Kloster Volkenroda
Foto: Vera Rüttimann
Kunst-Installation mit einem Kreuz auf der Klosteranlage von Volkenroda
"Volkenroda ist ein gesegneter Ort"
Ein Kloster an der deutsch-deutschen Grenze erwachte zu neuem Leben
Nach der Wende war es wie ausgestorben: Das Kloster Volkenroda bei Mühlhausen in Thüringen nahe der innerdeutschen Grenze. Heute ist das Kloster ein Ort, an dem auf ungewöhnliche Weise gelebt und gearbeitet wird, jedes Jahr kommen tausende Besucher. Eine Geschichte vom Neubeginn.

Volkenroda war ein sterbendes Dorf. Das Kloster wurde bereits 1970 aufgegeben, nachdem es zuletzt als Gemeindekirche gedient hatte. Nicht nur das Gotteshaus, auch die Häuser ringsherum zerfielen zusehends. Nahe an der innerdeutschen Grenze in einem damals tristen Winkel gelegen, wurden die Bewohner zudem auf Schritt und Tritt beobachtet.

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Nach dem Mauerfall drohte das Dorf Volkenroda durch Abwanderung auszusterben. Der Ort drohte ganz von der Landkarte zu verschwinden. Ein paar mutige Menschen ließen das jedoch nicht zu. Mit eisernem Willen und einer Vision krallten sie sich in den Boden wie sturmgepeitschte Bäume. 25 Jahre nach der Wende führt der Weg nach Volkenroda in ein blühendes Dorf mit einem wiederbelebten Kloster.

Auf die Landkarte zurückgekehrt

Auch an diesem Vormittag herrscht in Volkenroda reger Besucherandrang. Neugierig blicken die Menschen auf den schmucken Kirchturm der Klosteranlage und die gediegen restaurierten Fachwerkhäuser. Die Besucher reisen aus allen Teilen des Landes an, obwohl Volkenroda rund 40 Kilometer entfernt von der nächsten Autobahn liegt. Auch in diesem Jahr haben rund 20.000 Übernachtungsgäste den Weg hierher gefunden. Sie kommen zu Konferenzen, Kulturveranstaltungen und Jugendcamps. Seit 1999 ist hier das Europäische Jugendbildungszentrum (EJBZ) untergebracht. Jugendliche stellen sich Fragen wie: Wohin führt mein Weg? Was brauchst du, um im Leben zu bestehen? Was heißt "Ora et Labora" heute? Es wird nicht nur an Lagerfeuern gekocht, auch geistliche Angebote wie das Gebet in der Nachtkirche werden rege genutzt.

Ulrike Köhler, Mitarbeiterin in Volkenroda

Volkenroda ist nicht nur buchstäblich als lebendiger Ort auf die Landkarte zurückgekehrt, das Klosterdorf expandiert. Längst gab es für die vielen Besucher zu wenig Platz, wie Jens Wolf vom Kloster Volkenroda sagt. Stolz beobachtete er, wie am 24. Oktober der Grundstein gelegt wurde für den Neubau eines Refektoriums. Weiter soll ein Tagungssaal für 120 Personen entstehen sowie ein Sitz für Verwaltung und Rezeption. Der nach der Wende begonnene Wiederaufbau des Klosters als jetzige Jugendbildungs- und Tagungsstätte wird mit dem Refektorium 2015 abgeschlossen sein.

"Volkenroda wächst, das ist toll", sagt Ulrike Köhler fröhlich, während sie eine Besuchergruppe durch die Klosteranlage führt. Auch neben ihrem Haus, in dem sie seit 1978 wohnt, wird gebaut. Sie staunt jeden Tag, wie dieser Ort gedeiht. Die 58-Jährige gilt als treibende Kraft hinter dem Wiederaufbau des Klosters Volkenroda. Nach der Wende beschloss die agile Frau, die Wiederbelebung dieses Kulturgutes zu ihrer Lebensaufgabe zu machen und gründete einen Verein zum Wiederaufbau. "Kirche und Konvent waren ein Trümmerhaufen. Das Dorf war bettelarm und die Bevölkerung war dem Evangelium entfremdet", erinnert sie sich. Mit ihren Mitstreitern, die sie schnell fand, schrieb Ulrike Köhler Bittbriefe an Stiftungen und holte Fachleute für Denkmalpflege aus Westdeutschland.

