Herr Pfattner, was macht der Lutherische Weltbund (LWB) im jordanischen Flüchtlingscamp Zaatari?
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Josef Pfattner: Seit 2012 verteilen wir Güter wie Lebensmittelcoupons und Decken. Und wir bieten mit unserer "Peace Oasis" psychosoziale Hilfe an. Wir haben den Vorteil, dass wir weltweit der fünftgrößte Partner des UNHCR sind. Aber hier in Jordanien ist das Team klein, 16 Mitarbeiter. Deshalb haben wir einerseits das Know-How, professionelle Hilfe zu leisten, können aber gleichzeitig sehr flexibel sein.
Wie entstand die "Peace Oasis"?
Pfattner: Viele Flüchtlinge sind mit der Hoffnung gekommen, dass sie innerhalb von zwei, drei Wochen wieder zurückgehen können. Als sie gesehen haben, dass die Lage in Syrien schlimmer wurde, fiel der Traum der sofortigen Rückkehr flach. Das führte zu Frust. Hinzu kommt, dass es im Lager nur wenig Arbeit gibt, und außerhalb dürfen die Flüchtlinge nur mit einer Erlaubnis der jordanischen Regierung arbeiten. Außerdem sind die meisten traumarisiert und haben keinerlei sonstige Beschäftigung im Lager. Das Konfliktpotenzial ist deshalb vor etwa einem Jahr ziemlich gewachsen. Der Lutherische Weltbund hat dann ein psychosoziales Hilfsprojekt erarbeitet, die "Peace Oasis", vor allem für Jugendliche. Näh-, Schmink-, Sprach- und Computerkurse, aber auch Sport bieten wir dort an. Außerdem Mediationstrainings und Kurse zur Konfliktbewältigung.
Warum ist das psychosoziale Projekt so wichtig?
Pfattner: Mehr als die Hälfte der Menschen im Camp sind Kinder und Jugendliche. Das ist ein schwieriges Alter, da entscheidet sich, ob sie friedlich mit anderen Leuten zusammenleben möchten - oder von radikalen Gruppierungen aufgegriffen und beeinflusst werden. Das kann manchmal über Nacht passieren. Die Jugendlichen in eine friedliche Richtung zu bewegen und ihnen Beschäftigung geben - das versuchen wir mit unserer Arbeit in der "Peace Oasis".
"Was wollen sie, was sind ihre Träume, was haben sie erlebt?"
Wie werden Ihre Projekte aufgenommen, gibt es Rückmeldungen?
Pfattner: Psychosoziale Arbeit ist oft recht schwierig durchzuführen. Nicht nur in Zaatari. Man zielt dabei auf die Werte der Menschen ab - was wollen sie, was sind ihre Träume, und was haben sie erlebt? Meistens sind sie erstmal skeptisch - eine Hürde, die überwunden werden muss. In Zaatari leitet eine Jordanierin, Wejdan Jarrah, die psychosoziale Arbeit des LWB. Da kamen mehrere Punkte zusammen: Sie muss sich als Frau in einer Männerdomäne durchsetzen. Als Jordanierin muss sie die Bedürfnisse der Syrer erkennen. Und als Muslimin soll sie vor anderen Muslimen die Werte einer christlichen Organisation vertreten. Es war schwierig für sie, das Vertrauen der Flüchtlinge zu gewinnen.
###mehr-links###Und welche Erfahrungen haben Sie und Ihr Team gemacht - spielt die Religion in der humanitären Arbeit eine Rolle?
Pfattner: Die Arbeit des LWB baut auf den humanitären Prinzipien auf: Wir helfen den Menschen, die Hilfe am nötigsten haben, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, welche politische Einstellung sie haben, woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben. Dieses Prinzip wenden wir auch an, wenn wir neue Mitarbeiter einstellen. Für uns ist in erster Linie wichtig, dass sie professionelle Hilfe leisten können, dass sie nach ethischen Richtlinien arbeiten und die Grundwerte des LWB vertreten können. Und: Viele unserer Grundwerte vertreten die muslimischen Organisationen ebenso. Im letzten Jahr haben der LWB und Islamic Relief - das größte islamische Hilfswerk – ein interreligiöses Hilfsprojekt gestartet.
