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Jonas Nay als Stefan in "Wir sind jung. Wir sind stark."
Filmkritik: "Wir sind jung. Wir sind stark."
Warten auf den Führer: Der Regisseur Burhan Qurbani geht in seinem neuen Film den rechtsradikalen Ausschreitungen gegen Ausländer 1992 in Rostock-Lichtenhagen nach. Er kommt am Donnerstag in die Kinos.
20.01.2015
epd
Rudolf Worschech

Wie ein Anführer wirkt er eigentlich nicht. Stefan ist ein introvertierter, ausgleichender Typ. Rechtsradikale Sprüche überlässt er eher seinen Kumpels, die schon mal "Heil Hitler!" schreien und von einer "völkischen Revolution" schwafeln. Doch ausgerechnet Stefan wird den ersten Molotowcocktail auf ein Hochhaus werfen, vor dem sich ein Mob versammelt hat, schwankend zwischen Fremdenhass und Volksfeststimmung.

Das war am 24. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Der junge Regisseur Burhan Qurbani hat diese rechtsradikalen Gewalttaten gegen Migranten in seinem zweiten Film "Wir sind jung. Wir sind stark." nachgestellt.

 

Fast 200 Tote hat die Gewalt von rechts seit der Wiedervereinigung gefordert - und dennoch gibt es nur ein gutes Dutzend deutscher Spielfilme, die sich damit beschäftigt haben. Das mag daran liegen, dass Kino und Fernsehen die Zuschauer mit NS-Bewältigungen in der Art der Götterdämmerungsfantasie "Der Untergang" (2004) förmlich traktiert haben.

Die letzten beiden Jahrzehnte gehörten Hitler und Co. Und vielleicht ist ja eine schwarze SS-Uniform fotogener als ein vollgepinkelter Neonazi im Nationalmannschaftstrikot, der volltrunken den Arm zum Hitlergruß streckt - dieses Bild hat ein "Focus"-Fotograf in Lichtenhagen geschossen.

Qurbani erspart es uns, das nachzuinszenieren - obwohl in seinem Film der Alkohol in Strömen fließt. Mitglied einer rechtsradikalen Gang zu sein, das hat meist etwas Rauschhaftes - als wollten die Regisseure einen Zustand geminderten intellektuellen Bewusstseins andeuten. Nicht ganz zurechnungsfähig? Stefan (Jonas Nay) in "Wir sind jung. Wir sind stark" ist allerdings kein Proll, sondern ein Kind aus "gutem" Hause. Protest gegen die Elterngeneration, besonders repräsentiert durch schwache Väter, führen die Filme immer wieder als Begründung für den Rechtsruck ins Feld.

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In "Kombat Sechzehn" (2005) von Mirko Borscht kommt der junge Georg (Florian Bartholomäi) mit seiner Familie aus Frankfurt am Main nach Frankfurt an der Oder, und sein Vater entpuppt sich als wenig einfühlsam und zum Brüllen neigend. Schon zu Beginn fährt die Kamera an verfallenen, aus dem realen Sozialismus stammenden Straßenzügen vorbei, und der Film hört nicht auf, sich an den urbanen Brachen zu weiden.

Auch das ist ein Topos des Neonazifilms: die architektonische Trostlosigkeit, das triste Umfeld. In "Wir sind jung. Wir sind stark" trifft sich die Gang zwischen den endlosen Reihen der Garagen, die früher einmal Trabants und Wartburgs beherrschten. Auch in ausländischen Werken zum Thema wird viel Trostlosigkeit inszeniert, etwa in dem tschechischen Film "My Dog Killer (2013) von Mira Fornay oder dem australischen "Romper Stomper" (1992), einem der ganz frühen und immer noch verstörenden Filme über die Skinhead-Szene. 

Normalerweise zeigen die Filme junge Männer, obwohl der Anteil aktiver, gewaltbereiter Frauen in der rechtsradikalen Szene zunimmt. In "Kriegerin" (2011) von David Wnendt, dem bislang vielleicht besten Film zum Thema, steht die junge Marisa (Alina Levshin) im Mittelpunkt, die mit Skingirl-Frisur im Laden ihrer Mutter an der Kasse arbeitet. Zwei junge Afghanen wehrt sie mit den Worten ab: "So was bedien ich hier nicht."

Als ihre Clique die zwei Afghanen am Strand verprügelt und sie die beiden auf der Straße anfährt, hält sie einen von ihnen für tot. Sie glaubt, an dem anderen etwas gutmachen zu müssen, und versteckt ihn. Der Film beschreibt einen inneren Lösungsprozess. Das durch schlichte Menschlichkeit hervorgerufene Zweifeln setzt Wnendt besser um als Armin Völckers in seinem "Leroy" (2007), in dem sich ein Afrodeutscher in die junge Eva - nach Eva Braun - mit Nazi-Skinhead-Brüdern verliebt.

Vertrauen auf einen mündigen Zuschauer

Es ist interessant, wie die Filme zum Thema jugendlicher Rechtsradikalismus in den 80er und 90er Jahren den erhobenen Zeigefinger provozierten. "Romper Stomper" kam bei uns, wie auch in anderen Ländern, in einer entschärften Fassung 1993 heraus. Dem deutschen "Oi! Warning!", der auf vielen Festivals lief, verweigerte die Filmbewertungsstelle ein Prädikat, wie es sonst alle möglichen Grobkomödien bekommen - die Jury der Evangelischen Filmarbeit hat "Oi! Warning" dagegen als Film des Monats Oktober 2000 ausgewählt.

Noch heftiger traf es die Dokumentarfilme, die wie mit einem Gefühl des Staunens die rechtsradikale Szene beobachteten. Zu Protesten Autonomer kam es bei Thomas Heises "Stau - jetzt geht's los" (1993), der sechs rechtsradikalen Jugendlichen in Halle/Neustadt folgt. Bei Filmen wie "Stau" wurde immer wieder der einordnende Kommentar vermisst.

Das Vertrauen auf einen mündigen Zuschauer hatte sich in dieser Zeit allerdings schon längst bei den Dokumentarfilmern durchgesetzt. Auch Winfried Bonengel verzichtete in "Beruf Neonazi" (1993), dem wahrscheinlich größten Dokumentarfilmskandal der bundesrepublikanischen Geschichte, auf einen einordnenden Text. Er porträtierte einen Neonazi, der einem Mittelschichtelternhaus entstammt und die Waldorf-Schule besuchte.

Die gängige Faschismustheorie von den sozial depravierten und der Leitbilder beraubter Jugendlichen funktioniert bei dem Protagonisten Bela Ewald Althans nicht. Zwei Mal wurde "Beruf Neonazi" von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Man konnte sich damals des Verdachts nicht erwehren, dass es für die Politiker einfacher war, gegen einen Film über Rechtsradikale vorzugehen als gegen diese selbst. 

Regie: Burhan Qurbani. Buch: Martin Behnke und Burhan Qurbani. Mit: Devid Striesow, Jonas Nay, Trang Le Hong, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Thorsten Merten