagen. An jeder Ecke stehen zwei Polizisten in dunklen Uniformen. Einige sind schwer bewaffnet. Es kommt mir vor, als liefe ich um Mitternacht durch ein Militärgelände aus sandsteinernen Barockbauten, dabei ist es gerade 17.30 am Montag, dem 19. Januar – in einer Stunde hätte die wegen Morddrohungen abgesagte "Pegida"-Demonstration am Theaterplatz vor der Semperoper stattfinden sollen.

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Ich bin auf der Suche nach Leben in dieser sonst montags so pulsierenden, emotionsgeladenen Stadt. Ich will wissen, was die Menschen wirklich auf die Straße treibt, was sie erreichen wollen, indem sie sich den selbsternannten "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" anschließen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blinken ein paar bunte Lichter. Dort steht eine verwaiste Eisbahn und eine riesige Rutsche mit der Aufschrift "Rodelbahn". Auch sie ist vollkommen verlassen. In den beleuchteten Büdchen stehen die Inhaber und langweilen sich.

Es ist eiskalt und windig. Ich spendiere mir einen Nutella-Crêpe. Die Verkäuferin schaut mich streng an und ermahnt mich, nicht zu lange allein draußen herumzulaufen. "Man kann ja nie wissen, was noch passiert, Frollein!", sagt sie. Die "Pegida"-Demonstrationen führten meist direkt hier am Altmarkt vorbei. Das sei immer ein Riesen-Spektakel. Bei all den schreienden Menschen werde ihr manchmal schon etwas mulmig.

"Pegida" vermittele Zugehörigkeitsgefühle und Sicherheit

Der Crêpe hält meine Finger für’s erste wunderbar warm. Ich laufe ziellos durch die dunkeln, verlassenen Straßen. An einer größeren Haltestelle einige hundert Meter weiter stehen dann doch ein paar Menschen. Darunter auch ein älteres Ehepaar, das von der Arbeit nach Hause fährt. Angst vor Anschlägen hätten sie heute nicht. Es sei ein richtig gutes Gefühl, bei "Pegida" mitzulaufen, sagt der Mann mit den kurzen grauen Haaren. Er habe sich sofort zugehörig, respektiert, sicher gefühlt. Von Gewalt gebe es keine Spur. Er habe sich das ganze erst einmal angeschaut und werde in Zukunft sicher wieder dabei sein.

Die Akademie der darstellenden Künste distanziert sich von "Pegida".

Es gehe vor allem darum, den Staat auf die misslungene Asylpolitik aufmerksam zu machen, sagt seine Frau. Abschiebungen müssten endlich auch durchgeführt werden. Flüchtlinge müssten sich endlich auch mal integrieren. Da müsse die Politik doch endlich mal was tun, sonst gebe es in anderen Fällen so ein schreckliches Ende, wie bei Khaled B. Der 20-jährige Flüchtling aus Eritrea war am 13. Januar erstochen in Dresden aufgefunden worden. "Deutschland muss weiterhin Flüchtlinge aufnehmen", sagt sie. Aber warum sie dann gegen eine "Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße gingen, frage ich. Warum dann ausgerechnet "Pegida"? Die Demos seien mittlerweile so groß, dass die Politik auch mal zuhöre. Da könne man eben was erreichen, sagt der Mann. Genau das Argument wird mir noch in vielen anderen Gesprächen begegnen. Dass auch Rechtsradikale mitlaufen, stört ihn nicht: "Davon habe ich dei der Demonstration nichts mitgekriegt und mit denen will ich auch nichts zu tun haben", sagt er.

Von dieser Dynamik sind neben den "Pegida"-Gegnern vor allem auch Menschen anderer Nationen geschockt. Bei der Podiumsdiskussion "Was will das Volk" am nächsten Tag in der Frauenkirche, an der auch Bundesinnenminister de Maizière, der sächsische Landesbischof Jochen Bohl, der Politikwissenschaftler Hans Vorländer und die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau Bascha Mika teilnehmen, spricht sich eine Kanadierin all ihren Frust von der Seele. Mit vor Wut und Traurigkeit bebender Stimme sagt sie: "Rassismus ist in Dresden Realität. Ich erfahre das jeden Tag". Viele Ausländer wollten weg aus der Stadt. Sie seien alle so enttäuscht, weil sie dieses Land liebten, fügt die kein bisschen "ausländisch" aussehende Frau hinzu.

Das ist nicht mein Deutschland

Ich habe einen dicken Klos im Hals, das muss ich ehrlich zugeben. Ich hoffe, dass das viele Menschen aufrüttelt. Ich möchte nicht, dass mein Land fremdenfeindlich ist. Ich möchte nicht, dass Menschen sich hier ausgegrenzt fühlen und gehasst. Das ist nicht mein Deutschland. Auch wenn sich noch so viele "Spaziergänger" nach außen hin krampfhaft von Fremdenfeindlichkeit distanzieren: Genau das suggeriert der Name "Pegida" nun einmal. Und gerade, wenn man auf die Hitler-Bilder und polemisch-rassistischen Facebook-Beiträge des gestern zurückgetretenen Organisators Lutz Bachmann blickt, bleibt für mich kein Zweifel an einem äußerst fremdenfeindlichen Hintergrund.

