Es war wohl das erste Mal, dass vor Tausenden Menschen am Brandenburger Tor Verse aus dem Koran verlesen wurden. "Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen oder auf der Erde Unheil gestiftet hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte" - mit diesem Vers begann am Dienstagabend die Mahnwache muslimischer Verbände vor dem Brandenburger Tor. Sie wollten laut und deutlich klar machen: Terrortaten wie die von Paris haben mit ihrer Religion nichts zu tun.
An ihrer Seite standen die Spitzen der Politik und anderer Religionsgemeinschaften. Sie demonstrierten Zusammenhalt: "Ich bin Jude. Ich bin Christ. Ich bin Moslem. Ich bin Charlie", war auf dem Transparent einer Teilnehmerin zu lesen.
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Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte in seiner Begrüßung: "Die Terroristen haben nicht gesiegt, und sie werden nicht siegen." Für Einschüchterung und Gewalt gebe es keine Rechtfertigung. "Wir werden es nicht zulassen, dass unser Glaube missbraucht wird. Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von Extremisten, die nur das Ziel haben, Hass und Zwietracht zu stiften, auseinandergerissen wird."
Mazyek wollte einen Kranz an der Französischen Botschaft in Berlin niederlegen. Der Zentralrat der Muslime und die Türkische Gemeinde Berlin hatten zu der Mahnwache am Brandenburger Tor aufgerufen.
Die Aktion sollte ein Zeichen gegen Hass und Gewalt setzen, für ein weltoffenes Deutschland, welches die Meinungs- und Religionsfreiheit achte und schütze, hieß es einer Mitteilung der beiden Organisationen. Dagegen müssten Nichtmuslime und Muslime stärker als bisher zusammenstehen.
Gauck: "Euer Hass ist unser Ansporn"
Gekommen war fast die komplette Bundesregierung. In der ersten Reihe stand Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Hauptrede hielt Bundespräsident Joachim Gauck. Das Staatsoberhaupt hat alle Menschen in Deutschland unabhängig von Religion und Herkunft zum Einsatz für Demokratie und Weltoffenheit aufgerufen. "Wir alle sind Deutschland", betonte er. "Wir schenken Euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn", sagte er an die Adresse von Terroristen und Fanatikern. Gauck bezog sich dabei auf Sätze, die er zu Beginn seiner Amtszeit den Rechtsextremisten zugerufen hatte. "Der Terror ist international, aber das Bündnis der Freien und Friedfertigen ist es erst recht. Die Welt rückt zusammen."
Vor der Bühne auf dem Pariser Platz versammelten sich nach Polizeiangaben rund 10.000 Menschen. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), bezeichnete die gemeinsame Aktion von Muslimen, Christen und Juden im Schulterschluss mit der Politik als "Allianz der Menschlichkeit".
###mehr-links###Anlässlich der Mahnwache für die Pariser Terroropfer hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) an die Bevölkerung appelliert, das friedliche Zusammenleben aller zu verteidigen. "Wenn wir wie heute zusammen Terror, Extremismus und Intoleranz entgegentreten, dann bin ich sicher, dass die freie Gesellschaft diesen Kampf gewinnen wird", erklärte Steinmeier am Dienstag in Berlin. "Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren", betonte der Minister. Den Aufruf der muslimischen Verbände bezeichnete er als "starkes Zeichen". "Hier erheben Muslime in aller Deutlichkeit ihre Stimme dagegen, dass im Namen des Islam getötet und gefoltert wird", sagte Steinmeier.
Bei den Gewalttaten in der vergangenen Woche in Paris wurden 17 Menschen getötet, darunter Zeichner des Satire-Magazins "Charlie Hebdo". Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte, bei aller Kritik an Inhalten müssten Journalisten, Künstler und Satiriker die Freiheit haben, das Wort zu erheben. "Die Täter haben den Islam in den Schmutz gezogen."
Evangelische Kirche: Juden, Christen und Muslime sagen Nein zu Gewalt
Der Berliner Bischof Markus Dröge hat dazu aufgerufen, den Dialog der Religionen fortzusetzen. "Was in Paris passiert ist, rüttelt uns auf", sagte er am Dienstagabend. Glaube dürfe nicht missbraucht werden, um Gewalt zu legitimieren oder Menschengruppen auszugrenzen. "Echter Glaube an Gott führt zum Frieden und zur Überwindung von Spaltung", unterstrich Dröge.
Die evangelischen Christen in Deutschland nähmen "zutiefst Anteil an der Trauer unserer französischen Nachbarn", ergänzte der Bischof. In Gottesdiensten werde seit dem Attentat auf die Redaktion des Magazins "Charlie Hebdo" sowie der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris für die Opfer und ihre Angehörigen gebetet.
Die Botschaft der Religionen sei klar, unterstrich Dröge: "Juden, Christen und Muslime sagen gemeinsam Nein zu jeder Gewalt, zu jedem Terror im Namen des Glaubens an Gott." Der Bischof sprach bei der Mahnwache als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Der Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland, Weihbischof Matthias Heinrich, forderte, sich verstärkt mit den Ursachen für den Hass auseinanderzusetzen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, appellierte an die Muslime, gegen den Terrorismus vorzugehen. Gerade im Islam gebe es eine immer stärkere Radikalisierung. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bekundeten bei einem Gottesdienst in München ihre Solidarität mit den Opfern der Pariser Anschläge.
Mazyek: "Ich danke Gott für dieses gewaltige Zeichen der Solidarität"
Vor Beginn der Mahnwache hatte die Deutsche Islamkonferenz auf einer Sitzung in Berlin die Taten von Paris verurteilt. Sie seien auch ein Anschlag auf muslimische Werte, heißt es in einer Erklärung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte vor wachsender Islamfeindlichkeit. Ein Zeichen der Solidarität auch mit den Muslimen hatte Kanzlerin Merkel bereits am Montag gesetzt, als sie erneut der Aussage des Altbundespräsidenten Christian Wulff zustimmte, wonach der Islam zu Deutschland gehöre. Auch Wulff nahm am Dienstag an der Mahnwache teil.
Zum Schluss rückten die Spitzen aus Politik und der Zivilgesellschaft, Muslime, Juden und Christen nicht nur mit Worten zusammen. Arm in Arm traten Kanzlerin Merkel und Muslimvertreter Mazyek, Bundespräsident Gauck, sein Vorgänger Wulff, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und etliche Abgeordnete des Bundestags, Gewerkschafter und Minister gemeinsam nach vorne. Die Menschenkette sollte unverkennbar an den Trauermarsch von Paris erinnern. "Ich danke Gott für dieses gewaltige Zeichen der Solidarität und des Respekts", hatte Mazyek zuvor gesagt. "Die Terroristen haben nicht gesiegt und werden dies auch nicht in Zukunft."