So wie diese Lenin-Statue am 30. Mai 1992 gegenüber dem Palast der Republik wurden die meisten sozialistischen Denkmäler nach der Wende abgebaut.
Foto: Vera Rüttimann
So wie diese Lenin-Statue am 30. Mai 1992 gegenüber dem Palast der Republik wurden die meisten sozialistischen Denkmäler nach der Wende abgebaut.
Lenins Kopf: Ein Stolperstein der Geschichte
Seit 1991 liegt in der Seddiner Heide nahe Berlin unter Schutt ein großes Lenin-Denkmal begraben. Verewigt im Kinofilm "Good bye, Lenin", wurde es zur Ikone. Für eine Ausstellung soll nun der Kopf wieder ausgegraben werden. Ein amerikanischer Filmemacher weiß, wo es sich befindet. Eine Spurensuche auf ideologisch verminten Gelände.

Von Bäumen überwuchert und übersprayt: So steht das Denkmal von Ernst Thälmann in Berlin, halb vergessen. Sozialistische Denkmäler fristen in der Hauptstadt ein tristes Dasein. Aber einem ging es richtig an den Kragen: dem Lenin–Denkmal, das bis 1991 auf dem Leninplatz stand. 21 Jahre lang stand es dort in Ost-Berlin, ein neunzehn Meter hoher Koloss aus rotem Porphyr, eingeschreint in eine Fahne aus Granit. Das Werk des russischen Künstlers Nikolai Tomski mit dem prägnanten Kopf, eingeweiht zum hundersten Geburtstag Lenins, war eine Attraktion. Das Denkmal aus ukrainischem Granit schien für die Ewigkeit gebaut.

Der steinerne Ernst Thälmann hat jedoch, was Lenin fehlte: eine Überlebensader. Das Thälmann-Monument konnte im Eifer der Nachwendezeit nicht demontiert werden, weil eine Wärmeleitung duchläuft. Für die Lenin-Statue aber schlug die letzte Stunde. Sie wurde in 129 Einzelteile zerlegt und auf Sattelschleppern aus der Stadt gebracht. Das Denkmal sollte von der Bildfläche verschwinden und nie wieder auftauchen. Trauernde Kommunisten entzündeten rote Grablichter.

Schon damals wogte die Debatte hin und her. Abrissbefürworter sahen in dem Granit-Lenin das Zeugnis eines totalitären Regimes. Gegner der Demontage hingegen würdigten das Kunstwerk als historisches Zeugnis, das der Nachwelt erhalten bleiben sollte.

In diesen Novembertagen ist auf dem ehemaligen Leninplatz keine sichtbaren Spuren mehr vom Aufruhr jener Tage. Nicht mal der Satz ist noch zu lesen, den jemand nach dem Abriss trotzig an den verbliebenen Sockel schrieb: "Und die Erde war wüst und leer..."

Und die Erde war wüst und leer - Der Spruch am Sockel, wo die grosse Lenin-Statue stand, fotografiert am 20. September 1992.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es immer wieder Menschen, die das in der Seddiner Heide vergrabene Lenin-Denkmal aus unterschiedlichen Motiven ausgraben wollten. Jedes Mal, wenn seine Exhumierung zur Debatte stand, schnellte in Berlin der Erregungspegel bei Parteien, Denkmalschützern und Städteplanern hoch. Als handle es sich um eine giftige Flüssigkeit, die auszulaufen drohte. Vor einigen Monaten war es wieder soweit, als bekannt wurde, dass der 1,70 Meter grosse Granitkopf das Herzstück der im Frühjahr geplanten Dauerausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" werden soll.

Von diesem Vorhaben hörte auch Rick Minnich. Der amerikanische Filmemacher, der seit der Wende an der Spree lebt, hat ein besonderes Verhältnis zum Berliner Lenin-Denkmal. 1989 reiste er durch die Sowjetunion und staunte dort über die vielen Lenin-Statuen. "So etwas kannte ich aus meiner Heimat nicht", sagt er. Er begann sich für die steinernen Zeugnisse einer untergangenen Epoche zu interessieren. In seinem Dokumentarfilm "The Book of Lenin" beschäftigte sich der Filmemacher 1994 mit dem Schicksal von Lenin-Denkmälern in sozialistischen Ländern, in dem auch der Berliner Lenin einen Part spielt.

Rick Minnich erlebte in den vergangenen Monaten mit, wie der Berliner Senat die Ausgrabung für die Ausstellung erst verweigerte, dann aber doch freigab. 25 Jahre nach der Wende in der DDR scheint sich also ein wundersames Comeback anzubahnen. Noch immer aber ist vieles unklar. Soll das ganze Denkmal oder nur der Kopf ausgegraben werden? Und: Wo liegt es überhaupt? Erst einmal müssen die Einzelteile nämlich gefunden werden.

Begraben unter dem Schutt der Zeit

Entscheidende Hinweise dazu kann Rick Minnich aber liefern. Er weiß ziemlich gut, wo Lenin liegt. Vor zwanzig Jahren grub der heute 46-Jährige mit seinem Dreh-Team den Granitkopf des Riesen-Denkmals im Köpenicker Forst eigenhändig aus. Danach haben sie wieder eine Sandschicht darüber geschüttet. Als er sich in diesem Sommer auf die Suche nach Lenin machte, erkannte Minnich, wie schwer es ist, sein Grab zu finden. Wo einst nur Sand lag, wachsen heute hohe Bäume und Sträucher. Der Pfad zum Grab ist verschlungen.

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Durch einen tiefen Wald und über schlechte Pfade führt der Weg zu jenem Sandberg, unter dem Lenin heute noch begraben liegt. Lange kümmerte sich eine PDS-nahe Bürgerinitiative rund um Edith Wäscher um das Denkmals-Grab. Achtete darauf, ob noch alles da war, vor allem, als einige rotschimmerde Granitteile noch offen herum lagen. Lenins Grab ist längst zu einer Art Wallfahrtsstätte mutiert. Rick Minnich fand Lenin schließlich wieder. Orientiert hat er sich an Fotos vom damaligen Film-Dreh.

Nach dem Mauerfalll verabschiedeten sich Denkmäler in der DDR quasi über Nacht. Wütende Bürger machten nicht nur mit der Mauer kurzen Prozess. Kunsthistoriker beklagten jedoch schnell den Verlust historischer Zeugnisse. Auch in anderen osteuropäischen Ländern fragte man sich: Wohin mit dem Kram? Zerstört werden sollten die Lenin-, Marx- oder Engels-Statuen nicht, nur wegsperren wollte man sie. Und das möglichst weit. Budapest und Moskau haben in periphärer Lage Parks angelegt, in denen die einstigen Heroen des Kommunismus von Touristen ihren letzten Applaus erhalten.

Einige der sozialistischen Denkmäler stehen 25 Jahre nach der Wende in Ostdeutschland noch immer ihrem alten Platz. Sie sind stehengeblieben aus Zufall, aus Gleichgültigkeit oder weil sich für ihren Abtransport niemand verantwortlich fühlt. Das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow etwa wirkt buchstäblich wie aus der Zeit gefallen. Wegen ihrer breiten Sockelplatten sind solche Denkmäler heute beliebte Treffpunkte für Skateboarder. Für sie sind sie nur noch Stolpersteine der Geschichte, unbekannte, steinerne und eiserne Zeugen einer ihnen fremden Welt. Gut möglich, dass Rick Minnich, falls er noch einen Film dreht, wieder einen Blick auf das heutige Dasein dieser Denkmäler wirft.