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Das rege Leben hier ist das Werk der ökumenischen Kommunität, der Ulrike Köhler von Beginn an angehört. Sie war dabei, als 1994 die ersten Mitglieder der Jesus-Bruderschaft aus dem hessischen Gnadenthal nach Volkenroda kamen. "Die ökumenisch ausgerichtete Kommunität ließ sich auf das Abenteuer ein in einer Gegend, von der sie zuvor noch nie gehört hatten", sagt Ulrike Köhler noch heute bewundernd. Von den Gründungsfamilien der Kommunität war ihre die einzige aus Ostdeutschland. Die diplomierte Agrarökonomin erinnert sich noch heute an "sehr lebhafte Ost-West-Diskussionen, die nicht ohne Spannungen abliefen".

Ulrike Köhlers Alltag wird seither geprägt durch den Rhythmus von Arbeit und Gebet. Dreimal täglich treffen die Mitglieder – darunter sind Ledige und Verheiratete – sich zum Gebet in der Kirche. "Das gemeinsame Gebet ist das Herzstück unseres Alltages. Das erdet uns alle wieder. Dann geht’s wieder los zur Arbeit, die uns hier nie ausgeht", sagt sie. Rund um das Kloster sind Betriebe entstanden. Im Bioladen kann man Milch, Molke und Wollprodukte kaufen. Im Bauernhof werden diverse Tiere gehalten. Einmal im Monat gibt es einen großen, viel besuchten Markt.

Die Saat ist aufgegangen

Vom Zisterzienserkloster Volkenroda waren einst weitreichende geistige Impulse ausgegangen. Doch als die Brüder aus Gnadenthal nach Ostdeutschland kamen, fanden sie ein vom SED-Regime weitgehend entkirchlichtes Land vor. Sie fühlten sich aufgefordert, die weißen Flecken auf der christlichen Landkarte neu auszufüllen. "Wir wollten hier eine spirituelle Oase schaffen", sagt Ulrike Köhler, die heute für den Seelsorge-Bereich des Klosters verantwortlich ist.

Der Christus-Pavillon beim Kloster Volkenroda.

Neu entstanden ist hier unter ihrer Ägide in diesem Jahr das Projekt "Kloster auf Zeit". Die dreifache Mutter spricht von einer Herzensangelegenheit: Schon immer habe sie hier Menschen auf ihren Lebensetappen seelsorgerlich begleitet. Neue Zimmer wurden für das Projekt geschaffen. Die Nachfrage sei nun groß. "Es kommen Menschen, die einen Burn-out erlitten haben, ihre Arbeit verloren haben oder deren Beziehungen zerbrochen sind. Hier können sie in Gesprächen ihre Situation aus einer ganz neuen Perspektive betrachten", sagt Ulrike Köhler. Aus ihrer seelsorgerlichen Erfahrung weiß sie: "Volkenroda ist ein gesegneter Ort. Hier handelt Gott und wenn man nach ihm sucht, findet man ihn. Das habe ich hier immer wieder erlebt."

Hauptanziehungspunkt auf dem Klostergelände ist für viele auch nach über zehn Jahren noch immer der Christus-Pavillon. Der Veranstaltungsort für Gottesdienste, Kunst- und Kulturveranstaltungen wird in einem Reiseführer zu den "100 bemerkenswertesten Kirchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz" gezählt. Der Kubus wurde nach der Weltausstellung in Hannover in seine Einzelteile zerlegt und in Volkenroda wieder aufgebaut. Der irritierend schöne Bau sorgt noch heute für glänzende Augen. Die Außenwände des Kreuzganges bestehen aus Glasscheiben, in denen sich Dinge wie Tannenzapfen, Schrauben oder Fiebermesser schichten. Längst ist es gelungen, den Kubus auch mit geistlichem Leben neu zu füllen.

Ulrike Köhler kann mit ihren Kommunitäts-Mitgliedern auf 25 ereignisreiche Jahre zurückblicken. Schon Anfang der neunziger Jahre sprach sie von vielen kleinen Senfkörnern, die zunächst unsichtbar im Boden gären, bis eines Tages zarte Keimlinge, dann Knospen und schließlich Blüten der Erde erwachsen. In Volkenroda ist die Saat aufgegangen. Hier ist die Kirche buchstäblich ins Dorf zurückgekehrt.