dpa/Etienne Laurent
Es ist eine beispiellose Geste der Solidarität. In Paris haben sich am Sonntag Hunderttausende Menschen versammelt, um der Opfer der islamistischen Anschläge der vergangenen Woche zu gedenken.
Millionen gegen den Terror
"So etwas darf nie wieder passieren." Ein sechsjähriger Junge bringt bei der Demonstration in Paris die Botschaft der Massen auf den Punkt. Und auch Politiker aus aller Welt setzen Zeichen.
11.01.2015
epd/dpa
Verena von Derschau (epd)

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in einer Reihe, Angela Merkels Kopf auf François Hollandes Schulter, Applaus für die Polizei und mehr als eine Million Menschen in den Straßen von Paris: Der Protestmarsch gegen den Terrorismus am Sonntag in Paris setzte ein Zeichen für Friede und Freiheit.

"Ich bin Charlie" aber auch "Ich bin Polizist, ich bin Jude, ich bin die Republik" stand auf Schildern, Aufklebern und Bannern, mit denen sich eine dichtgedrängte Menschenmasse durch die Straßen der französischen Hauptstadt um den Platz der Republik schob. Ein paar Fahnen, viele erhobene Stifte und Hunderte von Karikaturen waren ebenfalls zu sehen.

"Was passiert ist, ist nicht ein französisches Problem, das betrifft die ganze Menschheit

Mit einer beispiellosen Welle der Solidarität haben am Sonntag mehr als als 3,7 Millionen Menschen nach Schätzzahlen des Innenministeriums in zahlreichen französischen Städten an Solidaritätsmärschen für die 17 Opfer der islamistischen Terroranschläge teilgenommen. Bei einer der größten Kundgebungen der Nachkriegszeit kamen allein in der Hauptstadt Paris nach Schätzung der Organisatoren bis zu 1,5 Millionen Menschen zusammen, um gemeinsam der jüngsten Opfer des islamistischen Terrors der vorigen Woche zu gedenken. "Was passiert ist, ist nicht ein französisches Problem, das betrifft die ganze Menschheit", sagte Laetitia Godillot, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die junge Pariserin war mit zwei Freundinnen gekommen, um "die Pressefreiheit zu verteidigen", wie sie erklärte.

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"Die Mobilisierung ist entscheidend", sagten auch Matthieu und Christelle, ein junges Paar, das mit dem sechsjährigen Sohn und der Schwiegermutter in Paris "en famille" demonstrierte und der insgesamt 17 Terroropfer der vergangenen Tage gedachte. "Es ist wichtig als Zeuge hier zu sein", versicherte die junge Frau von der französischen Karibikinsel Martinique, während ihr kleiner Sohn bunte Bleistifte schwenkt. "So etwas darf nie wieder passieren", mischte der Junge sich ein.

An einer Straßenecke standen fast unbemerkt die Präsidenten der französischen Fußballiga, der Rugbyliga und des französischen Olympia-Komitees. "Wir sind hier, um die Solidarität der Welt des Sports zu zeigen", sagte Frédéric Thiriez, Präsident der Fußballiga, dem epd. Besonders berührt zeigten sich die drei von der Präsenz der ausländischen Delegationen. "Dass Frau Merkel heute hier ist, ist sehr bewegend. 70 Jahre nach der Landung in der Normandie und 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg steht ganz Europa hinter den Werten von Freiheit und Demokratie", sagte der Präsident des Rugbybundes, Pierre Camou.

Ein wenig weiter spendeten Demonstranten spontan Applaus für Polizisten - nicht nur weil drei von ihnen zu den Opfern der Terrorattacken gehörten, sondern auch, weil die Franzosen "besonders dankbar für die schnelle Aufklärung" der ganzen Sache seien, sagte ein Teilnehmer. Am Freitagabend waren die drei Attentäter von Eliteeinheiten der Polizei erschossen worden. Mehrere Geiseln wurden dabei befreit.

Schon im Laufe des Sonntagvormittags waren Tausende Demonstranten zum Platz der Republik geströmt, um Blumen, Kerzen und Karikaturen niederzulegen. Als die Delegation der ausländischen Staats- und Regierungschefs am Nachmittag mit dem Bus aus dem Elysée-Palast zum Start des Marsches gebracht wurde, drängten sich schon mehre hunderttausend Menschen in den Straßen von Paris.

Der gesamte Osten der Hauptstadt war für den Verkehr gesperrt und über 2.200 Polizisten für die Sicherheit an den drei Routen mobilisiert. Die französische Presse sprach von der größten Demonstration seit der Befreiung von Paris im August 1944. "Es gab den 11. September 2001. Als Antwort gibt es hoffentlich jetzt den 11. Januar 2015", sagte der Präsident der Zentrumspartei UDI, Jean-Christophe Lagarde.

