Foto: Universal Pictures Germany
Filmkritik: "Im Labyrinth des Schweigens"
Gegen das Vergessen: Wie bearbeitet man das Erbe der NS-Vergangenheit, wenn alte Netzwerke den Mördern aus den Vernichtungslagern den Rücken decken? Der Film "Im Labyrinth des Schweigens" wirft einen Blick zurück in die Fünfziger und entfaltet die Vorgeschichte des ersten Frankfurter Ausschwitz-Prozesses.
05.11.2014
epd
Rudolf Worschech

Es ist ein Bild, das einem nicht aus dem Kopf geht. In dem erstaunliche Debütfilm "Im Labyrinth des Schweigens" schreitet der junge Staatsanwalt Johann Radmann schier endlose Regalgänge entlang, mit Akten, die bis zur Decke reichen. Die Unterlagen von 600 000 SS-Männern, ein fast nicht zu bewältigendes Erbe. Rund 8000 dieser Männer haben in Auschwitz Dienst getan, in dessen verschiedenen Lagern 1,1 Millionen Menschen, 90 Prozent davon Juden, ermordet wurden. Dass er doch die Vergangenheit ruhen lassen sollte, sagt ihm der amerikanische Verwaltungsoffizier, der dieses Archiv des Grauens in der Militärverwaltung betreut.

Auf diese Mauer des Schweigens und der Ignoranz ist der Frankfurter Staatsanwalt Radmann schon des Öfteren gestoßen, seit er 1958 zum ersten Mal mit den Vorgängen der Lager konfrontiert wurde. Ein Journalist der "Frankfurter Rundschau", Thomas Gnielka, erschien bei der Staatsanwaltschaft, weil ein Freund von ihm, der in Auschwitz seine beiden Kinder verloren hatte, in einem Lehrer einen seiner ehemaligen Peiniger wiedererkannte. Die Polizei wollte seine Anzeige nicht aufnehmen, und auch Oberstaatsanwalt Walter Friedberg wiegelt ab. Auschwitz sei doch nur ein Schutzhaftlager gewesen, murmelt ein anderer Staatsanwaltschaftskollege. Doch Radmann kniet sich in den Fall, recherchiert, dass der Lehrer tatsächlich in Auschwitz war. Nur widerwillig leitet Friedberg den Fall an die Kultusbehörde weiter. Und suspendiert wird der Lehrer, der seinen Schülern auch mal gerne eine langt, nicht.

"Im Labyrinth des Schweigens" liefert gewissermaßen die Vorgeschichte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der im Dezember 1963 im Frankfurter Römer begann und bis 1965 dauerte. Der Film ist  ein Amalgam aus Realität und Fiktion, Authentiziät und kinogerechter Spurensuche. Den Journalisten Gnielka hat es wirklich gegeben, aber in Radmann und dem ihm zur Seite gestellten Staatsanwalt Otto Haller sind die beiden Staatsanwälte Joachim Kügler und Georg Friedrich Vogel verwoben, die damals zusammen mit Gerhard Wiese den Prozess führten.

Es ist ein großer Coup, die Rolle des jungen Staatsanwalts mit Alexander Fehling zu besetzen. Schon einmal hat er in einem Film über Auschwitz mitgespielt, in Robert Thalheims "Am Ende kommen Touristen". Da war er ein etwas naiver Zivildienstleistender, der sich um einen KZ-Überlebenden im internationalen Begegnungszentrum kümmern sollte. Fehling ist ein sich eher zurücknehmender Schauspieler, kein großer Gestikulierer. Das Staunen darüber, was damals geschah, wandelt sich auf seinem Gesicht zur Verbissenheit und spiegelt die Zähigkeit wider, mit der er die Fälle recherchiert.

Die Wirkung der alten Netzwerke

Denn es gibt Rückschläge. Radmann muss erkennen, dass die alten Netzwerke immer noch ihre Wirkung tun. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer – der dafür sorgte, dass der Prozess unter seine Gerichtsbarkeit nach Frankfurt kam - macht ihm klar, dass es nicht um die prominenten NS-Täter gehe. Und dass nur Mord bisher nicht verjährt ist. Radmann stürzt sich in die Aktenarbeit und die Vernehmung von Zeugen. Es gehört zu den Stärken des Films, dass er seine emotionale Wucht gerade daraus zieht, dass er diese Vernehmungen (die ja alle nachzulesen sind) nicht ausführlich zeigt, nie plakativ seine Finger in die Wunden legt. Regisseur Giulio Ricciarelli vertraut in seinem erstaunlich sicher inszenierten Debüt solchen Momenten. Und es gelingt ihm, uns heutigen Zuschauern, die wir wahrscheinlich mehr wissen und auch mehr wissen wollten als die Zeitgenossen damals, mit einer Geschichte zu fesseln und zu berühren, deren Ausgang wir schon kennen.

Dass Ricciarelli und die Drehbuchautorin Elisabeth Bartel ihrem Protagonisten eine Liebesgeschichte, einen vorübergehenden Berufswechsel und einen gewissen Vaterkomplex andichten, verblasst vor der äußeren wie inneren Dramatik Radmanns und seinem Bemühen, den Opfern eine Stimme zu geben. Und so wird aus "Im Labyrinth des Schweigens", der die Atmosphäre der fünfziger Jahre überzeugend rekonstruiert, ein vehementes Plädoyer dafür, dass man Auschwitz wie überhaupt die nationalsozialistische Vergangenheit nie relativieren sollte, auch wenn seit der Befreiung der Lager sieben Jahrzehnte vergangen und die meisten Täter wie Opfer längst verstorben sind.

Regie: Deutschland, 2014. Regie: Giulio Ricciarelli. Buch: Elisabeth Bartel, G. Ricciarelli. Mit: Alexander Fehling, André Szymanski, Gert Voss, Hansi Jochmann, Johann von Bülow, Robert Hunger-Bühler. Länge: 123 Minuten. FSK: ab 12 Jahre. (epd)

"Im Labyrinth des Schweigens" ist Film des Monats November der Jury der Evangelischen Filmarbeit.