Es ist Weihnachtszeit und Tausende von Menschen gehen zur "Verteidigung des christlichen Abendlandes" in Dresden auf die Straße. Mich erschüttert, mit welcher Offenheit Menschen ihre Intoleranz zeigen und dabei behaupten, christliche Werte zu verteidigen. Dabei ist es ihnen egal, dass wir gerade an Weihnachten daran erinnern, wie Maria und Josef in der Fremde keine Herberge fanden und ihr Kind im Stall geboren wurde.
Kerstin Griese, geboren 1966, ist Sozialpolitikerin und SPD-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen. Sie ist Mitglied der Synode der EKD und des Rats und war sozialpolitischer Vorstand des Diakonie Bundesverbandes. Kerstin Griese ist außerdem eine der vier Sprecherinnen des Arbeitskreises "Christen in der SPD" und Beauftragte für Kirchen/Religionsgemeinschaften der SPD.
In Deutschland gibt es keine Islamisierung. Vielmehr sind wir stolz darauf, eine tolerante und offene Gesellschaft zu sein, in der Christen, Muslime, Juden und Konfessionslose in gegenseitiger Toleranz miteinander leben. Die Organisatoren der so genannten "Pegida" sind Rechtsextreme, die offene Fremdenfeindlichkeit propagieren. Nicht jeder der Mitläufer ist selbst ein Extremist oder ein ausländerfeindlicher Hetzer, mancher empfindet eine diffuse Angst.
Verständnis für die Demonstranten, von denen in Sachsen Tausende auf die Straße gehen, in Düsseldorf glücklicherweise nur wenige Hundert, habe ich trotzdem nicht. Wer als Sympathisant gemeinsam mit rechtsextremen Hetzern, mit Hooligans und Neonazis seine Besorgnisse artikuliert, ist mitverantwortlich für das, was "Pegida" beabsichtigt: nämlich die Grundlagen unserer Demokratie in Frage zu stellen. Der Ruf "Wir sind das Volk", 1989 noch eine Forderung nach Freiheit, möchte diesmal ausgrenzen und ein Freund-Feind-Denken propagieren. Wir, die Demonstranten, sind das Volk, und die anderen sind es nicht – schon gar nicht die "Ausländer", das wollen sie damit sagen.
"Pegida" ist menschenfeindlich. Ich habe kein Verständnis für Leute, denen es egal ist, ob sie mit ihrer Teilnahme an einer Demonstration Ängste bei Flüchtlingen und Einwanderern auslösen. Sie beteiligen sich an der Hetze gegen Menschen, die alles verloren haben, die oftmals Opfer von islamistischen Extremisten geworden und die schwer traumatisiert sind.
Ich erwarte von Bürgerinnen und Bürgern, die in einer funktionierenden, rechtsstaatlichen Ordnung, in einem gut organisierten Sozialstaat leben, sich an demokratischen Wahlen zu beteiligen. Allerdings zeigt sich gerade bei vielen Demonstrierenden, dass sie dem Staat und seinen demokratischen Strukturen kritisch gegenüberstehen und sie teilweise sogar ablehnen, ebenso wie die freien Medien in Deutschland.
Zu wenig gastfreundlich
Bei den Demonstrationen, die in erster Linie dort stattfinden, wo nahezu keine Fremden leben, geht es nicht um die Forderung nach einer besseren Politik, sondern um die Bestätigung von Vorurteilen und das Schüren von Ängsten. Die Ressentiments gehen gerade da auf, wo Menschen mit vermeintlich Fremden oder anders Glaubenden nicht in Berührung kommen. Der Antisemitismus ist am stärksten, wo man keine Juden kennt, die Islamophobie, wo keine Moslems leben und der Rassismus, wo kaum Ausländer im Alltag zu sehen sind.
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Ich bin für eine bessere Flüchtlingspolitik. Wir in Deutschland müssen dankbar dafür sein, dass Menschen aus vielen Kulturkreisen bei uns zusammenleben. Wir brauchen eine bessere Flüchtlingspolitik, weil uns die Mehrheit der Menschen dazu mahnt, die niemals an einer fremdenfeindlichen Demonstration teilnehmen würden: Menschen, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren, Vereine, Verbände und viele Einzelpersonen, die Kleidung, Spielwaren und Möbel sammeln, um Flüchtlingen zu helfen. Jede und jeder Einzelne, der sich für Geflohene einsetzt, verdient Respekt und Dankbarkeit von uns allen. Menschen, die aus Bürgerkriegsländern vor Tod und Zerstörung fliehen, die gerade alles in ihrer Heimat verloren haben, müssen Schutz und Hilfe in Deutschland erfahren.
Bund und Länder haben auf einem großen Flüchtlingsgipfel eine Milliarde Euro zur Unterstützung der Flüchtlingsarbeit der Kommunen beschlossen. Das war keine Reaktion auf "Pegida"-Demonstrationen – ganz im Gegenteil. Es waren die Haupt- und Ehrenamtlichen in Wohlfahrtsverbänden, Kommunalverwaltungen, Kirchengemeinden, Initiativen und Parteien, die ihre Sorgen gegenüber der Politik verdeutlicht hatten: dass Deutschland zu wenig gastfreundlich ist und das wir unseren Ansprüchen eines weltoffen und toleranten Landes gerecht werden müssen. Weihnachten erinnert daran, dass Gott als Mensch unter uns erschienen ist. Das mahnt uns, anderen nicht als Unmenschen zu erscheinen. Denn zum christlichen Abendland gehört die Nächstenliebe.