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Die Kirche braucht mehr Bilder
Ein Gastbeitrag zur EKD-Synode 2014
Digitale Bildformate wie Instagram oder YouTube werden millionenfach genutzt. Sie sind interaktiv und wirken über Emotionen. Will die "Kirche des Wortes" junge Menschen erreichen, muss sie mehr Bilder verwenden, sagt Karsten Kopjar.
06.11.2014
Lesebuch zur EKD-Synode 2014

Die protestantischen Kirchen sind "Kirchen des Wortes". Unter Rückgriff auf die Reformatoren basieren sie auf Jesu Worten und dem gedruckten Bibelwort. Gegen den Bilderreichtum der katholischen Kirchen hat sich der Protestantismus abgegrenzt. Es ist seine Stärke, den Glauben in Worte zu fassen. Wenn analog zum "Linguistic Turn" seit den 1990er Jahren im "Iconic Turn", wie Gottfried Boehm das Phänomen bezeichnete*, eine neue Hinwendung zu Bildern und Bildvorstellungen als Maßstab für Wissensvermittlung propagiert wird, fordert das zum Umdenken auf.

Schon in den biblischen Schriften findet man keineswegs eine Reduzierung auf ein bestimmtes Medium. Wenn Gott und Mensch miteinander in Kontakt treten, ist das immer schon ein medialer Vorgang gewesen. Verschiedene Kanäle dienen dazu, Information, Emotion und Erfahrungen zu transportieren: Naturschauspiele, Tanz, Lieder und dramatische Bildreden im Alten Testament. Später fixieren Schriftrollen und Kodizes diese Erlebnisse. Im Neuen Testament dienen Gleichnisse, Briefe, Lebensberichte und in der Kirchengeschichte liturgische Gesänge, Kirchenfenster, Gemälde und Prozessionen als Medium. Noch im Mittelalter wird das Evangelium oft mündlich und in einfach zu verstehenden Bildern von Mensch zu Mensch weitergegeben. Die geschriebene Bibel ist eine Quelle für den Klerus, der die Hoheit über Auslegung und Umsetzung des Kirchenlebens hat.

Der Paradigmenwechsel hin zum gedruckten Text scheint daher in der Zeit der Reformation sinnvoll und notwendig. So wechselt der Wahrnehmungsfokus vom Ritus auf das persönliche Bibelstudium. Glaube wird rationaler und privater.

Bilder prägen unser Leben

Heute sind Digitalfotografie und computergestützte Bildbearbeitung für jeden verfügbar. Unsere Schriftkultur wandelt sich zur Bildkultur. Bilder prägen unser Leben, von den Kindertagen bis zur Beerdigung. Das Smartphone fängt alles ein. Selfie ist laut Oxford English Dictionary das "Wort des Jahres 2013". Auf YouTube werden pro Minute über 100 Stunden Videomaterial hochgeladen. Jugendliche des 21. Jahrhunderts können sich ein Leben ohne digitale Bilder nicht mehr vorstellen.

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Hier sind wir bei der zentralen Fragestellung: Wenn gute Redner über Jahrtausende ihrem Publikum durch Worte ein Bild vor Augen stellen konnten, warum sollten wir uns dann vom Wort abwenden? Weil gute Redner sich immer an ihrem Publikum orientiert haben. Wenn das Publikum ein fiktives Streitgespräch erwartet hat, hat Sokrates ihm eines gegeben, um seine Einstellungen zu hinterfragen. Wollte das Publikum Gleichnisse aus seinem Lebensumfeld hören, hat Jesus sie erzählt, um das Reich Gottes daran zu erklären. Und wenn Teenager heute digitale Bilder erwarten, sollten wir sie ihnen geben, so dass sie die damit verbundenen Inhalte annehmen.

Gottesdienst als virtuelle Gemeinschaft

Spätestens seit Public Viewing und Second-Screen-Erfahrungen prägt die Mediengesellschaft nicht mehr nur individualistisch, sondern vermittelt Shared Experiences. Diese "geteilte Gemeinschaftserfahrung" kann über den lokalen Radius hinausgehen, weil man gleichzeitig denselben Inhalt kommuniziert und so kollektive Erfahrungen kreiert, über die man sich später austauschen kann. Und damit ist die Medienjugend gar nicht so weit weg von den Eigenschaften des Gottesdienstes. Auch dort proklamieren wir die "Gemeinschaft der Heiligen" und fühlen uns mit Christen aller Zeiten und Orte im Glauben verbunden. Auch dort beten wir miteinander, füreinander und denken an abwesende Menschen, die uns nahestehen. So sprengt die geistliche Gemeinschaft den physischen Raum des Kirchengebäudes.

