Foto: epd/Andreas Heddergott
Besonders gross ist das Wohnzimmer von Juliet Nissan (2.v.l.) nicht. Trotzdem wird die Wohnung der syrischen Altenpflegerin im oberbayerischen Weilheim an Weihnachten Treffpunkt fuer eine 23-koepfige christliche Grossfamilie sein.
Syrische Weihnacht in Oberbayern
Im vergangenen Jahr sind viele christliche Flüchtlinge in Deutschland angekommen. So auch die Verwandten Juliet Nissans im oberbayerischen Weilheim. Sie suchen an Weihnachten die Nähe der Familie - und wünschen sich vor allem Frieden.
25.12.2014
epd
Florian Naumann

Besonders groß ist Juliet Nissans Wohnzimmer nicht: Ein breites Sofa, ein Couchtisch, eine Kommode und ein kleiner, mit roten Kugeln geschmückter Weihnachtsbaum finden so eben Platz. Trotzdem ist die Wohnung der syrischen Altenpflegerin im oberbayerischen Weilheim an Weihnachten Treffpunkt für eine 23-köpfige christliche Großfamilie: Denn Juliet Nissans Geschwister, Nichten und Neffen mussten im vergangenen Jahr aus ihrer Heimat fliehen.

Juliet Nissan selbst lebt schon seit einem Vierteljahrhundert in Oberbayern. Der Bürgerkrieg in Syrien hat nun das Leben ihrer Verwandten aus der Bahn geworfen: Nissan hat die Familie in jordanischen Flüchtlingslagern aufgespürt und in Weilheim zusammengeführt. Jetzt herrscht auch an einem gewöhnlichen Wochentag ein reges Kommen und Gehen in ihrer Wohnung. Neun Menschen sitzen an einem Nachmittag kurz vor Weihnachten hier und unterhalten sich in gedämpftem Ton. Für Nissans Verwandte ist das, bei allem Schmerz über die verlorene Heimat, vor allem: Glück.

"Ich habe am meisten Platz"

Juliet Nissan und ihre Familie sind Assyrer, Christen - eine Minderheit im vom Bürgerkrieg gebeutelten Syrien. Seit dem Jahr 2013 wurde die Lage für Nissans Verwandte lebensgefährlich. Ihr Neffe William, gerade in die Teenagerjahre gekommen, zückt am Wohnzimmertisch bereitwillig sein Smartphone: Er hat in der Nacht, als die IS-Miliz das Dorf seiner Eltern eingenommen hat, im Dunkel der Wohnung gefilmt: Heftige Schusswechsel, berstendes Glas und panisches Stimmengewirr sind zu hören.

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Acht Geschwister hat Juliet Nissan. Die meisten der Familien mussten das Land, aufgerieben zwischen den Fronten des "Islamischen Staats", kurdischen Muslimen und marodierenden "Freiheitskämpfern", wie Nissan erzählt, verlassen. Viele Christen seien umgebracht worden. Die Nissans flohen in Bussen nach Jordanien. Die Weilheimerin holte die Familie auf dem Amtsweg nach Bayern: Als sogenannte Kontingentflüchtlinge seien nach einem halben Jahr bürokratischen Aufwands nacheinander ihre Schwestern Joana und Shoshan, dann Bruder Suhel mit Familien angekommen.

Nun feiert die Großfamilie, die in Syrien etwas verstreut unter anderem in den Städten Al Raqqa und Tall Tamr lebte, erstmals in der Fremde gemeinsam Weihnachten. In Juliet Nissans Wohnzimmer: "Ich habe am meisten Platz", meint die kleine Frau.

Aramäischer Gottesdienst im Keller

Wechselt das Gesprächsthema von den Fluchtwirren zum Weihnachtsfest, entspannen sich die Züge ihrer Schwester Shoshan: In Syrien besuche jeder jeden, mehrmals werde die Tafel gedeckt, erzählt sie. Gaben werden an alle Besucher, ob Verwandtschaft oder Nachbarn, Christen oder Muslime, verteilt. Im Dorf werde am zweiten Feiertag ein großes Zelt aufgestellt und gefeiert.

Ein wenig des syrischen Weihnachtszaubers wollen sich die Nissans auch nach Weilheim holen. Am ersten Weihnachtsfeiertag wird ein Kreuz mit süßem Gebäck und Nüssen geschmückt und Wein als "Blut Christi" getrunken. Die Familie fastet und isst den Dezember hindurch nur vegan - bis zum großen Festmahl. 30 Gäste hat Nissan eingeladen, inklusive deutscher Freunde. Auch einen aramäischen Gottesdienst feiert die Familie im Keller der Wohnung.

Sorgen haben die Nissans dennoch: Gerade die Älteren sehnen sich nach der Heimat. Shoshan etwa hat jahrzehntelang als Sportlehrerin gearbeitet. In Deutschland gibt es für sie keine Arbeit. Und die Familie bangt um Bekannte, die in Syrien zurückgeblieben sind. "Wir hätten uns mehr Hilfe gewünscht", sagt Juliet Nissan. Deutschland habe viele Flüchtlinge aufgenommen - um die in Not lebenden Christen in Syrien habe man sich aber zu wenig gekümmert, findet sie.

Einen Wunsch haben die Oberhäupter der Nissan-Familie: "Frieden", sagt Suhel Nissan. "Für alle. Und natürlich besonders in Syrien." Juliet Nissan will 2015 auch eine Bekannte Shoshans, eine junge Mutter, nach Deutschland holen. Ob das klappt, stehe aber in den Sternen: Auf ihre Bitte nach Aufnahme weiterer syrischer Bekannter hätten sich die Behörden zuletzt eher ablehnend geäußert.