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TV-Tipp des Tages: "Das Zeugenhaus" (ZDF)
TV-Tipp des Tages: "Das Zeugenhaus", 24. November, 20.15 Uhr im Zweiten
Die Amerikaner quartieren Zeugen für den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess 1948 in einer beschlagnahmten Villa ein. Die Konfrontation von Tätern und Opfern im „Zeugenhaus“ wird zu einem dichten, spannenden Ensemble-Kammerspiel mit geschliffenen Dialogen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zum ersten Mal überhaupt Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Wie die gesamte unmittelbare Nachkriegszeit, so sind auch die Nürnberger Prozesse ein fernsehfilmisch noch relativ unbeleuchtetes Kapitel der deutschen Historie. Matti Geschonneck (Regie) und Magnus Vattrodt (Buch), gemeinsam mit Grimme-Preisen für "Liebesjahre" und "Das Ende einer Nacht" ausgezeichnet, erzählen mit dem von Produzent Oliver Berben initiierten Drama "Das Zeugenhaus" (nach Motiven des gleichnamigen Buches von Christiane Kohl) eine Geschichte, die mitunter derart kafkaesk ist, dass sie fast unglaubwürdig wirkt. Abgesehen von einigen künstlerischen Freiheiten aber haben sich die Ereignisse genau so zugetragen: Während der Nürnberger Prozesse sind Täter und Opfer unter einem Dach untergebracht worden.

Allgemeine Zurückhaltung aller Anwesenden

Was aus heutiger Sicht wie eine Zumutung anmutet, ist die Basis eines vorzüglich besetzten und gespielten Films, denn selbstredend lebt die Handlung vom Bemühen der Beteiligten, miteinander auszukommen. Die Spannung entsteht aus dem gegenseitigen Belauern, weil die von Gräfin Belavar (Iris Berben) betreuten Gäste zunächst nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die allgemeine Zurückhaltung aller Anwesender, was die unmittelbare Vergangenheit angeht, kommt selbstredend jenen entgegen, die sich von ihrer schmutzigen Vergangenheit reinwaschen wollen, weshalb sich beispielsweise der Gründer der Gestapo frech als Mitglied des Widerstands ausgeben kann. Das Schweigen führt aber auch zu dem absurden Missverständnis, dass ein KZ-Häftling für einen Lagerkommandanten gehalten wird.

Die Handlung, deren Mitwirkende ausnahmslos authentisch sind, spielt sich weitgehend in dem Domizil ab, in dem die Amerikaner diesen Mikrokosmos des Nachkriegsdeutschlands aus Tätern, Opfern und Mitläufern untergebracht haben. "Das Zeugenhaus" ist über weite Strecken ein klassischer Ensemblefilm; die Nähe zum Theater wird noch durch Vattrodts sorgsam formulierte Dialoge verstärkt. Gerade in dieser Kammerspielhaftigkeit liegt jedoch die große Stärke des Werks; nicht umsonst gilt Geschonneck als Regisseur, dem seine Darsteller ihre besten Arbeiten zu verdanken haben. Die Zusammenstellung ist allerdings auch herausragend. Trotzdem ist der Star gewissermaßen die Mannschaft: Selbst, wenn man wollte oder sollte, es wäre kaum möglich, eine der Leistungen herauszuheben. Matthias Brandt, Edgar Selge, Udo Samel, Tobias Moretti, Matthias Matschke: alle preiswürdig.

Am ehesten entsprechen noch die weiblichen Mitbewohner (unter anderem Gisela Schneeberger und Rosalie Thomass) den Erwartungen, weil ihre Rollen weniger undurchschaubar sind. Den männlichen Figuren ist dagegen eine gewisse Abgründigkeit gemeinsam, denn alle hüten ein Geheimnis; die einen als Täter, die anderen als Opfer. Dass man lange nicht weiß, wer zu welcher Gruppe gehört, macht einen großen Reiz des Films aus, der sich den Luxus leisten kann, viele große Geschichten (etwa über die Scham der Überlebenden) bloß anzureißen.

Geschickt rückt das Drehbuch erst nach und nach mit der Wahrheit raus, weil sich die "Gäste" (nicht alle sind freiwillig da) belauschen, weil sie Allianzen schmieden; und weil ihre Auftritte beim Prozess im Radio übertragen werden. Dass nicht alle Identitäten aufgedeckt werden, gehört zum grimmigen subtilen Humor dieses an Überraschungen wahrlich nicht armen Werks, das einen weiteren Höhepunkt in der langen Zusammenarbeit zwischen dem ZDF und Oliver Berben darstellt.  Um 22.00 Uhr zeigt das "Zweite" eine ergänzende Dokumentation.