In der Presse lässt sich nach Aussage des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma seit einigen Jahren beobachten, dass über Zuwanderer häufig diskriminierend berichtet wird. Über bestimmte Minderheiten wie Migranten aus Südosteuropa oder Sinti und Roma würden negative Stereotype verbreitet und belastende Vorurteile verstärkt. Ist diese generelle Kritik Romani Roses begründet?
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Lutz Tillmanns: Den pauschalen Vorwurf teile ich so nicht. Ich habe Rose so verstanden, dass nach seiner Einschätzung die vorurteilsbelastete Berichterstattung vor 20 oder zehn Jahren deutlich höher war als jetzt. Dabei könnte auch ein Generationenwechsel bei den Journalistinnen und Journalisten eine Rolle spielen, eine andere Art, über Deutschland als Zuwanderungsland zu denken.
Der Politologe Markus End hat in einer Studie im Auftrag des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma Muster der Berichterstattung in der Presse vorgestellt, die den Vorwurf Roses zu erhärten scheinen. Einzelfälle werden danach auf eine ganze Ethnie übertragen und negative soziale Merkmale Minderheiten pauschal zugeschrieben. Das sind gravierende Vorwürfe…
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Tillmanns: … die ich in dieser Grundsätzlichkeit so nicht bestätigen kann. Es gibt aus meiner Sicht keine strukturellen breitflächigen Diskriminierungen und Vorurteile in der Presse. Es gibt Einzelfälle, die den Vorwurf Antiziganismus betreffen, mit denen wir uns im Rahmen der Spruchpraxis auf Grund von Beschwerden aus der Öffentlichkeit befassen. Wir registrieren aber auch Einzelfälle anderer Negativzuschreibungen von Minderheiten. Was ich an der End-Studie sehr wichtig finde ist seine Schlussfolgerung. Die geht dahin, Antiziganismen in Zukunft in der Berichterstattung zu vermeiden.
Das heißt, Sie kritisieren nicht pauschal die Einstellungen von Redakteurinnen und Redakteuren, sondern heben stärker auf die redaktionelle Praxis ab?
Tillmanns: Ja. Die Presse in Deutschland ist nicht per se von Vorurteilen bestimmt. Und das vorsätzliche Diskriminieren und Verbreiten von Stereotypen ist in Redaktionen eher die Ausnahme. Doch die Beurteilung der Einstellung des Redakteurs bis hin zur Gesinnungsüberprüfung ist gar nicht unsere Sache. Uns beschäftigen nur die publizistischen Produkte, also die Veröffentlichung mit ihren konkreten Text- und Bildkompositionen sowie die Wirkung der Veröffentlichungen auf die Leser oder Nutzer.
Welche Formen von Diskriminierung fallen dabei auf? Bei der Berliner Tagung wurde ja ein Foto sehr kritisch angesprochen.
Tillmanns: In der Tat beobachten wir häufiger bestimmte Kombinationen zwischen Text und Bild. Dabei leistet das Foto – mitunter losgelöst vom Text – ethnisch-soziale Zuschreibungen, die in der Wirkung Vorurteile bestätigen, die in einer Gesellschaft existieren. Und die werden dann von den Medien mehr oder weniger unbewusst, aber letztlich unterstützt. Eine andere Form ist die Nutzung von Pauschalismen in Bezug auf einzelne Personen in der Berichterstattung über Kriminal- und Gerichtsfälle. In den Text werden mehr oder weniger unbewusst Pauschalbewertungen mit eingestreut. In der Art, dies oder jenes sei eben typisch für Sinti oder Roma, typisch für Türken oder Albaner.
Im Grunde schließt doch bereits die Richtlinie 12.1 aus dem Pressekodex eine solche redaktionelle Praxis aus. Danach ist die Benennung der Zugehörigkeit von Verdächtigen oder Tätern zu einer ethnischen oder anderen Minderheit nur dann zulässig, wenn sie für das Verständnis des Sachverhalts erforderlich ist.
Tillmanns: Exakt, wenn diese Information relevant ist für das Verständnis. Relevant heißt aber, sie muss entscheidend sein. Nicht damit abgesegnet ist hingegen, dass man eine Rundumcharakteristik eines einzelnen Vorgangs mit Blick auf eine gesamte Minderheit betreibt.
