"Bei 85 Prozent meiner Beerdigungen besteht die Trauergemeinde hauptsächlich aus Katholiken", sagt der evangelische Pfarrer Armin Drack aus Aachen. Und auch bei seinem katholischen Amtsbruder Franz Kurth im südniedersächsischen Northeim sind Beerdigungen, bei denen der Verstorbene katholisch und die Angehörigen evangelisch sind, keine Ausnahme. Das ist typisch für die Diaspora. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gemeinden der Minderheitskonfession stärker. Vertriebene aus dem Osten kamen nach Westdeutschland, und die Alliierten achteten darauf, dass möglichst Andersgläubige angesiedelt wurden, da man im Konfessionalismus eine der Wurzeln des Nationalsozialismus sah.
So besteht die protestantische Minderheit im überwiegend katholischen Aachen hauptsächlich aus evangelischen Ostpreußen und Schlesiern – neben den Nachfahren der wenigen seit der Reformation geduldeten evangelischen Familien. Die katholische Gemeinde in lutherischen Northeim setzt sich im Wesentlichen aus im 19. Jahrhundert zugezogenen westfälischen und Eichsfelder Eisenbahnarbeitern und Flüchtlingen aus Oberschlesien zusammen. Und wie es so ist: Man trifft sich bei der Arbeit und beim Karneval, und die evangelische Ostpreußin lernt einen katholischen Aachener kennen und lieben.
Dieses evangelische "Mädchen" ist jetzt über 90 und stirbt. Der evangelische Pfarrer sieht sich einer fast rein katholischen Trauergemeinde gegenüber. Und dazu kommt noch eine Aachener Sondersituation: Da evangelische Religionsausübung bis 1802 verboten und Protestanten in der Kaiserstadt nur geduldet waren, hat sich in der evangelischen Gemeinde eine schlichte Bestattungsfeier entwickelt, die auf Katholiken tatsächlich sehr karg wirken kann. In traditionell evangelischen – besonders lutherischen – Gegenden etwa in Norddeutschland gibt es auch aufwendigere Formen wie einen vollwertigen Gottesdienst in der Kirche vor der Grablegung, natürlich ohne Abendmahlsfeier.
Unterschiedliche theologische Sicht auf den Tod
Es gibt theologisch unterschiedliche Sichtweisen auf Tod und Sterben, die sich in der Form der Beerdigungsfeier niederschlagen. Grob gesagt: Katholische Christen blicken bei der Beerdigung nach vorne und evangelische eher zurück. "Meine Botschaft, die ich verkündige, ist die Österliche", betont der katholische Pfarrer Franz Kurth. Hier hilft besonders das Gebet für den Verstorbenen, der in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen ist. Auch gibt es die Möglichkeit, für den Verstorbenen einen Ablass zu erwerben, mit dem Pfarrer Kurth allerdings seine Schwierigkeiten hat.
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Traditionell besteht die katholische Begräbnisfeier aus drei Teilen: Dem Heimholen des Verstorbenen aus dem Haus, der Totenmesse (Requiem) in der Kirche und der Grablegung. Dabei ist das Ritual sehr wichtig – auch für den Priester, besonders, wenn ein engagiertes Gemeindemitglied verstorben ist. Weihwasser, Verneigungen und Gebetsformeln gehören dazu. Der Tote soll gut in Gottes Ewigkeit ankommen.
Auch wenn das Ritual bei den evangelischen Christen durchaus wichtig ist – einiges hat man sich bei den katholischen Geschwistern abgeschaut – ist doch theologisch manches anders. Nach reformatorischer Auffassung ist der Mensch durch die Taufgnade sowieso bei Gott, und es ist daher nicht notwendig für den Toten zu beten. Evangelisches Trauern ist stärker eine Rückschau auf das Leben des Verstorbenen und das Zusprechen des Trostes des Evangeliums für die Angehörigen. "Jede gute evangelische Predigt verkündet das Evangelium und versucht es mit dem Leben des Verstorbenen zu verweben", sagt Pfarrer Drack.
