Am 13. November 2014 hat der Bundestag erstmals über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe beraten. Am 6. November 2015 wird er über verschiedene, fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe zu entscheiden haben. Fünf interne Positionspapiere unterschiedlicher Parlamentariergruppen und zwei ausgearbeitete außerparlamentarische Vorschläge für Gesetzesentwürfe liegen bereits vor. Sie machen deutlich, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht und wie dieser ausgestaltet werden könnte.
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Sowohl indirekte als auch passive Sterbehilfe haben in Deutschland keine strafrechtlichen Konsequenzen. Ebenso ungeahndet bleiben Fälle, in denen sich ein Mensch selbst tötet und hierfür die Hilfe eines anderen Menschen in Anspruch nimmt. Grund dafür ist, dass der Suizid im Strafrecht nicht erfasst ist – was zur Folge hat, dass auch die Beihilfe dazu nicht sanktioniert ist. Denn nach dem System des Strafgesetzbuches setzt die Strafbarkeit einer Beihilfehandlung die Strafbarkeit der "Haupttat" voraus, zu deren Zweck die Hilfe erfolgt.
Möglich wäre nun, einen neuen Paragraphen zu schaffen, der die Beihilfe zur Selbsttötung als eigenen Straftatbestand erfasst. In zahlreichen Ländern ist die Beihilfe bereits strafbewährt, etwa in Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Irland, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal und Spanien. Der Bundestag hat nun darüber zu entscheiden, ob eine strafrechtliche Regelung auch in Deutschland notwendig ist.
Ein strafrechtlich kaum zu regelnder Graubereich
Schon im Jahr 2012 gab es den parlamentarischen Versuch, die "gewerbsmäßige" Förderung der Selbsttötung mit einer Strafbarkeit zu belegen. Der Entwurf zielte darauf, einer Kommerzialisierung der Selbsttötung entgegenzuwirken, um Menschen vor einer von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Beeinflussung der Bewertung ihres eigenen Lebens und eines daraus folgenden Sterbewunsches zu bewahren. Der Suizid als "normale Dienstleistung", so die Argumentation, könne Menschen zur Selbsttötung verleiten, "die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden".
Die Bundesärztekammer kritisierte den Gesetzesentwurf zu Recht als nicht weitgehend genug. Sie forderte die Ausweitung der Strafbarkeit auf jede organisierte Sterbehilfe, da eine Gewinnerzielungsabsicht schwer nachweisbar sei und darüber hinaus andernfalls die sonstige organisierte Sterbehilfe als erwünscht dastünde. Auch kritisierte die Bundesärztekammer, dass der Gesetzesentwurf von 2012 Angehörige oder nahe stehende Personen der sterbewilligen Person per se, das heißt ohne Betrachtung des Einzelfalls, von einer Strafbarkeit ausnimmt. Der Gesetzesentwurf scheiterte insbesondere am Widerstand der Christdemokraten.
Der erste von zwei außerparlamentarischen Gesetzentwürfen zu einer Neuregelung von Prof. Dr. Steffen Augsberg (Justus-Liebig- Universität Gießen) und Eugen Brysch (Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz) erweitert den Entwurf von 2012 darum um eine "geschäftsmäßige" Förderung der Selbsttötung. Zu Recht sieht dieser Vorschlag ein Problem der Beeinflussung durch die finanzielle Eigenmotivation von Sterbehilfe-Organisationen. Auch erkennt er, dass jedes Eigeninteresse von Suizidhelfern eine Gefahr für eine frei verantwortliche Entscheidung eines Leidenden ist.
Laut dem Entwurf würden Angehörige, die einen sterbewilligen Menschen zu einer gewerblichen oder geschäftsmäßig handelnden Organisation oder Person bringen, strafrechtlich nicht belangt. Diskussionswürdig ist, dass gerade Angehörige in der Entscheidung gegen das Leben eine bedeutende Rolle spielen können und dass die Entscheidung des "Lebensmüden" in der Regel unmittelbare Auswirkungen auf das Leben naher Angehöriger hat, die im Einzelfall in einen Interessenskonflikt geraten können. Dieser Konflikt wirft besondere Schwierigkeiten auf. Angehörige und Nahestehende unter einen Generalverdacht des Eigeninteresses zu stellen, wäre fatal; die pauschale Annahme, dass sie gänzlich nur aus altruistischen Motiven handeln, zumindest nicht selbstverständlich. Hier eröffnet sich ein strafrechtlich kaum zu regelnder Graubereich, denn schon der besondere Einfluss nahestehender Personen auf den Lebenswillen des Kranken ist rechtlich nicht zu erfassen.
Die Alternative: Ganz enge Grenzen setzen
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Der zweite Gesetzentwurf stammt vom August 2014 aus der Feder von vier Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Er zielt darauf ab, die Beihilfe zum Suizid für Angehörige und nahe stehende Personen sowie Ärzte ausdrücklich zu legalisieren sowie Missbrauch vorzubeugen. Im Kern geht es gerade in Bezug auf Ärzte darum, strafrechtlich klarzustellen, unter welchen Umständen sie sich nicht strafbar machen. So formulierte Prof. Dr. Jochen Taupitz: "Man kann im Strafrecht nicht die Erlaubnis einer bestimmten Handlung regeln, wenn man nicht zuvor – gewissermaßen grundsätzlich – ein Verbot formuliert."
