Flüchtlingsheim in München
Foto: dpa/Tobias Hase
Flüchtlingspolitik? Zeit für ein Gesamtkonzept!
"Wenn Sie alle Möglichkeiten hätten und alles Geld: Wie würde der Umgang mit Flüchtlingen dann idealerweise aussehen?" Diese Frage haben wir verschiedenen Menschen gestellt, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit Migration und Flüchtlingen beschäftigen. Hier die Antwort von Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.

Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht. Die syrische Flüchtlingskrise ist eine Jahrhundertkatastrophe. Mehr als drei Millionen Menschen sind in die Nachbarstaaten geflohen. Nur etwas mehr als 136.000 von ihnen gelangten seit Beginn des Bürgerkrieges auf eigene Initiative nach Europa. Welche Elemente müsste eine humanitär orientierte Flüchtlingspolitik enthalten, um diese unfassbare Not zu lindern?

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Die meisten Menschen wollen in den Nachbarstaaten Syriens bleiben, denn dort leben sie in der Hoffnung auf Rückkehr. Staaten wie der Libanon, Jordanien oder die Türkei sind am Rande ihrer Möglichkeiten. Der libanesische Sozialminister Raschid Derbas sagte kürzlich, der Libanon werde keine weiteren syrischen Flüchtlinge mehr aufnehmen. Wer will, dass die Grenzen der syrischen Nachbarländer offen bleiben, muss auch seine eigenen Grenzen öffnen.

Deutschland will über drei Jahre hinweg 500 Millionen Euro bereitstellen – viel für Deutschland, aber bei weitem nicht ausreichend, zumal die anderen reichen Staaten zaudern. Nötig wären 3,7 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe. Bislang wurden 1,6 Milliarden bereitgestellt. Die reichen Staaten dieser Erde sind gefordert, weit mehr Geld als bisher für die Flüchtlingshilfe auszugeben. So gab die Türkei vier Milliarden Dollar, unterstützt wurde sie mit nur 250 Millionen. Innerhalb weniger Wochen hat das Land mehr Flüchtlinge aufgenommen als die EU in einem ganzen Jahr.

Grenzen öffnen, Weiterreise ermöglichen

Europas Grenzen sind geschlossen. An der griechisch-türkischen wie an der bulgarisch-türkischen Grenze werden Flüchtlinge abgewiesen. Die geschlossenen Grenzen zwingen sie, den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu nehmen. In seeuntüchtigen Booten versuchen sie, Europa zu erreichen. Seit Jahresbeginn starben so mehr als 3.000 Menschen. Europa schützt seine Grenzen, aber nicht die Flüchtlinge. Die italienische Seenotrettungsoperation "Mare Nostrum" läuft aus. Eine Frontex-Grenzschutzoperation soll sie ersetzen, hat jedoch weit weniger Mittel zur Verfügung und arbeitet in einem kleineren Gebiet. Die Folgen sind absehbar: Noch mehr Menschen werden vor unseren Augen an Europas Grenzen ertrinken. Europa muss dringend eine gemeinsame Seenotrettung installieren.

Europa wälzt die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz auf die Staaten an den EU-Außengrenzen ab: Wer zum Beispiel in Italien ankommt, soll dort bleiben und auch in Italien seinen Asylantrag stellen, selbst wenn die Verwandten in Deutschland leben. Flüchtlinge möchten jedoch oft in die Länder, in denen Bekannte oder Angehörige leben. In Deutschland leben bereits seit vielen Jahren weitaus mehr Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan als in anderen europäischen Staaten. Die logische Folge: Flüchtlinge aus diesen Staaten möchten nicht in Italien oder Griechenland bleiben, sondern versuchen, weiterzureisen.

Klüger verteilen, Kommunen stärken

Derzeit diskutiert die Politik eine Verteilung nach Quoten zwischen den europäischen Ländern. Doch ist auch das keine Lösung, da die legitimen Interessen der Flüchtlinge nicht berücksichtigt werden. Flüchtlinge sollten ihren Asylantrag stellen dürfen, wo sie möchten. Übrigens: Nicht alle werden nach Deutschland wollen, weil zum Beispiel auch die jeweilige Muttersprache der Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielt. So stellen Flüchtlinge aus dem Kongo ihre Asylanträge in der Regel in Frankreich oder Belgien.

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Asylverfahren ziehen sich hin – über Monate oder gar ein Jahr, zum Beispiel bei Flüchtlingen aus Afghanistan. In dieser Zeit sind sie in der Regel zum Nichtstun verdammt. Eine Teilnahme an Integrations- oder Sprachkursen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Aus Menschen, die ihr Leben in die eigenen Hände nehmen möchten, werden Hilfsempfänger, die staatlich alimentiert werden. Das ist absurd und irrational und wäre nicht nur im Interesse der Flüchtlinge, sondern auch im Interesse unserer Gesellschaft, dass Flüchtlinge von Anfang an integriert werden.

Hektisch werden gegenwärtig an vielen Orten Notunterkünfte aus dem Boden gestampft. Aus Provisorien werden schnell Dauerlösungen. Zudem sind Flüchtlingslager willkommene Ziele für rassistische Übergriffe. Auch Großunterkünfte werden belegt sein – es sei denn, die Umsiedlung der Flüchtlinge in Wohnungen wird Programm. Dazu brauchen die Kommunen finanzielle Unterstützung und vor allem muss auf Bundes- und Landesebene der politische Wille vorhanden sein. Die Unterbringung in Wohnungen hilft, Vorurteile abzubauen, denn sie ermöglicht persönliche Begegnungen. Jahrelang setzten der Bund und manche Bundesländer auf Abschreckung. Ein Gesamtkonzept zu Aufnahme und Integration ist das Gebot der Stunde.