Das Gesagte bedeutet aber nicht, dass bei evangelischen Beerdigungen nicht auf Ostern geschaut wird und bei katholischen das Leben des Verstorbenen außer Acht bleibt. Auch Protestanten singen am Grab "Christ ist erstanden", und in der katholischen Trauerpredigt wird die Vergangenheit des Verstorbenen ebenfalls erwähnt. Doch die Akzentsetzung ist anders. Die katholische Predigt ist kürzer und weniger biographisch, bei Protestanten fehlen viele Symbole, die für Katholiken bedeutsam sind.
Keine Konfessions-Konflikte in der Praxis
Dennoch, in der seelsorglichen Praxis gibt es kaum Probleme, im Gegenteil. Die Konfession spielt in der Trauer praktisch keine Rolle mehr. Lediglich bei der Liedauswahl muss Pfarrer Drack darauf achten, dass die Lieder auch Katholiken bekannt sind.
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So kommen zum evangelischen Pfarrer Drack auch katholische Angehörige, die ihn bitten, nach dem evangelischen Großvater auch die katholische Großmutter zu bestatten. Und der katholische Pfarrer Kurth berichtet, dass er in einer Familie gemeinsam mit einer evangelischen Pastorin die Trauerfeier für den verstorbenen katholischen Vater vorbereitet hat und nun auch die evangelische Mutter beerdigen durfte, obwohl die Familie komplett evangelisch ist.
Das Problem – und das gilt für beide Konfessionen – liegt vielmehr in der Säkularisierung der Gesellschaft und deren Entsorgungsmentatlität. Oft sind die Angehörigen kirchenfern und verlangen lediglich eine kirchliche Begleitung auf dem letzten Gang. "Heute halte ich gerade einmal bei zehn Prozent der Verstorbenen ein Requiem", beklagt sich Pfarrer Kurth.
Oft seien die Trauernden nicht mehr kirchlich geprägt, sagt Pfarrer Drack. So seien die Auferstehungshoffnung und der Gedanke an ein letztes Gericht vielen fremd geworden. Achtzig Prozent seiner Beerdigungen seien mittlerweile Urnenbestattungen. Die nehmen auch im katholischen Bereich immer mehr zu, obwohl Rom das zwar gestattet hat, aber ungern sieht. Schließlich werde durch die Kremierung der Gedanke an die Auferstehung des Leibes verdüstert.
Totenbräuche wie der Leichenschmaus verschwinden
Dankbar ist der evangelische Pfarrer Drack der Stadt Aachen dafür, dass Ordnungsamtsbestattungen hier immer Erdbestattungen sind. Das sind Beerdigungen, für die kein Angehöriger zu finden ist und das Ordnungsamt – oder in anderen Bundesländern die entsprechende Behörde – die Kosten übernimmt. An anderen Orten wird kremiert, da das billiger ist. Doch niemand weiß, ob der Tote ohne Angehörige mit einer Urnenbeisetzung einverstanden gewesen wäre. Pfarrer Drack beerdigt dann gegebenenfalls allein den Toten – mit den üblichen Gebeten, schon um ein Zeichen zu setzen, dass die Würde des Menschen auch nach dem Tod bestehen bleibt.
Kritisch sehen beide Geistlichen, dass vielerorts die Asche des Toten verstreut oder gar ein Diamant daraus gepresst wird. Außerdem verschwinden viele Totenbräuche, die unmittelbar nichts mit dem kirchlichen Ritual zu tun haben, wie etwa der Leichenschmaus. Und gerade dabei – da sind sich beide Pfarrer einig – finden die Angehörigen einen guten Abschluss der Trauerfeier und einen Weg zurück ins Leben, wenn die Kinder wieder anfangen zu spielen und die Anekdoten über den Verstorbenen die Runde machen.