Die Autoren hoffen, dass im Falle einer parlamentarischen Akzeptanz dieser Neuregelung auch die Bundesärztekammer ihre bisherige Empfehlung ändern und die ärztliche Beihilfe zum Suizid damit berufsrechtlich akzeptieren würde. Allerdings erkennt auch dieser Entwurf, dass das Verlangen nach einem Suizid vielfach gerade nicht dem autonomen Wunsch des Patienten entspringt. Daher werden gesteigerte Anforderungen an den ärztlich assistierten Suizid gestellt, so unter anderem, dass der "Patient an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidet", eine umfassende und lebensorientierte Aufklärung stattfindet, ein weiterer unabhängiger Arzt hinzugezogen wird sowie eine Bedenkfrist von zehn Tagen eingehalten wird. Auch stellt der Gesetzesentwurf Werbung für die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe.
Während die beiden außerparlamentarischen Gesetzesentwürfe für eine Änderung des Strafrechts plädieren, gibt es von einzelnen Abgeordneten im Bundestag das Bestreben, die Zulässigkeit des ärztlichen Suizids (unter bestimmten Auflagen) im Zivilrecht zu verankern, um das entgegenstehende Standesrecht zu kippen und gleichzeitig keinerlei neue Strafbarkeit zu begründen. Es wird im Bundestag also im Kern darum gehen, ob organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen ist oder nicht; es wird um die Stellung des Arztes gehen und um die Diskussion eines Verbotes organisierter Sterbehilfe.
Streitpunkt Menschenwürde: Autonomie vs. Gemeinwohl
Dabei ist die Debatte keine primär juristische. Vielmehr geht es um elementare Grundfragen einer gesellschaftlichen Einstellung zu Leben, Tod, Menschenwürde, Selbstbestimmung und ärztlichem Auftrag. Alle Seiten nehmen für sich in Anspruch, der Menschenwürde und damit dem Menschen besonders zu dienen. Allerdings wird Menschenwürde dabei sehr unterschiedlich verstanden.
Auch im Verfassungsrecht herrschen unterschiedliche Ansichten zur Interpretation von Artikel 1 Grundgesetz (GG). Immer lauter werden hier Stimmen, die die Menschenwürde auf das Autonomieprinzip reduzieren. Diese Überhöhung der menschlichen Autonomie verkennt, dass wir Menschen immer in Beziehungen leben und dass die Würde des Menschen weit mehr ist als der Schutz seiner Autonomie. Es geht nämlich bei Art. 1 GG nicht nur um die Anerkennung eines Menschen als willensgesteuertes und autonom agierendes Wesen, sondern um die Anerkennung eines Menschen als Menschen, unabhängig von seinem geistig-physischen Zustand und seines Wertes für die Gesellschaft.
So hatte in der Verfassungsauslegung auch die sogenannte "Mitgifttheorie" weiten Einfluss, nach der dem Menschen seine Würde kraft seines Menschseins "mitgegeben" wird – er sich seine Würde also weder verdienen muss, noch seine Würde von der Anerkennung durch Andere abhängt. Eine Ausprägung hiervon ist die bekannte "imago-dei-Lehre", nach der sich die Würde von Gott ableitet und daher für Mensch und Staat unantastbar wird.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde die Menschenwürde als "sozialer Wert- und Achtungsanspruch des Menschen" formuliert, der dem Menschen aufgrund seines Menschseins (also als Gattungswesen) zukomme. Das Spannungsverhältnis von Individuum und Gemeinschaft hat es dabei schon 1954 benannt:
"Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. […] Dies heißt aber: der Einzelne muss sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt."
Wie weit reicht die Schutzpflicht des Staates?
Der menschlichen Autonomie wird dadurch Rechnung getragen, dass es jedem Menschen unbenommen bleibt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sobald es aber um Suizidhilfe geht, müssen auch die weiteren Implikationen für die Gesellschaft betrachtet werden. Gerade wenn der Berufsstand der Ärzte durch die explizite Herausnahme aus der Strafbarkeit gewissermaßen den "Auftrag" erhält, Leben nicht nur zu heilen und Leid zu lindern, sondern auch zu beenden, dann hat dies weitreichende Folgen für das gesamte Gesundheitssystem, das bislang die medizinische Versorgung gerade nicht von Lebensqualität und Lebenserwartung abhängig macht.
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Auch werden Ärzte in Gewissenskonflikte gebracht, denn selbst wenn sie die Beihilfe zum Suizid verweigern dürfen, müssen sie sich mit ihr in ganz anderer Weise auseinandersetzen. Sie müssen sich dann, mindestens vor sich selbst, rechtfertigen, es nicht zu tun und geraten damit in eine umgekehrte Beweislast. Ebenso muss überprüft werden, inwieweit der Sterbewille wirklich dem "authentischen" Willen des Menschen entspringt oder ob der Mensch vor einem Handeln im Affekt oder in einem vorübergehenden Tal der Depression zu schützen ist.
Es stellt sich hier also die Frage nach der Schutzpflicht des Staates für das Leben und letztlich auch die Autonomie der Menschen. Werbemaßnahmen für "Sterbehilfe" und jegliches interessengeleitetes Angebot von Suizidbeistand kann Menschen auf einen Weg bringen, den sie eigentlich gar nicht gehen wollen. Schließlich gilt es auch zu bedenken: Wird der Tod zum abrechenbaren Behandlungsziel und erfährt die Sterbehilfe insgesamt eine gesellschaftliche Normalität, so wird dies Implikationen für alle Menschen haben und reicht damit weit über eine autonome Einzelfallentscheidung hinaus.
Unser Handeln hat immer Auswirkungen auf Andere, auf die Gesellschaft. Insoweit übergeht ein Autonomieschutz, der die Menschen lediglich als "isolierte souveräne Individuen" vor Augen hat, die Bedeutung des zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Bezugs in unverantwortlicher Weise.