Berliner gedenken der Terror-Opfer

Im Gedenken an die Terroropfer von Paris rücken in Deutschland Muslime und Christen, Deutsche und Zuwanderer zusammen. Rund 18.000 Menschen haben in Berlin der Opfer der Terrorattacken in Paris gedacht. Sie trafen sich am Sonntag vor der französischen Botschaft in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores zu einer Mahnwache. Auch in anderen deutschen Städten - darunter Frankfurt, München und Mannheim - gab es am Wochenende Solidaritätsbekundungen.

In Hannover versammelten sich rund 300 Franzosen und Deutsche. Etliche hielten - im Gedenken an die getöteten Karikaturisten - Kugelschreiber oder Bleistifte als Zeichen der Pressefreiheit in die Höhe.

Trotz Sturms hielten viele Berliner Demonstranten Schilder mit dem Slogan "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie). Sie erinnerten so an den islamistischen Anschlag auf die Redaktion des religionskritischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" mit zwölf Toten. Außerdem wurde ein großes Plakat gezeigt, auf dem es hieß: "Berlin ist Charlie". Die Zahl der Teilnehmer übertraf alle Erwartungen, die Veranstalter hatten mit etwa 6.000 Menschen gerechnet.

Muslime laden zur Mahnwache

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland plant für Dienstag eine Mahnwache für Weltoffenheit und Toleranz in Berlin. Er hoffe, dass die Spitzen des Staates der Veranstaltung beiwohnen, sagte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Ursprünglich war die Veranstaltung am Brandenburger Tor für Montag vorgesehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte eine Teilnahme der CDU an der Mahnwache zugesagt. Auch SPD und Grüne rufen zur Teilnahme auf. Die Bundestagsparteien planen außerdem eine große Solidaritätskundgebung deutscher Politiker mit gesellschaftlichen Gruppen, möglicherweise mit Bundespräsident Joachim Gauck als Redner. Ein Termin dafür steht aber noch nicht fest.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte den anderen Vorsitzenden öffentlich vorgeschlagen, sich daran zu beteiligen. Dieses Vorpreschen brachte ihm deutliche Kritik ein. Unter anderem sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner der "Saarbrücker Zeitung" (Montag), sie halte jedenfalls nichts von "Kundgebungs-Wettbewerben".

Solidarität in Europa

Mit einem Solidaritätsmarsch haben am Sonntag in der belgischen Hauptstadt Brüssel rund 20.000 Menschen für Redefreiheit und gegen Hass demonstriert. Das berichtete die belgische Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei. Der Marsch stand unter dem Motto "Gemeinsam gegen den Hass". Mit dabei waren laut Belga belgische Politiker, Medienleute und Verbandsvertreter. Nach Angaben der Brüsseler EU-Kommission wollten auch mehrere EU-Kommissare teilnehmen.

In der britischen Hauptstadt London wurden Wahrzeichen in blau-weiß-rot - den Farben der Tricolore, der Fahne Frankreichs - angestrahlt.

Auch in mehreren Städten in Spanien fanden Solidaritätskundgebungen für die Opfer der jüngsten Terroranschläge in Paris statt. In Madrid protestierten Hunderte Menschen gegen den islamistischen Terror. Zu der Kundgebung am Atocha-Bahnhof hatte die arabische Kulturstiftung Funca aufgerufen. Der Bahnhof war 2004 der Hauptschauplatz islamistischer Bombenanschläge auf vier Pendlerzüge gewesen, bei denen 191 Menschen getötet worden waren. In anderen spanischen Städten wie La Coruña, Valencia oder Palma de Mallorca fanden ähnliche Kundgebungen statt.

Zentralrat der Juden fordert nach Anschlägen von Paris Taten statt Worte

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, forderte nach den Terroranschlägen ein schärferes Vorgehen des Staates gegen potenzielle Täter. Die Bundesrepublik habe schon einmal ein großes Terrorismus-Problem in den Griff bekommen, "damals, als die Rote-Armee-Fraktion (RAF) mordend durch Deutschland gezogen ist", sagte Schuster am Sonntag dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Würzburg. Konkret fordert er, die Mittel des Rechtsstaates auszuschöpfen. "Die Behörden haben ja offensichtlich eine Liste mit potenziellen islamistischen Gefährdern, die sich in Terrorcamps haben ausbilden lassen", erläuterte Schuster. Er habe Verständnis dafür, dass man nicht alle Gefährder rund um die Uhr überwachen könne. Aber er frage sich auch, "inwieweit es sich ein Rechtsstaat leisten kann, diese Menschen in Deutschland weitestgehend frei herumlaufen zu lassen".