iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Familiensache" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Familiensache", 2. November, 20.15 Uhr im Ersten
Arne Kreuz zieht im Zuge eines erweiterten Suizids eine blutige Spur durch die Stadt. Seine Frau und sein Baby haben bereits dran glauben müssen. Die Tochter soll die nächste sein, und da sie sich bei seinen Schwiegereltern aufhält, stehen die eben auch auf der Liste.

Vor fünf Jahren hat der gebürtige Ire Eoin Moore das großartige "Polizeiruf"-Duo aus Rostock, Sascha Bukow und Katrin König, erfunden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Sonntagskrimis hat sich der NDR getraut, nicht nur in sich abgeschlossene Fälle, sondern auch eine Fortsetzungsgeschichte zu erzählen. Im Verlauf der bisherigen neun Filme ist aus den anfänglichen Kontrahenten ein Team geworden, das bei seiner zehnten Zusammenarbeit vor eine enorme Belastungsprobe gestellt wird. Für Buch und Regie war erneut Moore verantwortlich, der das Duo und seine Kollegen auf gleich drei Ebenen mit familiären Dramen konfrontiert: Arne Kreuz (Andreas Schmidt) zieht im Zuge eines erweiterten Suizids eine blutige Spur durch die Stadt. Seine Frau und sein Baby haben bereits dran glauben müssen. Die Tochter soll die nächste sein, und da sie sich bei seinen Schwiegereltern aufhält, stehen die eben auch auf der Liste. Letzter Überlebender ist der Sohn des Mannes; im fieberhaften Wettlauf mit dem Tod versuchen Bukow und König (Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau) herauszufinden, wo sich der Junge aufhalten könnte.

Die Realität nicht wahrhaben wollen

Mit beinahe dokumentarischer Präzision schildert Moore die Arbeit des Polizeiapparats. Immer wieder sind die Beamten zu spät und können nur noch die Leichen zählen. Erschwerend kommt hinzu: Ausgerechnet jetzt findet Bukow durch Zufall raus, dass sein Kollege und Freund Volker (Josef Heynert) ein Verhältnis mit seiner Frau hat. Auf diese Weise sorgt Moore dafür, dass sich der Fall auf bizarre Weise im Privatleben spiegelt: Auch Arne Kreuz hat mit allen Mitteln um seine Ehe gekämpft, auch er wollte die Realität nicht wahrhaben. Natürlich hat Bukows Entdeckung Folgen für das Betriebsklima, und das ist die dritte Dramen-Ebene, schließlich betont der Chef der Truppe zu Beginn bei einer Jubiläumsfeier, er betrachte seine Mannschaft als Familie.

Mindestens so fesselnd und faszinierend wie die dramaturgische Konstruktion ist die psychologische Seite der Geschichte. Andreas Schmidt, dank seiner Filmografie ohnehin prädestiniert für zerrissene Charaktere, die selten auf der Sonnenseite des Lebens stehen, spielt den Familienvater formidabel, zumal ihn Moores Drehbuch mit zwei Seiten versieht: Vordergründig ist Arne Kreuz ein durchaus charmanter, besonnener Zeitgenosse, aber hinter der leutseligen Fassade tickt unaufhaltsam eine Zeitbombe. Dank Schmidts intensivem Spiel verspürt man sogar ein gewisses Mitgefühl mit diesem Mann. Aufgrund einer narzisstischen Störung betrachtet er die Taten als unausweichlich; aus seiner Sicht begeht er die Morde aus Mitgefühl.

Der Regisseur hat dafür ein beredtes Bild gefunden: Als Kreuz seine Frau (Laura Tonke) ersticht, montiert Moore parallel zur Tat einen liebevollen Kuss zwischen den längst getrennten Eheleuten; selten hat der Begriff "Kuss des Todes" so gut gepasst wie hier. Ohnehin gelingt dem Film gerade auch dank der drei Ebenen eine ausgezeichnete Balance zwischen Hochspannung und Emotionalität. Auf diese Weise ist "Familiensache" gleichzeitig Familiendrama, Tragödie, Polizeifilm und Krimi, und doch in erster Linie Thriller, denn im Grunde beginnt das Finale bereits nach wenigen Minuten mit dem ersten Mord.