Viele Flüchtlinge sind bereits mehrere Monate, einige seit bis zu zwei Jahren in Zaatari. Entsteht hier, mitten in der Wüste, eine Kleinstadt?
Pfattner: Häufig ist das einzige, was die Menschen noch haben, wenn sie herkommen, die Hoffnung auf eine schnelle Lösung. Ich bin inzwischen realistisch - ich glaube, dass das Camp hier noch einige Jahre bestehen wird. Zum Beispiel arbeiten die UNO und andere humanitäre Organisationen gerade an einem großen Wasserprojekt - das würde das Hilfswerk nicht machen, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Flüchtlinge in sechs Monaten zurückgehen.
"Außerhalb der Lager ist die Dynamik größer"
Während in Zaatari etwa 80.000 Menschen leben, sind weitere Flüchtlinge über ganz Jordanien verteilt. Wie setzt sich der LWB außerhalb der Lager ein?
Pfattner: Innerhalb der Camps kennen wir den jeweiligen Bedarf viel besser, weil die Strukturen vorhanden sind, außerhalb ist das sehr schwierig: Wo leben die Flüchtlinge, welche Hilfe benötigen sie? Manche Flüchtlinge leben für ein paar Wochen in einer Wohnung, dann ziehen sie weiter, es kommt jemand anderes - da ist eine viel größere Dynamik als in den Camps. Es ist auch nicht einfach zu erfahren, ob die Flüchtlinge bereits eine Unterstützung bekommen haben. Manche haben eine Unterkunft, die in Ordnung ist, aber sie können die Miete nicht mehr zahlen. Andere leben in Behausungen, die nicht vertretbar sind, ohne Fenster oder Türen. Und die nächsten wissen gar nicht erst, dass sie humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen können. Deshalb arbeiten wir mit den lokalen NGOs und Gemeinden eng zusammen, bilden Helfer aus, um die Flüchtlinge zu erreichen und entsprechend darauf zu reagieren.
###mehr-info###Allmählich wird es kalt. Wie bereiten Sie sich im Camp auf den Winter vor, welche Erfahrungen haben Sie im letzten Jahr gemacht?
Pfattner: Im vergangenen Jahr war der Winter sehr harsch, es hat geschneit. Die Zustände im Camp waren anders, es lebten noch mehr Familien in Zelten. Jetzt besitzt ein Großteil einen Container. Die Menschen froren, hatten Hunger, wurden krank. Einige konnten im letzten Jahr versorgt werden, Decken, Öfen, Mützen, Schuhe, Matratzen wurden verteilt. Aber es sind immer noch viele Flüchtlinge, für die es nicht reicht. Deswegen wollen wir im Dezember noch mindestens 1.500 Familien mit Wintersachen versorgen. Aber dafür sind wir auf Spenden angewiesen.
In Jordanien leben etwa 6 Millionen Menschen, mehr als 620.000 Flüchtlinge aus Syrien hat das Land bereits aufgenommen. Für wie belastbar halten Sie Jordanien noch?
Pfattner: Das ist ein riesiges Problem, auch für den Libanon. In einem Land, in dem Wasser und andere Ressourcen so knapp sind wie hier, ist es natürlich eine enorme Belastung, so viele Menschen aufzunehmen. Hinzu kommt: Viele Flüchtlinge, die herkommen, sind sehr gut ausgebildet - eine mögliche Konkurrenz für die Jordanier. Außerdem steigen Lebensmittelpreise und Miete - und damit auch das Konfliktpotenzial.
###mehr-artikel###Wie schaffen Sie es persönlich, Abstand zu halten?
Pfattner: Als ich im Irak gearbeitet habe, 2003 in Basra, war die Sicherheitslage ganz dramatisch, jede Nacht wurde geschossen. Das war schon schwierig, aber ich glaube, man muss dafür gemacht sein. Während meiner Zeit in Genf habe ich gemerkt: Ich muss wieder raus, ich kann nicht nur am Schreibtisch arbeiten. Nicht alles hat ein gutes Ende, da muss man einen gewissen Abstand haben, um diese Arbeit länger professionell machen zu können. Aber natürlich gibt es immer wieder Situationen, die einem nahe gehen, wenn man Geschichten aus erster Hand erfährt. Vor allem, wenn es um Kinder geht.