Computerspiele sind aus der Jugendkultur nicht mehr wegzudenken. Was Verkaufszahlen und Produktionsbudgets angeht, sind Computerspiele in derselben Liga wie Kinofilme und Musikalben angekommen. Im Alltag von Kindern und Jugendlichen spielen sie eine herausragende Rolle: 2013 spielten laut JIM-Studie 45 Prozent der 12 bis 18-Jährigen mehrmals pro Woche Computerspiele, knapp die Hälfte von ihnen sogar täglich. Computerspiele sind bei männlichen Jugendlichen wichtiger als fernsehen, Bücher lesen und Radio hören. Die Alltagsbeschäftigung mit dem Computerspiel dürfte weitaus höher liegen als die reine Spielzeit.
Wie sind religiöse Inhalte innerhalb dieser symbolischen Universen vermittelbar, wenn diese Computer-Welten einen spielerischen Zugang erfordern, ermöglichen oder eventuell sogar erzwingen? Wenn religiöse Vorstellungen oder religiöses Wissen auf spielerische Weise kommuniziert werden: Wie wandelt sich dann der Umgang mit der religiösen Autorität, die sie repräsentieren? Die Erforschung dieser Zusammenhänge ist noch am Anfang. Belegbar sind die religiösen Inhalte der erzählten Geschichten. Diese sind jedoch meist Transformationen historischer religiöser Inhalte, angepasst an eine vorgegebene Spielewelt. Das Spiel "Bioshock Infinite" spielt mit der Taufszene: Am Anfang wird sie als Persiflage des christlichen Ritus dargestellt, im Spiel kehrt sie aber auch in einer ursprünglicheren Form wieder. Diese Szenen sind in die Spielgeschichte so eingebettet, dass jedem Spieler auch bei der Persiflage der religiöse Charakter sofort deutlich wird, auch wenn die Szene befremdlich und verstörend wirkt. Diese Verfremdung und Persiflage etablierter Religion bereitet den Spieler auf den Eintritt in eine Gesellschaft voller persiflierter, verstörend verfremdeter Werte und Normen vor. Das transformierte religiöse Ritual setzt also den Kontext des zu erwartenden Spiels.
Die Erforschung der Rezeption steht noch am Anfang
Während die Spieleinhalte und deren religiöse Konnotationen relativ leicht zu erforschen sind, steht die Erforschung der Rezeption noch am Anfang. Computerspiele verhandeln regelmäßig ethisch-religiöse Motive und stellen sie spielerisch auf den Prüfstand. Das Spiel "Walking Dead" verlangt vom Spieler eine Entscheidung: sich selbst opfern oder ein kleines Mädchen in Lebensgefahr bringen. Dieses "Opfer" muss allerdings durch das Mädchen selbst vollzogen werden. Die Spieler diskutieren das in den Online-Foren kontrovers, ebenso wie beim Spiel "The Last of Us", in dem durch die Tötung eines Mädchens die Menschheit gerettet werden könnte, der Spielecharakter sich aber bewusst dagegen ausspricht. Es ist wichtig, herauszufinden, ob Spieler diese Inhalte eigentlich als religiös wahrnehmen und wie sie damit umgehen.
###mehr-artikel###Andere Spiele thematisieren das Leben nach dem Tod oder erfragen die Rechtfertigung von Gewalthandlungen. Ergebnisse einer Rezeptionsforschung zum Thema Religion im Computerspiel wären daher sehr interessant. Denn Computerspiele bewegen sich sozialphänomenologisch betrachtet zwischen Fantasie, Humor und Religion. Sie erproben und machen so alles (selbst ihre eigene Regelstruktur) verhandelbar. Alle Inhalte des Computerspiels – auch die religiösen – werden als Teil einer manipulierbaren, virtuellen Fantasiewelt wahrgenommen. Ob und wieweit diese Inhalte dabei die Bedeutung behalten bzw. erlangen, die sie in der Alltagswelt haben, ist fraglich. Das Computerspiel stellt also eine Parallelwelt zur Bedeutungswelt der Alltagswelt dar. Damit hat es eine direkte Parallele zur Transzendenz, die auch darauf verweist, dass alles anders sein könnte, als es erscheint. Religiöse Inhalte in Computerspielen sind also prinzipiell dem Medium Computerspiel mehr als angemessen.
