Judith Rakers, 3nach9-Moderatorin
Foto: Radio Bremen/Thorsten Jander
„Wenn ich keine Bratwurst esse, geht was schief“
Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers moderiert zusammen mit "Zeit"-Chef Giovanni di Lorenzo die Talkshow „3 nach 9“, die dieser Tage 40 wird. Im Interview erzählt sie, warum sie vor jeder Sendung eine Wurst isst, wieso es keine richtigen Skandale mehr gibt - und warum die Sendung eigentlich
12.11.2014
evangelisch.de
Cornelia Wystrichowski

Sie ist die beliebteste Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen: Bei einer Umfrage landete Judith Rakers kürzlich auf Platz eins. Doch die 38-Jährige präsentiert nicht nur die „Tagesschau“ im Ersten, sondern moderiert gemeinsam mit Giovanni di Lorenzo auch Deutschlands älteste Talkshow, die Sendung „3nach9“. Nun wird der legendäre TV-Klassiker von Radio Bremen, der auch von NDR, HR und RBB gezeigt wird, 40 Jahre alt: Am 14.11. läuft die Jubiläumsausgabe der Show, die am 19. November 1974 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. In der 150 Minuten langen Spezialausgabe werden Rakers und di Lorenzo von der Schauspielerin Maria Furtwängler als Gastmoderatorin unterstützt, außerdem haben sich zum Geburtstag viele namhafte Talkgäste angesagt.

Frau Rakers, die Talkshow „3 nach 9“ feiert 40. Geburtstag. Was ist das Erfolgsrezept der Sendung?

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Judith Rakers: „3 nach 9“ hat eine lange Tradition, es ist die älteste Talkshow im deutschen Fernsehen. Unser Motto lautet damals wie heute: „Unterhaltung zum Mitdenken“. Es geht bei uns nicht nur um den schnellen Lacher. Die Stimmung soll auch heiter sein, klar – aber es geht auch um nachdenkliche Gespräche und tiefe Momente. 

Der moderne Talkshowgast ist in der Regel recht erfahren im Umgang mit den Medien. Haben Sie es dadurch leichter als die früheren Moderatoren der Sendung?

Rakers: Nein, ich glaube, wir haben es deutlich schwerer als unsere Vorgänger. Unsere Gäste, vor allem wenn sie prominent sind, achten sehr darauf, was sie sagen. Richtige Ausraster oder Aussagen, die ein Gast später bitterlich bereuen könnte, kommen heute nicht mehr vor. Jeder ist geschult, jeder achtet auf seine Wirkung, nur die wenigsten gehen das Risiko ein, hinterher einen Shitstorm im Netz oder in der Presse auszulösen.

Finden Sie es schade, dass heute keine Wasserpistolen mehr gezückt werden wie 1982, als Fritz Teufel den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer mit Zaubertinte nassspritzte?

Rakers: Vor dem Hintergrund, dass es für den Zuschauer immer spannend ist, wenn es knallt, finde ich das sehr schade. Früher reichte es schon, dass man zwei Gäste aus unterschiedlichen politischen Lagern einlädt, und schon war was los. Heute muss man schauen, wie man trotzdem ein spannendes Programm hinkriegt.

Gesellschaftlich relevante Themen werden heute eher in den Talks von Günther Jauch oder Maybrit Illner verhandelt…

Rakers: Das war nicht immer so. Wer früher ein gesellschaftspolitisches Anliegen hatte, ist zu „3 nach 9“ gegangen. Heute haben wir nicht nur viele Talkshows, sondern sie decken auch bestimmte Bereiche ab – es gibt die Polittalks, die Sendungen mit den gesellschaftlich relevanten Themen, und die eher unterhaltenden, zu denen auch „3 nach 9“ gehört. Aber im Gegensatz zu anderen Unterhaltungstalks leisten wir es uns, auch mal Politiker einzuladen. Das sind dann zwar keine Talks zur Sache, wir laden niemanden ein, um mit ihm über die neue EU-Politik zu sprechen. Aber wir können Politiker abseits des Tagesaktuellen interviewen, in einer gelösten Atmosphäre.

Sie sind seit 2010 dabei. Was war für Sie persönlich Ihr größter Moment in „3 nach 9“?