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Nennen Sie einmal Beispiele aus der Praxis des Presserats. Wann stufte er die Nennung der Ethnie als falsch, wann als richtig ein?
Tillmanns: Der klassische Fall ist der Bericht über einen Totschlag oder einen Mord, bei dem das Milieu der Roma zur Charakterisierung herangezogen wird. Das spielt für die einzelne Kriminalberichterstattung keine Rolle. Anders war es bei zwei, drei Fällen aus dem vorigen Jahr, die uns vorgelegt wurden. Dabei ging es um Auseinandersetzungen zwischen der russischen und der albanischen oder rumänischen Minderheit, was eben das Motiv für die Auseinandersetzung war. Hier war die Erwähnung des ethnischen Hintergrunds ein essentielles Element, weil eben relevant für das Verständnis.
Die Verantwortung für Text und Foto in den Redaktionen liegt häufig bei unterschiedlichen Personen. Oft kommt die Sorgfalt zu kurz, weil die Presse in der digitalen Medienwelt möglichst schnell Aufmerksamkeit und Reichweite generieren muss. Verlangt der Presserat hier nicht ein redaktionelles Handeln, das mit dem Alltag gar nicht kompatibel ist?
Tillmanns: Zunächst: Wir sind weit weg vom Gutmenschentum. Und es geht auch nicht um "wohlmeinenden Journalismus", sondern um professionelles Handeln, guten Journalismus, also eine Berichterstattung, die nicht fahrlässig Vorurteile schürt. Nun gibt es einzelne Fälle, bei denen der Bezug zu der Ethnie einer Person hergestellt werden muss. Diese Abwägung muss jeder Journalist bei seiner alltäglichen praktischen Arbeit leisten. Der Presserat hat dies dann nachher zu prüfen, wenn ihm dazu eine entsprechende Beschwerde vorliegt.
Wenn jetzt von Seiten der Minderheiten verlangt würde, dass die Presse auch in solchen Fällen auf die Benennung der ethnischen Zugehörigkeit verzichtet, wäre das die Überschreitung einer Grenze?
Tillmanns: Das wäre in der Tat so. Dann würde die Presse essentielle Informationen vorenthalten. Das wäre auch niemals mit unserem Verständnis von Pressefreiheit zu vereinbaren. Unser Engagement gilt der Freiheit der Berichterstattung. Dies schließt aber gleichzeitig die Verantwortung der Redaktion ein, mit zu berücksichtigen, dass die Kennzeichnung von Minderheiten in einem sehr pauschalen Umfeld zu Diskriminierung führt und deshalb aus unseren Berufsgrundsätzen heraus unzulässig ist.
Muss sich der Presserat weiter entwickeln? So hat der Medienanwalt Christian Schertz zu bedenken gegeben, der Presserat schaue zu sehr auf den Text und zu wenig auf die Illustration einer Presseveröffentlichung.
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Tillmanns: Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Presserat entstammt dem Bereich der Presse und war eben früher doch stärker schrift- als bildbezogen. Insbesondere seit Übernahme der Selbstregulierung im Bereich der Onlinemedien haben wir es inzwischen viel mehr mit Bildern zu tun, mit bewegten Bildern bis hin zu Videos. Der Kodex ist meines Erachtens stark print-orientiert, Fotos und Bewegtbilder spielen darin – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Für die Bewertung etwa von Videosequenzen auf Mediennutzer benötigen wir neue ethische Kriterien. Diese in Zukunft zu formulieren, wird deshalb eine wichtige Aufgabe sein.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Berliner Veranstaltung für die Arbeit des Presserates mit? Ein vielfach geäußerter Wunsch ist ja der nach verstärkter Sensibilisierung von Redaktionen.
Tillmanns: Für den Presserat ist es wichtig, den Blick zu erweitern, also sich nicht auf mögliche antizigane Berichterstattung allein zu konzentrieren, sondern auf Zuwanderung und die Berichterstattung über Themen mit Migrationsbezug insgesamt zu richten. Unser Leitziel ist es nun, Empfehlungen für die Berichterstattung zu geben. Was wir im Auge haben sind Handreichungen unterhalb des Pressekodexes für die Fortbildung von Journalistinnen und Journalisten, Beispiele zu benennen, wie man's gut, wie man's schlecht macht.