Religiöse Inhalte als unabhängiger Spieleinhalt sind eher die Ausnahme. Greg Perreault von der University of Missouri konnte zeigen, dass Religion in Computerspielen häufig im Kontext von Gewalt thematisiert wird. Perreault untersuchte Spiele, in deren Geschichte Religion vorkommt. Das Motiv des Kreuzfahrers und Tempelritters nimmt eine herausragende Rolle ein. Auch muss der Spieler religiös konnotierte Schuld bzw. Sünde überwinden und gegen religiöse Eiferer kämpfen. Ob dieser Zusammenhang seinem Ursprung in der Thematisierung von Gewalt im Computerspiel und einer so bedingten Kontextualisierung von Religion geschuldet ist oder ob Religion selbst als Auslöser von Gewalt wahrgenommen wird, ist bislang nicht geklärt.
Religiöse Spiele sind schwer zu vermarkten
Das Christentum als explizite Religion spielt eher eine untergeordnete Rolle im Computerspiel. Dies mag daran liegen, dass Computerspiele auf einen globalen Markt zielen. Ein Spiel muss kulturell kompatibel und der Inhalt global verständlich und akzeptabel sein, damit es hohe Verkaufszahlen erreicht. Das ist gerade bei religiösen Inhalten nur schwer zu bewerkstelligen. Ein explizit christliches Spiel würde also auf einen relativ kleinen Markt zielen. Da die Produktionskosten von Computerspielen extrem hoch sind, lohnt eine solche Produktion nur eingeschränkt. Gleichzeitig stellen Computerspieler und -spielerinnen hohe Anforderungen an die technische Qualität. Ein religiöses oder religionsaffines Spiel kann in dieser Beziehung aus Budgetgründen meist qualitativ nicht mithalten und macht so schnell einen veralteten Eindruck. Wenn dann auch noch religiöse Inhalte, die ja ihre Autorität oft aus Traditionszusammenhängen ziehen, das Spiel ausmachen, ist ein solches Produkt schwer zu vermarkten.
Trotzdem finden sich in kommerziellen Spielen immer wieder religiöse Motive bzw. werden diese von Spielerinnen und Spielern eingebracht. In Online-Spielen, in denen Gruppen von Spielern gemeinsam das Leben in einer Fantasiewelt simulieren, werden religiöse Rituale wie Trauungen und Beerdigungen inszeniert. So gibt es zum Beispiel Hochzeiten in "World of Warcraft" oder Trauerrituale für den endgültigen Abschied eines Spielers aus einer Online-Welt. (Da der "bloße" Tod der Spielerfigur in der Regel innerhalb eines Spieles reversibel und damit ohne Konsequenzen bleibt, nimmt die Löschung des Spielerkontos die Stellung des Todes ein und fordert so zur religiösen Rahmung auf.)
Erkennen Spieler religiöse Motive?
Weiterhin finden sich in Computerspielen Motive wie Selbstaufopferung ("Star Wars", "The Last of Us", "Walking Dead"), Leben nach dem Tod, religiöse Motivation für moralische Entscheidungen ("Fallout") und die Transformation etablierter religiöser Praxis in einer Spielewelt (Taufe in "Bioshock Infinite"). Diese sind einfach als religiöse Motive zu identifizieren. Die Frage, ob diese Motive auch von den Spielern als solche erkannt werden, bleibt offen. Hier könnte auf der einen Seite die praktische Theologie, insbesondere die Religionspädagogik, gefragt sein, die den Spielerinnen und Spielern das Handwerkszeug zur Identifikation religiöser Symbolsprachen in der Popularkultur an die Hand geben kann. Auf der anderen Seite scheint ein Blick auf die impliziten Ausdrucksmöglichkeiten der Spielerkultur angebracht. In jüngster Zeit halten mehr und mehr Computerspieler und -spielerinnen auf Videoportalen wie YouTube ihr Spielen visuell fest, kommentieren es und machen es dann einem breiten Publikum online zugänglich. Diese Videopräsentationen zu erforschen, scheint eine Möglichkeit für bessere Erkenntnisse über die Rezeption religiöser Inhalte in Computerspielen zu sein.