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Rakers: Einer der größten war sicherlich die Sendung, in der der sehr extravagante Malerfürst Markus Lüpertz in einem Gespräch über Stilbewusstsein plötzlich Angela Merkel wegen ihrer angeblichen Hochwasserhosen kritisierte, das hätte ja fürchterlich ausgesehen. Der Designer Michael Michalsky mischte sich ein und nahm Merkel in Schutz, dann ergriff Hans-Dietrich Genscher das Wort und vertrat die These, eine Bundeskanzlerin müsse ja kein Modevorbild sein. Eine These, die Markus Lüpertz quasi zur Implosion trieb. (lacht) Es ging laut und heftig hin und her, und Carla Bruni, die auch zu Gast war, saß daneben und guckte erstaunt. Diese Szenerie werde ich nie vergessen.

Ist die Moderation von „3 nach 9“ eigentlich schwierig? Immerhin müssen Sie auf einzelne Gäste eingehen und vorbereitete Fragen haben, andererseits aber auch solche spontanen Situationen zulassen.

Rakers: Das stimmt. Ich musste als Moderatorin am Anfang erst lernen, die Dinge geschehen zu lassen. Ich kam aus der Magazin-Moderation, in der man den Interviewgast sehr eng führt, meistens einen oder maximal zwei bis drei Gesprächspartner hat und zur Sache befragt, nicht zu persönlichen Themen. Da musste ich mich total umstellen.

Konnten Sie etwas von Ihrem Kollegen Giovanni di Lorenzo lernen, der die Sendung seit 25 Jahren moderiert?        

Rakers: Aber sicher! Ich habe mit ihm ja ein Talkshow-Urgestein als Gegenüber. Und er hat mir schon viele wertvolle Tipps gegeben. Aber natürlich muss jeder auch seinen eigenen Stil finden, und meine Gesprächsführung ist ganz anders. Meine Fragen sind zum Beispiel in der Regel kürzer.

Stimmt es, dass er Ihnen vor jeder Sendung an einem Stand im Bremer Hauptbahnhof eine Bratwurst spendiert?

Rakers: Ja, das ist in der Tat so. Ganz am Anfang wollte ich mir selber eine Wurst kaufen – bei dem Duft konnte ich einfach nicht widerstehen. Dann hat er gesagt: „Komm, lass mich mal, ich lad’ Dich ein.“ Der Mann ist schließlich Italiener (lacht). Da gab es ein kleines Hin und Her, weil ich dachte, ich kann doch auch selber zahlen. Aber mittlerweile ist das ein kleines Ritual geworden. Giovanni und ich haben das Gefühl, wenn ich vor der Sendung keine Bratwurst esse, geht was schief, also lasse ich mich lieber jedes Mal einladen.

Was ist denn beispielsweise schon schiefgegangen?

Rakers: In fast allen Sendungen läuft irgendetwas anders als geplant. Aber ich habe gelernt, dass anders nicht unbedingt schlechter sein muss. Nur einmal stockte mir wirklich kurz der Atem: Wir hatten damals einen Gast, mit dem  ich über seine Vergangenheit sprechen wollte, die von Drogenabstürzen geprägt war. Darüber hatte er im Vorgespräch sehr lange und locker erzählt. In der Sendung guckte er mich dann aber an und sagte, darüber spreche er nicht in der Öffentlichkeit. Da dachte ich: oje. Ich habe dann erstmal innerlich bis drei gezählt – manchmal muss man auch einfach Pausen aushalten können – und dann erzählte er zum Glück doch noch ein wenig.

Und was passiert in der Jubiläumssendung?           

Rakers: In der Jubiläumssendung unterstützt die Schauspielerin Maria Furtwängler Giovanni und mich. Das ist eine Hommage an die Anfänge der Show – damals waren es ja drei Moderatoren nach 21 Uhr, deshalb der Titel „3 nach 9“. Jetzt müsste die Sendung ja eigentlich „2 nach 10“ heißen. Wir werden außerdem wie in den Anfängen verschiedene Spielorte im Studio haben statt nur einer großen Talkrunde: Kleine Tische und eine Theke für intensive Gespräche. Wenn uns das gut gefällt, könnte ich mir vorstellen, dass wir das beibehalten. Wir sind da ganz offen.