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TV-Tipp des Tages: "Bornholmer Straße" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Bornholmer Straße", 5. Bovember, 20.15 Uhr im Ersten
9. November 1989: Günther Schabowski verkündet, dass alle DDR-Bürger ab sofort die Reisefreiheit erhalten. Als die Stimmung am Schlagbaum in einen Gewaltausbruch zu eskalieren droht, fällt Schäfer auf eigene Faust die mutige Entscheidung, den Grenzübergang zu öffnen.

"Bornholmer Straße": ein Titel wie eine Adresse. Der Straßenname wird vielen Deutschen nichts sagen, aber die Bilder kennt so gut wieder jeder: Am 9. November 1989 kurz vor Mitternacht öffnete sich an diesem Grenzübergang der erste Schlagbaum; damit war die DDR praktisch Geschichte. Eine Vielzahl von Filmen hat sich bereits mit den Ereignissen befasst, die schließlich zur "Wende" geführt haben, aber noch keiner auf eine Weise, die dem Ansatz von "Bornholmer Straße" auch nur annähernd ähnlich wäre: Zum ersten Mal werden die Ereignisse aus der Perspektive der Grenzsoldaten erzählt; und das keineswegs als Drama oder Tragödie, sondern als absurdes Theater.
Der Titelzusatz lässt dabei keinen Zweifel, wer der Held der Handlung ist: "Bornholmer Straße" erzählt die "unglaubliche aber wahre Geschichte des Oberstleutnant Harald Schäfer". Den Mann gab es tatsächlich (in Wirklichkeit hieß er Jäger). Er war an jenem Abend Chef vom Dienst und wartete angesichts einer immer größeren Menschenmenge, die sich nach Günter Schabowskis gestotterter Ausreiseerlaubnis am Grenzübergang versammelt hatte, auf Anweisungen seines Vorgesetzten. Schließlich ließ er hinter sich, wovon er fast dreißig Jahre lang überzeugt gewesen war, folgte seinem Instinkt und wurde so zum Helden.

Parodie auf den allgemeinen Bürokratismus

Bei den richtig großen Komödienstoffen schimmert stets auch die Tragödie durch. Das ist bei "Bornholmer Straße" nicht anders: Schäfers Männer sind nervös, manch’ einer würde schon allein aus jahrelanger Gewohnheit am liebsten zur Waffe greifen. Mitunter vergisst man das, weil Christian Schwochow den Film oft haarscharf am Rand zur Klamotte inszeniert und einige der Soldaten pure Karikaturen sind: der eine als opportunistischer Wichtigtuer (Milan Peschel), der andere als personifizierter Schießbefehl (Max Hopp), ein dritter als Muttersöhnchen (Robert Galinowski). Andererseits führt erst diese Zeichnung der Charaktere zu einer satirischen Überhöhung; der Films wird auf diese Weise auch zur Parodie auf den allgemeinen Bürokratismus. Schon der Prolog gibt diese Stimmung vor, wenn die Männer einen unerlaubten Grenzübertritt verhindern: Ein kleiner Hund hat sich zwischen die Schlagbäume verirrt, wird mit vereinter Kraft eingefangen und sorgt fortan immer wieder für Unruhe, weil die Vorschriften einen solchen Sonderfall nicht vorsehen. Wenn schon ein Hund so viel Verwirrung auslöst, ist es später keinerlei Überraschung mehr, dass die Soldaten angesichts von Tausenden zwar friedlichen, aber dennoch bedrohlich wirkenden Bürgern heillos überfordert sind.

Fels in der Brandung ist Oberstleutnant Schäfer. Es bedarf ohnehin keines Beweises mehr, dass Charly Hübner ein exzellenter Schauspieler ist, aber dieser Film würde ihn bieten. Immer wieder droht die Geschichte in Richtung Tragödie eines lächerlichen Mannes zu kippen, doch Hübner sorgt mit seinem sparsamen Spiel dafür, dass der Soldat trotz lautstarker Verdauungsprobleme nie seine Würde verliert. Den Männern an seiner Seite gelingt diese Gratwanderung nicht immer, was sich aber angesichts der insgesamt herausragenden Qualität leicht verschmerzen lässt. Abgesehen davon ist die Situation aus Sicht der Soldaten völlig bizarr, was ihre extremen Reaktionen rechtfertigt. Die Besetzung ist ohnehin glänzend, selbst in kleinsten Sprechrollen erkennt man bekannte Gesichter (unter anderem Ulrich Matthes, Rainer Bock, Frederick Lau, Ludwig Trepte, Thorsten Merten und Hermann Beyer).

Für Schwochow ("Die Unsichtbare") ist die Komödie nach den DDR-Dramen "Novemberkind" und "Der Turm" ein ungewohntes Genre, aber der Film unterstreicht sein herausragendes Talent. Und noch eine Erfahrung war neu für ihn: "Bornholmer Straße" ist das erste gemeinsame Drehbuch seiner Eltern Heide und Rainer Schwochow; seine Mutter war auch schon an "Novemberkind" und "Die Unsichtbare" beteiligt. Das Ehepaar gehörte damals zu den Menschen, die in jener Nacht die Grenze passierten. Ihr Sohn, der den Mauerfall als Elfjähriger verschlafen hat, hat aus ihrem Drehbuch eine Komödie gemacht, die in der Rangfolge der lustigsten Berliner Ost/West-Filme in die Nähe von Billy Wilders "Eins, Zwei, Drei" gehört.

Im Anschluss zeigt die ARD die Dokumentation "Die Nacht des Mauerfalls", in der sich Zeitzeugen an jene Nacht erinnern, die zum wichtigsten Datum der jüngeren deutschen Geschichte geworden ist.