Eine weitere Ausdrucksmöglichkeit bietet ein ungleich größeres Potenzial. Auf der Website "gamessavedmylife" berichten Menschen mit chronischen Krankheiten oder anderen gesundheitlichen und sozialen Problemen darüber, wie das Computerspiel für sie ein Werkzeug im Umgang mit diesen Problemen ist und ihr Leben verbessert hat. Die veröffentlichten Berichte lesen sich auf den ersten Blick wie religiöse Konversionserzählungen. Ein aktuelles Forschungsprojekt von Greg Perreault und Michael Waltemathe geht zurzeit dieser Parallele nach und untersucht die Überschneidungen von religiöser Konversion und lebensrettenden Potenzialen von Computerspielen. Untersucht wird die These, ob das Computerspiel als virtuelle Welt neben der Alltagswelt und anderen Aspekten der Lebenswelt durch seinen interaktiven Charakter Handlungsmöglichkeiten bietet, die die Überwindung lebensfeindlicher Angewohnheiten ermöglicht. Dieser interaktive Charakter lässt sich sozialphänomenologisch ähnlich wie eine religiöse Weltanschauung beschreiben. Diese These kann also anhand der Analyse religiöser und "computerspielerischer" Konversionserzählungen überprüft werden.
Kirchliches Engagement in der Spieler-Community
Während christliche oder kirchliche Spiele – wie oben beschrieben – vermutlich mehrheitlich technisch hinter den großen kommerziellen Produkten der Branche hinterherhinken werden, ist die Interpretation solcher Spiele und das Aufdecken des religiösen Potenzials ein Feld, in dem kirchliches Engagement lohnenswert scheint. Das explizit nichtreligiöse Portal "gamessavedmylife" kann hier wegweisend sein, denn es zeigt die positiven Wirkungen von Computerspielen und deren Inhalten anhand persönlicher Berichte. Werden religiöse Inhalte wahrgenommen – und Diskussionen von Spielern über Inhalte wie Selbstaufopferung etc. legen dies nahe –, dann sollte dies kommuniziert werden und die Kirche kann darauf reagieren.
###mehr-info-110781###Religiöse Interpretationen von Spielen könnten einige überraschende Überschneidungen mit der christlichen Botschaft zeigen. Aber auch Engagement in der Veröffentlichung von Spielvideos mit explizit religiösen Interpretationen kann den vorhandenen Markt der Spielvideos erweitern und die religiöse Perspektive dort effizient ins Gespräch bringen, ohne altbacken zu wirken. Es gibt in diesem Bereich schon einige Initiativen im englischsprachigen Bereich, z. B. "gamechurch". Diese sind zwar nicht direkt auf den deutschen Kontext übertragbar, geben aber interessante Hinweise, was möglich ist und von Spielern wahrgenommen wird. (Auf der Seite www.christian-gaming.com gibt es einige Spiele rezensionen und Spielevideos mit christlichem Fokus.)
Ein solcher konstruktiver Umgang mit den positiven Potenzialen von kommerziellen Computerspielen würde dem Medium Rechnung tragen, ohne in eine bewahrpädagogische Haltung zu verfallen. So wäre es möglich, Kritik an menschenverachtenden Gewaltdarstellungen in Computerspielen zu üben, ohne das Computerspiel an sich zu verdammen. Gleichzeitig würden die Diskussionen, die die Spieler unter sich online führen, aufgenommen und wertgeschätzt. Kirchliches Engagement würde nicht neben, sondern mit der Spieler-Community stattfinden. Dabei wären dann kirchliche Interpretationsangebote zwar immer noch in der Tradition verankert, aber am aktuellen Diskurs der Spieler orientiert.