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Ebenso integriert die grafikaffine Generation Grundzüge kirchlicher Interaktion. Schon Jesus hat seinen Jüngern vorgelebt und sie ausprobieren lassen. Letztlich hat er sie zu eigenständigen Multiplikatoren gemacht. Heute lernen Menschen am Computer ebenso durch interaktives Nachahmen: sehen, ausprobieren und weitergeben. Das Wissen wird von der Basis weiterverbreitet. User generated Content füllt die Speicher von YouTube mit interaktiven Tutorialvideos. Dialog statt massenmedialer Berieselung macht die ehemals passiven Medien-Konsumenten zu aktiven Prosumenten.

Menschen haben nach dem "Lesen" auch das "Schreiben" gelernt und wollen gleichberechtigt kommunizieren. Sie tun das mit Fotos, Bildcollagen, Videos, Kurznachrichten, Zitaten, durch Kommentare, Likes und Shares. Bei den millionenfach geklickten YouTube-Highlights geht es eher um ein gemeinsames Gefühl als um Wissensvermittlung, und die beliebtesten Instagram-Bilder zeigen keine philosophischen Wahrheiten, sondern fesselnde Atmosphären.

Instagram- oder YouTube-Beiträge werden zusätzlich über Facebook oder Twitter geteilt, um darüber ins Gespräch zu kommen. So wird deutlich, dass der Iconic Turn nicht zur Auflösung der Sprachkommunikation führt, sondern zu einem Medienmix: Texte bleiben erhalten, wo ihr Einsatz sinnvoll erscheint. Wikipedia, Romane, Messenger, Online-Journalismus sind wohl auch in 20 Jahren noch prädestiniert für geschriebene Information. Aber Texte mischen sich überall da mit Bildern, wo Bilder ihre Stärke ausspielen können. Gerade in der spontanen emotionalen Kommunikation im Mobile Web werden Bilder oft überwiegen.

Teilen und Weiterleiten

Und genau das ist die Chance für die Kirche der Zukunft. Authentische Freude über das Evangelium muss sich nicht in trockenen Texten und klassischer Musik ausdrücken, sondern darf auch mittels impulsiver Bilder und lustiger Videos gezeigt werden. Wenn die Überzeugungen Luthers in unserem Herzen verankert sind, darf unsere Predigt nicht bei seinen Medien stehenbleiben. Luther hat die Medien seiner Zeit genutzt, damit möglichst viele Menschen von Gottes Gnade erfahren. Und wenn Menschen in den neuen Medien des 21. Jahrhunderts von Gottes Liebe berührt werden, werden sie auch Kontakt zu anderen aufbauen wollen, die ihnen diese Liebe erklären und mit ihnen feiern wollen.

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Daher wird die Kirche der Zukunft gar nicht so anders sein. Interaktive Elemente in der Liturgie werden stärker zutage treten und One-Way-Kommunikation durch dialogisches Interesse ergänzt werden. Die Predigten könnten wieder mehr an den Gleichnissen Jesu orientiert sein und den Menschen Bilder vor Augen stellen. Vielleicht sogar digitale Bilder auf einer Datenbrille oder einer Videoleinwand. Und Menschen werden durch Musik, Licht, Atmosphäre und Gemeinschaft emotional angesprochen sein. Nicht um sie zu manipulieren, sondern um sie zu begeistern. Sowohl digital wie auch weiter gefasst: Der Sonntagsgottesdienst kann als gemeinschaftsstiftende Vor-Ort-Veranstaltung mit digitaler Kommunikation und Partizipation in Online-Medien kombiniert werden.

So kann Kirche ihrer eigenen Historie treu bleiben und gleichzeitig aktuelle Medienkommunikation ernst nehmen. Zum Beispiel mit dem "Wort zum Sonntag" - seit 60 Jahren ein medialer Beitrag der Kirchen zum wöchent lichen Fernsehprogramm. Damals war das innovativ. 2014 öffnete sich das Format für neue Formen. Mit dem interaktiven Wettbewerb: "Dein Wort zum Sonntag" wurde zum einen die junge Generation angesprochen, über geistliche Themen nachzudenken. Zum anderen wurden Medien produziert, die nicht am Programmschema der "alten TV-Medien" kleben, sondern jederzeit und überall im Internet abrufbar sind. Geistliche YouTube-Videos und Bildercollagen mit guten Gedanken können dem alten Format einen neuen Stil geben und einer alten Kirche viele junge Gesichter.

Unter dem Motto "Segen ist keine Glückssache. Aber zum Glück gibt’s den Segen!" hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine Online-Kampagne gestartet. Seit März 2014 werden regelmäßig Segenssprüche als Grafikdatei gestaltet und auf Instagram hochgeladen. Diese Bilder sind im Internet öffentlich sichtbar und können geteilt werden. So kann ich den Segen abonnieren wie auch passende Sprüche aussuchen und an Freunde weiterleiten. Der Segen kommt dabei weiterhin von Gott, aber die Nachricht aus dem Internet.

*Gottfried Bohm, Die Wiederkehr der Bilder, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild? München 1994, S. 11–38.