Der Politikwissenschaftler Vorländer appelliert in der Frauenkirche an die Menschen, ganz differenziert zu überlegen, ob sie die Organisatoren "Pegidas" als ihre Repräsentanten ansehen wollen. Er spricht auch von einer Vertrauenskrise zwischen Bürgern, Politik und Medien, von einem Wunsch der Demonstranten, wieder etwas zu bewegen und mitzugestalten. Das haben mir in den zwei Tagen viele Dresdener ähnlich geschildert. Innenminister de Maizière redet von Frustration. Wegen Globalisierung und durch das verzweigte politische System sei das Gewicht der einzelnen demokratischen Stimme nicht sofort klar, doch er glaube an die Kraft von Aufklärung und Debatten. Landesbischof Bohl erkennt einen fehlenden Dialog: "Die Leute wünschen sich, dass mit ihnen geredet wird".

Die "Lügenpresse" soll verschwinden

Am Tag zuvor habe ich das von einigen "Pegida"-Anhängern völlig anders erlebt. Gegen 18.45 Uhr haben sich ungeachtet des Versammlungsverbots an die 300 Menschen vor dem Theaterplatz versammelt. Mir scheint es der radikale Teil der Bewegung zu sein. Ich sehe viele stiernackige Männer um die 40 mit kurzgeschorenen Haaren. Auf einer Handyhülle prangt ein eisernes Kreuz. Ich stelle mich zu zwei jungen Frauen. Sie müssten ungefähr in meinem Alter sein, etwa 25 Jahre. Die eine trägt eine geblümte Jacke. An der Kapuze der anderen sind Ohren aus Plüsch angenäht. Ich würde mir gern selbst ein Bild von "Pegida" machen, sage ich. "Ne", sagen beide sehr laut. "Ne, kannse direkt verschwinden." Fast schreien sie mich an. Aber sie fühlten sich doch in den Medien falsch dargestellt. Jetzt könnten sie das ändern. "Hau ab!", sagt die mit den Ohren an der Kapuze aggressiv.

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Ich wage einen weiteren Versuch, obwohl ich langsam unsicher werde, so ganz allein unter all diesen aggressiv wirkenden Menschen. Die drei Männer mit Mützen haben aber wohl schon das Geschrei der beiden Frauen gehört und lachen mich aus. Von ihnen würde ich erst recht nichts erfahren, sagen sie. Auch das Wort "Lügenpresse" fällt. Ich gehe zurück über eine Elbbrücke, vorbei an goldenen Statuen und prunkvollen Bauten. Die Stadt ist wunderschön, aber wenn ich an die Begegnungen vor der Oper denke, habe ich eine unglaubliche Wut im Bauch. Wie soll ich denn ein Gesamtbild erfassen und umfassend berichten, wenn man nicht einmal mit mir reden möchte?

Podiumsdiskussionn "Was will das Volk" in der Frauenkirche.

Viele Dresdener zeigen sich bei der Podiumsdiskussion in der Frauenkirche enttäuscht von den Medien, weil sie die Demonstranten in eine "rechte Ecke" stellen würden, ihnen nicht richtig zuhörten. Natürlich gingen die Medien nicht alles richtig an, gibt Chefredakteurin Mika zu. Die "Pegida"-Befürworter erwarteten allerdings von der Presse, dass sie Politiker kritisiere, könnten Kritik an sich selbst aber nicht ertragen. Mit der Diffamierung von Journalisten durch Begriffe wie "Lügenpresse" werde die ganze Branche "in die Tonne getreten", sagt Mika. Das verletze sie persönlich. Mich auch.

Die Dresdener "Pegida"-Gegner, so scheint es mir nach einigen Gesprächen in der Innenstadt, sind größtenteils verschüchtert und wollen nichts allzu Kritisches über die Demonstrationen sagen, um die Stadt nicht weiter in Verruf zu bringen. Ein Mann mit langem, dunklen Bart sagt mir immerhin, dass er dagegen ist. Er schäme sich für seine Stadt. Mehr möchte er nicht sagen. Ein junger Mann mit Dreadlocks gibt zu, sich Gegendemonstrationen angeschlossen zu haben. Damit werde man allerdings schnell als linksradikal abgestempelt. Deutlich positionieren sich dagegen öffentliche Einrichtungen wie die Semperoper oder die Akademie der bildenden Künste. Auf Transparenten und Fenstern stehen Bekenntnisse wie "Für ein weltoffenes Dresden" oder "No one is illegal".

Vorurteile gegenüber anderen Kulturen

Egal ob in der Straßenbahn, beim Bäcker, an der Haltestelle oder im Café: Überall diskutieren die Leute über "Pegida". Die Debatte ist in Dresden wohl noch stärker emotional aufgeladen als anderswo. Nach den Gesprächen auf Dresdens Straßen kann ich trotzdem nicht genau verstehen, was die "Pegida"-Anhänger denn nun genau wollen und wovor sie Angst haben. Einerseits sollen Flüchtlinge willkommen geheißen werden, andererseits wollen viele nicht mit ihnen zusammenleben.

Ein junger Mann und seine Freundin erzählen mir, dass sie nicht mehr mit ihrer Tochter auf den Spielplatz gehen wollen. Dort seien so viele Tunesier. Geredet hätten sie noch nie mit ihnen. "Die sollen sich erstmal integrieren", sagt er. Asylbewerber sollen also einerseits intergiert werden, andererseits geht man aber nicht auf sie zu. Das solle dann doch lieber durch staatliche Regelungen passieren, von denen man sich aber wiederum nicht bevormunden lassen wolle. Es scheinen in vielen Köpfen noch immer ungewisse Ängste und Vorurteile gegenüber unbekannten Kulturen zu herrschen. So kann allerdings nur zwischen "uns" und "denen" unterschieden werden, statt ein "wir" zuzulassen.