Foto: Charlotte Morgenthal
Pastor Ahmed Bugri im November 2014 auf dem Hof des Fluechtlingsheims "Marsa Open Centre" auf Malta.
Ahmed Bugri, der Vermittler von Malta
Als junger Mann kam Ahmed Bugri von Westafrika nach Malta. Heute leitet der 48-jährige Pastor eines der größten Flüchtlingsheime auf der Mittelmeerinsel. Er kümmert sich um die Asylbewerber - und beerdigt diejenigen, die bei der Flucht übers Meer sterben.
17.01.2015
epd
Charlotte Morgenthal

Für einen kurzen Moment berührt Ahmed Bugri den jungen Somalier am Arm. "Wie geht es Dir?" fragt er leise, und der Flüchtling beginnt zu erzählen. Der 48-jährige Pastor einer evangelikalen Pfingstgemeinde leitet eines der größten Flüchtlingsheime auf der Mittelmeerinsel Malta. Jedes Jahr stranden dort rund 2.000 Afrikaner auf ihrem Weg über das Meer nach Europa.

Als Bugri selbst im Jahr 1990 aus Ghana mit einem katholischen Missionswerk nach Malta kam, war er als afrikanischer Einwanderer noch die Ausnahme. "Die Kultur war so anders", erinnert sich der Theologe und Jurist, der sich später zum Pastor einer Pfingstgemeinde ausbilden ließ. Heute gehört das Land mit seinen rund 420.000 Einwohnern zu den EU-Staaten, die die meisten Asylbewerber aufnehmen. "Malta ist ein großer Container", sagt Bugri.

Zwischen rostigen Fischerbooten

Durch Zufall fand er vor rund zehn Jahren zu seiner "Mission", wie er sagt, der Arbeit mit Flüchtlingen. Mit der Bibel unter dem Arm besuchte der Pastor die Internierungslager der Flüchtlinge. Neuankömmlinge müssen dort viele Monate in Haft ausharren, bevor sie eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis erhalten. Bugri unterrichtete Englisch und erzählte ihnen von der  maltesischen Kultur. "Wenn Du einmal anfängst zu helfen, hört es nicht mehr auf", sagt er.

Als Bugri vor fünf Jahren das offene Heim in einer alten Schule übernahm, traute sich die Polizei schon lange nicht mehr in die Gegend. Gewalt und Drogen waren an der Tagesordnung. 1.000 Menschen lebten dort, wo Platz für maximal 500 gewesen wäre. "In meinem heutigen Büro arbeiteten die Prostituierten", erzählt Bugri. Die Erniedrigungen, denen die Menschen ausgesetzt waren, habe er nicht ertragen können.

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Kaum einer der jährlich rund zwei Millionen Touristen verirrt sich in den Vorort, in dem Bugri jeden Tag arbeitet. Pastor ist er nur noch im Nebenberuf. Zwischen rostigen Fischerbooten warten viele Afrikaner am Straßenrand auf Arbeit. Auch am Eingang des Heims hängen Jobangebote. "Ich möchte sie nicht abhängig von dieser Einrichtung machen", sagt Bugri. Deshalb darf keiner länger als ein Jahr bleiben.

"Du musst den Weg mit ihnen gehen"

Wenn er in dem Heim von Zimmer zu Zimmer geht, hat Bugri seine Augen überall. Das Haus hat sich seit seiner Übernahme grundlegend geändert. In den Zimmern stehen bis zu 16 Betten. Für die Sauberkeit der Räume sind die Männer selbst verantwortlich. "Viele kennen nur das Leben von der Straße und wissen manchmal noch nicht einmal, wie man eine Toilette benutzt."

In Pflichtkursen lernen die Bewohner Englisch, ihnen werden handwerkliche Fertigkeiten gezeigt und wie man am Computer einen Lebenslauf verfasst. Fast alle finden Aushilfsjobs, erzählt Bugri stolz und erinnert sich: "Ich selbst habe nur überlebt, weil ich zur Schule gegangen bin." Um die Arbeit der Einrichtung zu finanzieren, hat er eine Stiftung gegründet. Gerade sammelt er Geld, um den Fußballplatz aus löchrigem Asphalt zu erneuern.

Jeden der rund 350 Bewohner kennt Bugri beim Namen. Jedem, dem er begegnet, ruft er mit einem breiten Lächeln ein kurzes "Wie geht's?" zu. Der junge Somalier, so erfährt er, wurde soeben aus einer zweimonatigen Haft entlassen. Erneut in einer Zelle eingesperrt zu sein, verschlimmere oft die Traumata der Vergangenheit, erklärt Bugri. Wieder in Freiheit, reagierten viele Flüchtlinge aggressiv - und werden oft erneut eingesperrt. "Du musst den Weg mit ihnen gehen", sagt Bugri.

"Malta ist nur ein Übergang"

Und doch sind die glücklich, die es überhaupt bis Malta schaffen: Jede Woche beerdigt Pastor Bugri Flüchtlinge, die die mehr als 300 Kilometer lange Überfahrt von Libyen auf kleinen Booten nicht überlebt haben. Wie viele Menschen er ohne Identität bestatten musste, weiß er nicht mehr.

Mittlerweile ist der Pastor, der mit einer Malteserin verheiratet und Vater von drei Kindern ist, auf der ganzen Insel bekannt. Bugri ist zum Vermittler zwischen den maltesischen Behörden und den afrikanischen Zuwanderern geworden. "Es hilft, dass ich selbst Afrikaner bin", sagt er lächelnd. Gleichzeitig stehe er damit aber auch zwischen den Fronten. Vorträge über Einwanderungspolitik hält er in ganz Europa, auch im niedersächsischen Oldenburg. Dort referiert er einmal jährlich an der Berufsakademie über Wirtschaftsethik und soziale Verantwortung von Unternehmen.

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Etwa 8.500 Flüchtlinge leben nach UN-Angaben auf der Insel. Die Zahl derer, die gezwungen sind, auf Malta zu bleiben, steigt weiter. Die Dublin-Regelung der EU verhindert, dass sie in einem anderen europäischen Land Fuß fassen können: Verantwortlich für Asylbewerber ist der EU-Staat, in dem sie angekommen sind. "Keiner will hierbleiben", sagt Bugri, "Malta ist für die Flüchtlinge nur ein Übergang, sie wollen Europa."

Kaum merklich beginnen die Schultern des 48-Jährigen zu zucken, als er von einem alten Bekannten berichtet, den er kürzlich im maltesischen Krankenhaus besucht hat. Dreimal sei der Afrikaner von anderen Ländern wieder nach Malta zurückgeschickt worden, zuletzt aus Dänemark. Sein Satz zum Abschied gehe ihm immer noch sehr nah, sagt Bugri und wischt sich dabei eine Träne aus dem Auge: "Ahmed, ich bin einfach müde."