Katze und Bibel
Foto: Getty Images/iStockphoto/Judy Johnson
Für Katzen-Fans gibt es die Bibel in der digitalen Welt auch in Lolspeak. Das ist ein absichtlich falsches Englisch, das Katzen zugesprochen wird.
Die Bibel im Netz: Mehr als ein Buch!
Ein Gastbeitrag zur EKD-Synode 2014
In der Welt von Bits und Bytes verändert sich die Bibelkultur. Der Leser wird im Netz zum Mitgestalter, die Texte werden kreativ und subversiv verändert, durch Bilder, Video- und Audiodateien oder Links zu Blogs und Foren ergänzt. Das belebt den Umgang mit der Bibel – birgt aber auch Gefahren.
04.11.2014
Ein Gastbeitrag zur EKD-Synode 2014

Wie und was wir glauben, fällt nicht einfach vom Himmel, sondern ist zutiefst von kulturellen Einflüssen abhängig: Jesus lebte und dachte als Jude im Palästina seiner Zeit. Martin Luthers reformatorische Entdeckung wäre ohne die Erfindung des Buchdrucks kaum erfolgreich gewesen. Und gegenwärtig ist die digitale Kultur, also das Internet und die neuen elektronischen Medien insgesamt, der Hotspot im Blick auf markante Trends und weitreichende globale Veränderungen. Der Informationsethiker Rainer Kuhlen bringt es auf den Punkt: "Das Ethos der Informationsgesellschaft ist das Internet." Demnach ist das Internet mit seinen Vorgaben und charakteristischen Möglichkeiten der entscheidende Handlungsraum, in dem sich neue Vorstellungen und Verhaltensweisen herausbilden, die auch den Alltag im Offline-Modus mit beeinflussen. Unser Umgang mit der Bibel bleibt davon kaum unberührt.

Bei der Bibel denken wir zumeist an ein Buch mit Dünndruckpapier. Tatsächlich jedoch ist der Bibeltext äußerst flexibel, was seine bisherigen Trägermedien angeht. Zunächst wurde die Frohe Botschaft, das Evangelium, mündlich kommuniziert, später erst schriftlich fixiert, sei es auf vergänglichen Wachstafeln und Papyri, sei es auf beständigen Buchrollen und Kodizes aus Pergament und endlich mit Gutenberg als gedrucktes und schnell reproduzierbares Bibelbuch. Und heute, nach 500 Jahren relativer Konstanz, wird die Gutenberg-Galaxis durch die digitale Kultur abgelöst, und auch die Bibel wandert als elektronischer Fließtext auf den Bildschirm des Computers, des Handys usw.

Vom Leser zum User

Die Bibel wird dabei bunter und vielgestaltig, Illustrationen (einst schon im Mittelalter das Rückgrat der Bibelkommunikation) und informatives Zusatzmaterial können nahezu beliebig eingefügt werden. Vor allem aber werden Bibelleser zu Usern, das heißt zu aktiv Mitgestaltenden bei Erstellung und Pflege von Bibelwebsites. Denn als Open-Source-Produkt sind diese veränderlich statt statisch, sie sind Text in Bewegung, heute vielleicht anders als gestern und morgen. Die digitalisierte Bibel erlebt somit bei weitem mehr als nur ein oberflächliches Face-lifting, die Auswirkungen bleiben nicht auf die äußere Gestalt der Bibel beschränkt. Denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Inhalt und Medium, so dass sich Verständnis und Umgang mit der Bibel durch die Digitalisierung ganz grundlegend verändern können.

An nur zwei Beispielen möchte ich das Potenzial und die Dynamik sowie Chancen und Gefahren des Übergangs der Bibel in die Ära von Bits und Bytes veranschaulichen. Weitere Online-Bibeln, wie die Volxbibel oder die BasisBibel sind im Netz schnell auffindbar.

Bibelgezwitscher

Twitterbibel: Sie entstand während des Evangelischen Kirchentags 2009 und versetzte mit über 3000 beteiligten Nutzerinnen und Nutzern den gesamten Bibeltext in nur wenigen Tagen in die Twitter-Sprache, eine internetgestützte Kommunikationsform, bei der Kurznachrichten mit maximal 140 Zeichen per Handy, Computer etc. verschickt werden. Durch Twittern wird der Text der Bibel erheblich komprimiert. Ich zitiere (vollständig!) Psalm 23:

"So ist Gott: er schaut nach mir, sorgt, nährt, erfrischt, orientiert, rettet, tröstet, nimmt Angst, verwöhnt. Bei ihm ist Party ohne Ende."

Der gesamte Psalter kommt in der gedruckten Ausgabe der Twitter-Bibel gerade einmal mit 19 Seiten aus, während die Lutherbibel je nach Edition bei deutlich dichterem Druckbild hierfür circa 70 Seiten veranschlagt!

###mehr-artikel### LOLCat Bible Translation Project: Mein zweites Beispiel blickt über den deutschsprachigen Kontext hinaus und stellt die Veränderungsdynamik digitaler Kultur noch viel drastischer vor Augen. Der Internetslang "LOL", zusammengesetzt aus "laughing out loud", ist humorvoll bis komisch und umfasst ebenso kritische wie auch bisweilen subversive Momente. "LOLCats" sind die Identifikationsfiguren der LOL-Community, sie erinnern ein wenig an Garfield und hebeln das engbehütete Milieu einer Hauskatzenästhetik aus. Die "LOLCat Bible" nun ist als interaktives Netzwerk nach dem Vorbild von Wikipedia organisiert, dies wird bereits durch die grafische Gestaltung deutlich. Nutzerinnen und Nutzer können wiederum ebenso zu Übersetzern werden wie sich in Blogs und Foren austauschen. Damit stellt dieses Projekt eine umfassende Kommunikationsplattform dar, in der die "eigentliche" Bibelübersetzung gar nicht im Vordergrund stehen muss. Mit LOLCats als vermeintlichen Protagonisten des biblischen Stoffs und Erstadressaten verändert sich hier God zu Ceiling Cat, Blessing zu Cheezburgrz oder Angel zu Birdcat/BirdKat u. v. m. Die sprachlichen Eigenheiten und vor allem die erhebliche Umformungsdynamik der LOLCat Bible zeige ich anhand der Wiedergabe der Taufe Jesu in Matthäus 3,13–17:

Happy Cat gets Water Baf!
13 Den Happy Cat caem from Garary, to has water baf from John.
14 But John was all "Ur doin it rong, j00 needz to water baf me”
15 And Happy Cat sayed "STFU and gib to me water baf n00b” and John did.
16 Wen he was gived water baf he gtfo of teh water and, ZOMG, teh ceilinz opened up and Hover Cat caem down liek a duv and landeded on him
17 And, ZOMFGWTF, a voice from heven sayed "Hai guise, dis my son, and I tink he teh 1337”.

Der LOL-Slang changiert zwischen (fehlerhaftem) Englisch und Nonsens, Jesus wird hier zur Happy Cat, der Geist Gottes zur Hover Cat und die Stimme im Himmel lässt man in etwa sagen: "Na Jungs, dies ist mein Sohn und ich denke, er ist die Elite" (1337 ist Leetspeak, ein originelles Schriftsystem im Netz, bei dem Buchstaben durch ähnlich aussehende Zahlen ersetzt werden, hier: 1 = l, 3 = E, 7 = T). Die Auflösung beständiger Bedeutungen führt zu einer enorm kreativen Fortschreibung, welche für übliche christliche Glaubenskulturen freilich kaum noch Anknüpfungspunkte bietet.

Die beiden Beispiele können vielleicht einen kleinen Eindruck davon geben, wie die digitale Kultur bisherige, relativ stabile Bibelidentitäten auflösen kann und die Bibel zu etwas völlig anderem werden lässt. Dies hat positive Effekte, es entstehen attraktive Bibelversionen, versehen mit Bildern, Video- und Audiodateien sowie Links zu weiteren Informationen oder auch zu kommunikativen Foren und vieles mehr. Sie finden schnell Eingang in Schule und Gemeinde, beleben die Beschäftigung mit der Bibel und können das Image vom verstaubten alten Buch gut durchkreuzen.

Daneben drängen sich zweifelsohne auch Herausforderungen und Probleme auf, ich beschränke mich auf den meines Erachtens zentralen Punkt, die Auflösung der Bibel als dauerhaft-konstante Größe. Aufgrund der digitalen Kultur und ihrer Beschleunigung von Veränderungen wird noch weit mehr als bisher die Bibel zur terra incognita, zur unbekannten, weil ständig neu formierten und weiter veränderlichen Textgröße.

Wer legt fest, was als Bibel gilt?

Die Irritation hinsichtlich der Vielfalt von Bibelversionen war sicherlich noch nie so groß wie heute. Eigenschaften wie "bibelfest" und "bibeltreu" werden innerhalb der digitalen Veränderungslogik nahezu bedeutungslos. Und weiter: Gilt die Twitter-Bibel überhaupt als Bibel, ebenso die LOLCat Bible, wenn Jesus zur Happy Cat wird? Wer darf so etwas festlegen? Muss die Bibel immer Not wendend und trosthaft, wahrhaftig und sinnvoll sein? Wie viel Spaß verträgt der "heilige" Charakter des Alten und Neuen Testaments?

###mehr-info-110781### Theologie und Kirchen sollten angesichts dieser Herausforderungen freilich nicht in einen reflexartigen Rollback verfallen, die Lutherbibel etwa zum ausschließlichen Bibeltext erklären und das Internet verteufeln. Die Lutherbibel hat aus Identitätsgründen einen besonderen Stellenwert, ihre kommunikativen Chancen allerdings sind begrenzt. Die Zusammenschau von Bibel und digitaler Kultur drängt vielmehr nach Differenzierung, ein Schlüsselbegriff hierzu ist Medienkompetenz. Neben der Kenntnis digitaler Bibelprojekte und deren Möglichkeiten im Netz umfasst Medienkompetenz an dieser Stelle aber auch das Bewusstsein für die Veränderung der Bibel durch die digitale Technik und die kritische Reflexion dieses Wandels anhand einzelner digitaler Bibelversionen. Und nicht immer sind die Bibelumbauten so extrem wie in diesen beiden Fällen.

Die digitale Kultur macht aus der Bibel mehr als nur ein Buch zum Lesen und Beten. Die Bibel wird zur interaktiven, beweglichen und äußerst abwechslungsreichen Software! Sie wird zur erweiterten Bibliothek, zum Unterhaltungsprogramm und zur Kommunikationsplattform in einem. Und ich meine, gerade so kann sie auch als Glaubens- und Lebensbuch wiederentdeckt, neu aufgesucht und aufrichtig wertgeschätzt werden, eben heiliger Text in digitalen Zeiten sein. Freilich ist die Bibel im digitalen Raum eine andere als in der Welt des Buchdrucks. Sie ist hier weniger unverrückbare Tradition und konstante Glaubensgrundlage, sondern Prozess und Entwicklung, mit der Beteiligung ganz vieler und sehr unterschiedlicher Menschen. Der Wandel der Bibel im digitalen Raum bewirkt also auch ein Stück mehr an Demokratisierung der Bibellektüre und Mündigkeit der einzelnen Menschen, die mit der Bibel Umgang haben (wollen). Vielleicht ist gerade dies Evangelium in heutigen Zeiten.